UMWELT
Eine Stadt dreht auf
Lärm
Ruhe“ ist ein deutsches Wort von großer Bedeutung, da kann allenfalls „Wald“ noch mithalten. Der Deutsche „kommt zur Ruhe“, er „sucht die Ruhe“ – und findet sie selten, zumindest, wenn er in einer Stadt wie Hamburg lebt. Nun sind die Vorteile einer Stadt nicht ohne Preis, Friedhofsruhe kann keiner erwarten. Dennoch gibt es Härtefälle, bei denen abgewogen wird, zwischen Interessen, Kosten und Nutzen.
Ein Überblick.
Fluglärm
2017 war das „lauteste Flugjahr des Jahrhunderts“. Dies konstatierte zumindest die Bürgerinitiative für Fluglärmschutz in Hamburg und Schleswig-Holstein (BAW). Hinter der reißerischen Bezeichnung steht ein starker Anstieg verspäteter Flugzeuge, die das Nachtflugverbot ignoriert haben. Laut Flughafen-Statistik starteten und landeten 1.038 Flieger in Fuhlsbüttel zwischen 23 und 24 Uhr. 2015 waren es „nur“ 625, 2016 zählte der Flughafen 774. Die Zahlen zeigen, dass das Nachtflugverbot Makulatur ist, die Sanktiosmöglichkeiten zu gering sind.
Parallel dazu wuchs die Zahl der Beschwerden, die von der Fluglärmschutzbeauftragten Dr. Gudrun Pieroh-Joußen penibel gezählt und ausgewertet werden. Bundesweit gab es 2017 rund 107.000 Beschwerden, ein Viertel mehr als im Vorjahr. Knapp die Hälfte dieser Beschwerden kam aus Hamburg und zwar aus Lemsahl-Mellingstedt, Poppenbüttel, Blankenese und Iserbrook sowie Nienstedten.
Auch die Kommentarspalten einschlägiger Online-Plattformen zeigen, dass es eher einzelne Personen sind, die sich über die Jahre Fachwissen angeeignet haben und nun die Vor- und Nachteile verschiedner Schneisen und Startverfahren debattieren.
Als besonderes Ärgernis wird hier das sogenannte Flachstartverfahren gesehen. Das Verfahren basiert auf einem frühen Einfahren der Klappen bei gleichzeitiger Zurücknahme des Schubs. Es spart Kerosin und verringert den CO2-Austoss. Anwohner empfinden dieses Verfahren jedoch als besonders laut, obwohl die Messgeräte des Flughafens laut Betreiber nur um zwei Dezibel mehr ausschlagen. (Der Flughafen Hamburg reagierte dennoch mit einer „Empfehlung“ an die Fluglinien auf das Verfahren zu verzichten, die naturgemäß ohne großen Effekt bleiben wird.)
Dennoch gehen die Forderungen des BIG Fluglärm Hamburg e.V. (ein Dachverband von Bürgerinitiativen) weit. Gefordert wird unter anderem ein rigide durchgesetztes Nachtflugverbot zwischen 22 und 7 Uhr, hohe Gebühren für besonders laute Maschinen und letztlich die Streichung innerdeutscher Flüge mit Alternative von Bahnreisen. Die Auswirkungen für Reisende wären drastisch. Wenn zum Beispiel der Ferienflieger aus Mallorca erst um 22.15 Uhr in Fuhlsbüttel aufsetzen könnte, müsste er gestrichen, die Urlauber anderweitig auf der Insel untergebracht werden. Das erscheint nicht gerade als zumutbare Härte. Die Hamburger selbst gelten als Reiseweltmeister und sehen ihren Flughafen nicht als Deko. Er wird genutzt, meist mehrmals im Jahr.
Auch die Alternativempfehlung Bahn dürfte angesichts der vielen Verspätungen und hohen Preisen bei vielen nur Kopfschütteln auslösen.
Fazit hier: Eine moderne Großstadt fliegt, Lärm hin oder her.
