1. Juni 2015
Magazin

Ein Hoch auf die Vereinsmeierei! 


KOMMENTAR – Stellungnahme 

Ein Hoch auf die Vereinsmeierei! 

GASTKOLUMNE: Historie und Ehrenrettung des Bürgervereins 

Wenn sich drei Deutsche treffen, gründen sie sofort einen Verein. Eine Eigenschaft, die mit einem gewissen Recht als „typisch deutsch“ angesehen wird. 

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Nienstedtens Bürgervereins-Chef Peter Schlickenrieder

Über 580 000 Vereine gibt es zur Zeit in unserem Vaterland, mehr als jemals zuvor. Nach Schätzungen engagiert sich fast jeder Dritte in einem Verein. Und so züchten wir Brieftauben oder Kaninchen, treiben Sport, sammeln Schmetterlinge oder Kronenkorken, engagieren uns für alles Mögliche oder retten mal eben die Umwelt.
Bloßes Nichtstun , sogar in unserer Freizeit, scheint uns Deutschen irgendwie suspekt. „Müßiggang ist aller Laster Anfang“ mahnt das Sprichwort. Und so sucht man sich ein Hobby, das im Verein gemeinsam und geordnet gepflegt wird. Man fühlt sich geborgen und kann Titel wie Sekretär, Schatzmeister oder sogar Vorsitzender erlangen. Die Ehre des ältesten Vereins in Europa gebührt wohl einem Club in London mit dem schönen Namen „La Court de Bonne Compagnie“, der bereits 1413 urkundlich erwähnt wird und von Tempelherren für wohltätige Zwecke gegründet wurde. Im 17. Jahrhundert entstanden dann in England die Gentlemen’s Clubs der Oberklasse und in Frankreich während der Revolution die literarischen Clubs der Aufklärung.
Das deutsche Vereinswesen begann sich im 18. Jahrhundert zu etablieren. Neu und geradezu revolutionierend war, dass sich Menschen aus unterschiedlichen Ständen zusammenfanden. Adel, gehobenes Bürger- und Beamtentum diskutierten politische und philosophische Fragen und Tagesereignisse. Man traf sich in „Lesegesellschaften“ oder „Sprachgemeinschaften“, war ziemlich aufklärerisch gesinnt, widmete sich der Pflege von Bildung und Kultur und manchmal auch sozialen Problemen. Das Allgemeine Preußische Landrecht von 1794 erlaubte den Untertanen Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, allerdings waren politische Diskussionen verboten, was die cleveren Bürger jedoch zumeist geschickt zu tarnen wussten. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts, mit der Industrialisierung und dem Anwachsen der Städte, gewann das Vereinswesen noch weiter an Bedeutung. Vereine übernahmen öffentliche Aufgaben, die die Obrigkeit zu der Zeit noch nicht erfüllte. Wohlfahrtsverbände wurden ins Leben gerufen wie Diakonie oder Caritas. Politische Aktivitäten blieben jedoch noch lange untersagt.
Im Dritten Reich wurden alle jüdischen Vereine und sonstige Gruppierungen, die verdächtig erschienen, verboten. Jüdische Mitglieder in den noch erlaubten wenigen Vereinen wurden ausgeschlossen. Nur die Zahl der Kleingartenvereine nahm während dieser Zeit zu. Sie entsprachen aus Sicht der NS-Führung ihrer Blut-und-Boden-Ideologie und wurden dafür politisch eingespannt. 
Ein gutes Beispiel für das insgesamt positive Wirken der deutschen „Vereinsmeierei“ ist die Patriotische Gesellschaft von 1765 in Hamburg. Sie entsprang dem Freundeskreis des Philosophen Herrmann Samuel Reimarus und wurde bald Mittelpunkt der Hamburger Aufklärung. In ihr versammelten sich Angehörige verschiedener Stände und Berufe und es herrschte Toleranz gegenüber den unterschiedlichen religiösen Überzeugungen. Schon früh galt dieser Verein als Muster einer aufgeklärt-gemeinnützigen Gesellschaft. Auf Initiative der Patriotischen Gesellschaft gingen in ihrer langen Geschichte eine große Zahl von gemeinnützigen Ideen und Gründungen hervor wie zum Beispiel die erste Sparkasse in Europa, Blitzableiter und der Kartoffelanbau in Hamburg.

Bürgervereine sind keine Sabbelbuden, sondern ein wichtiges Bindeglied zwischen Bürgern und ortsfremder Politik!“
Und ganz in der Tradition bürgerlichen Engagements hat sich im 19. Jahrhundert überall in deutschen Landen eine besondere Spezies von Vereinen gebildet, die Bürger- und Heimatvereine. In Hamburg gab es bereits 1830 den sogenannten „Mondschein-Club“. Die Mondscheinbrüder trafen sich beim Schein des Erdtrabanten und widmeten sich kommunalen Fragen ihrer engeren Heimat – noch kein echter Bürgerverein aber ein würdiger Vorgänger.
Die ersten echten Bürgervereine entstanden zunächst in St. Pauli als Reaktion auf die misslichen Lebensumstände der damaligen Zeit, wie Wasserversorgung, sanitäre Verhältnisse und Straßenbeleuchtung, Dann folgten andere Stadtteile und Gemeinden. Ihre Mitglieder stammten überwiegend aus dem liberalen Mittelstand und waren zunächst eher konservativ gesinnt. 1886 schloss man sich in einem Zentralausschuss zusammen, der sich als eine Art Vorparlament zur Bürgerschaft sah.
Nach dem Zweiten Weltkrieg konstituierten sich die Vereine neu. In den 50er Jahren war man noch verstärkt politisch tätig. So unterstützte man zum Beispiel die Politik des Hamburger Blocks, was zum Sturz von Bürgermeister Max Brauer führte. Dann veränderten sich die Spielwiesen der Vereine.
Heute kümmern sie sich in erster Linie um Heimatgeschichte, Soziales und kommunale Angelegenheiten.
Man mag über diese Vereine lächeln und sie als Altherrenzirkel abtun. Sie sind jedoch auch heute keineswegs nur Sabbelbuden, sondern ein wichtiges Bindeglied zwischen Bürgern und der manchmal ortsfremden Verwaltung oder Politik. Hier treffen sich engagierte Bürger, die sich um ihre Heimat kümmern. Ein bisschen Vereinsmeierei gehört nun mal dazu. Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser des Klönschnack, in Ihrer Freizeit nicht überlastet sind durch Golf- und Reiterverein, Segelclub, Abonnement der Staatsoper oder Großeltern-Aufgaben, informieren Sie sich bei den Bürger- und Heimatvereinen in Ihrer Umgebung. Hier werden Sie gebraucht.
Peter Schlickenrieder

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