25. März 2024
Magazin-Tipp

Tims Thesen: Verkehrswende und Ideologie

An dieser Stelle erscheint jeden Monat Tim Holzhäusers Glosse mit einer gewagten These. Diesen Monat geht es um die Verkehrswende und was sie mit Ideologie (nicht) zu tun hat.

Autor Tims Thesen

Redaktionsleiter Tim Holzhäuser

Wissen Sie, was mir neuerdings auf die Nerven geht? Das Wort „ideologisch“. Wie an dieser Stelle beschrieben, bin ich weder Auto- noch Radfahrer. Mir als Privatperson sind Phänomene wie Stau und kaputter Radweg völlig wurscht.

Umso auffälliger finde ich die Tendenz in der aktuellen Vekehrsdebatte all das, was sich gegen die eigenen Interessen richtet als „ideologisch“ zu diffamieren. Alles, was einem gut in den Kram passt, ist hingegen unideologisch, sprich sinnvoll und pragmatisch. Nach dieser Logik müssten der Klimawandel und eine mit Autos vollgestopfte Stadt ideologische Erfindungen sein – Hirngespinste einer verblendeten, inkompetenten, ahnungslosen Minderheit.

„Die spinnen alle“

Problem: Es ist keine Minderheit. Wir erinnern uns: Bei der letzten Bürgerschaftswahl wurden die Grünen zweitstärkste Partei in Hamburg. Das Szenario „Die spinnen alle“ ist da nicht sonderlich plausibel. Was also sind abseits der vermeintlichen „Ideologie“ die wirklichen Gründe für den aktuellen Konflikt rund um die Verkehrswende?

These: Die Polarisierung, die wir derzeit zwischen Autofahrern und den vermeintlichen Ideologen sehen, ist der typische Konflikt, der immer dann auftritt, wenn kurz- und langfristig kollidieren. Betrachtet man es nüchtern, dann wird klar, dass Politiker wie Anjes Tjarks exakt das machen, was wir immer und immer wieder fordern: Langfristig Denken! Handeln über die eigene Wahlperiode hinaus, nicht immer auf der Flucht vor der nächsten Schlagzeile! Nicht sofort einknicken, wenn es Widerstände gibt, sonst landen wir nämlich wieder am Puzzle-Tisch mit kleinen Steinen.

„Alles, was einem gut in den Kram passt, ist pragmatisch.“

Es ist nun mal so: Wer Recht und Gesetz wählt, der muss damit leben, wenn neue Gefängnisse in der Stadt entstehen. Wer mehr Flüchtlinge aufnehmen will, der kann nicht zwei Wochen später gegen das entsprechende Heim protestieren. Wer Altenpflegerinnen besser honorieren will, der zahlt übermorgen mehr Steuern.

… wir willen zurück in die 80er-Jahre

Es ist schon kurios: Beim Immobilienerwerb sind wir alle große Klasse mit Weitblick, aber wenn der Parkplatz vor der Tür verschwindet, dann bricht der kalte Schweiß aus und wir wollen zurück in die 80er-Jahre.

Nun gibt es Kritiker, die auf offensichtliche handwerkliche Fehler hinweisen, etwa bei Radwegen. Das sollte man nicht ignorieren, aber doch fragen: Haben Sie schon einmal erlebt, dass Handwerker einen Carport, eine Einbauküche oder einen Gartenteich fehlerfrei hinbekommen?

Die Orchestrierung von Millionen Menschen

Die Erwartung, dass die Orchestrierung von Millionen Menschen aufgeteilt auf ein halbes Dutzend Verkehrsmittel ab Tag eins glatt geht, ist utopisch. Utopie mag netter klingen als Ideologie, aber im vorliegenden Fall lenkt sie uns zurück an den Puzzle-Tisch, wo wir – zutiefst beruhigt – mit kleinen Steinen hantieren.

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