Laubsauger/Heckenscheren
Viele Lärmquellen sind Teil eines Konflikts zwischen Interessen. Der Fluglärm ist dafür ein gutes Beispiel, denn hier stehen sich Reisende und Anwohner gegenüber. Im Fall der Gartenpflege mittels Benzinmotor ist es jedoch enorm schwer, Gründe dafür zu finden. Sicher, der Gärtner ist früher fertig. Im Gegenzug schleppt er das Gerät, muss einen Gehörschutz verwenden und steht in einer Abgaswolke.
Der Gesetzgeber scheint sich über die deutsche Neurose, Rasen und Hecken permanent mähen und schneiden zu müssen, im Klaren zu sein. Versuche, die Benziner vollständig zu verbieten, sind bisher auch immer gescheitert. Ihr Betrieb wurde jedoch, und das wissen nur wenige, bereits 2002 stark eingeschränkt. Generell dürfen Maschinen in Wohngebieten an Sonn- und Feiertagen nicht benutzt werden sowie an Werktagen nicht zwischen 20 und 7 Uhr.
Für sogenannte Freischneider, Grastrimmer, Laubbläser und Laubsammler gibt es weitere Einschränkungen. Sie müssen zwischen 7 und 9 Uhr, zwischen 13 und 15 Uhr sowie zwischen 17 und 20 Uhr im Schuppen bleiben. Gärtner, die es in diesen Zeiten knattern lassen, begehen eine Ordnungswidrigkeit und können hierfür zur Rechenschaft gezogen werden. Genervte Anwohner müssen sich den Garten-Terror also nicht immer gefallen lassen. Ein Redakteur des Hamburger Abendblatts empfahl einmal im Falle eines Verstoßes mit dem guten alten Rechen auf den Knatterer einzuschlagen, was zweifellos Eindruck machen würde. Risikoärmer ist aber der Anruf beim Garteneigentümer oder im Extremfall bei der Polizei.
Die Meldung war eine Sensation. Am 22. Juni 2017 titelte der „Postillon“ (Ehrliche Nachrichten – unabhängig, schnell, seit 1845): „Brillanter Autofahrer löst 19 Kilometer langen Stau auf, indem er hupt.“ Zum Hupen kommen aufbrüllende Motoren und aufbrüllende, an Autofahrer-Tourette erkrankte Menschen, quietschende Reifen, schlagende Türen.
Festzuhalten bleibt hier: Der Kampf gegen die ausufernde Motorisierung war bisher erfolglos. Die Zahlen zeigen einen ungebrochenen Trend nach oben, die Zahl der PS steigt mit jedem SUV-Muttchen und jedem Kunden der Soko „Autoposer“. Auch in den Elbvororten werden künftig die Blechlawinen zu besichtigen sein, die bisher eher aus der Innenstadt bekannt sind. Die Denkfähigkeit der Menschen hält auf diesem Gebiet nicht mit der Einkommensentwicklung Schritt; das ist nicht zu ändern.
Gleichzeitig gibt die Hälfte der deutschen Bevölkerung bei Umfragen regelmäßig den Verkehr als störende Lärmquelle Nummer eins an.
Tatsächlich erzeugt der Straßenverkehr einen ganztägigen Lärmpegel von durchschnittlich 65 Dezibel. Der Wert fällt bei unterschiedlichen Straßen natürlich auch ebenso unterschiedlich aus. Informationen über einzelne Strecken gibt eine interaktive Lärmkarte der Stadt, zu sehen unter: www.hamburg.de/interaktive-kartestrassenverkehr/
Hupen in Ortschaften ist ebenso verboten wie unnötiges Umherfahren sowie unnötiges Beschleunigen. All diese Verbote sind in Deutschland natürlich Makulatur. Gerade das Gasgeben vor roten Ampeln scheint eine Art nationaler Zwangshandlung zu sein. Die Bemühungen um Lärmminderung, sind daher eher technischer Natur und entfalten bemerkenswert wenig Wirkung.
Messungen des Umweltbundesamtes zeigten, dass die Industrie, analog zur Abgasmessung bei Dieselmotoren, die Messungen manipuliert oder bewusst unzureichende Verfahren einsetzt. „Typprüfung relativ fern von der Realität“, schreibt das Amt. So wurden beispielsweise in Auspuff-Anlagen Klappen eingesetzt, die im Testbetrieb geschlossen, im realen Betrieb dagegen geöffnet sind. Trotz sinkender Grenzwerte sind Autos daher heute im Straßenverkehr noch genau so laut wie vor 25 Jahren.
Festzuhalten bleibt aber auch: Das einzelne Fahrzeug ist über die Jahrzehnte trotz Schwindel der Industrie leiser geworden. Das liegt vor allem an Reifen und am Straßenbelag. Das Donnern, das ein VW-Käfer auf Kopfsteinpflaster erzeugt, ist schon lange nicht mehr vernommen worden.
Der Straßenverkehr wird daher auch mit Elektromotoren nicht großartig leiser werden. Es scheint, als sei das Optimum hier bereits erreicht. Allein die Vermeidung von Verkehr könnte Abhilfe schaffen, aber das scheint, wie erwähnt, der menschlichen Natur nicht zu entsprechen.
Kinder
Die Darstellung von Kindern als Lärmquelle entfällt hier aus Gründen der Toleranz.
Baustellen
Presslufthämmer, Trennschleifer, Rammen, Vibrationsstampfer, Rüttelplatten, gebrüllte Kommandos, vergittertes Radio – das ist vielerorts der Sound des Hamburger Sommers. Gefühlt werden es jedes Jahr mehr – und das Gefühl liegt richtig. Zwar steigt die Zahl der Baustellen über die Jahre hinweg nicht unbedingt an, wohl aber regelmäßig zwischen Winter und Sommer. Der Grund ist einfach: Sonnenschein und angenehme Temperaturen erfreuen den Flaneur ebenso wie den Polier. Zement bindet schneller ab, Bauholz bleibt trocken, das Tagelicht erlaubt einen schnellen Fortschritt ohne umständliche Beleuchtung.
52 Großbaustellen zählt die Stadt in diesem Sommer – zu bewundern auf der städtischen Baustellenkarte online unter: www.hamburg.de/baustellen. Sie alle müssen ertragen werden, denn das öffentliche Interesse geht vor. Es gibt allerdings einige Regeln und Einschränkungen, die Bauherren beachten müssen:
Unnötiger Lärm muss vermieden werden. Die Formulierung ist wachsweich und in der Praxis so gut wie unwirksam. Was bedeutet schon „unnötig“?
Des Weiteren darf Baustellenlärm beim nächsten Wohnhaus nicht mit mehr als 55 Dezibel ankommen. Auch dieser Wert ist allein von theoretischem Belang und in der Praxis nicht einzuhalten. Daher gibt’s eine geduldete Toleranz von 5 Dezibeln obendrauf.
In Wohngebieten dürfen zwischen 20 und 7 Uhr keine Maschinen benutzt und der Gesamtlärm muss nachts unter 35 Dezibel gehalten werden. Das ist ein sehr niedriger Wert, der in der Praxis überschritten wird, sobald sich der Maler einmal räuspert.
Stille Mittagspausen sieht der Gesetzgeber nicht vor. Theoretisch kann von 7 Uhr morgens bis 20 Uhr abends ununterbrochen gearbeitet werden.
Werden diese Regeln nicht beachtet, begeht der Bauherr eine Ordnungswidrigkeit oder sogar eine Umweltstraftat, was im Fall von Lärm aber selten festgestellt wird.
Fazit: Mit Baulärm müssen Nachbarn leben. Allenfalls wenn großer Blödsinn beobachtet wird, ist ein Beschwerderecht vorhanden. Betroffene sollten als erstes den Bauherren kontaktieren, denn der weiß: Wird von Behörden ein Verstoß festgestellt, kann das einen Baustopp zur Folge haben und dann wird’s teuer.
Wir sehen: Die Ruhe des einen, ist die Sorge des anderen.
Autor: tim.holzhaeuser(at)kloenschnack.de
www.hamburg.de/interaktive-kartestrassenverkehr/