2. März 2017
Magazin

Eine unglaubliche Geschichte

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SEGELN  

Eine unglaubliche Geschichte

Das Schicksal des Katamarans „BeGoodToo“

Das Wrack des Katamarans „BeGoodToo“ am 16. Januar 2017. Es liegt kieloben am Strand der schottischen Insel Uist. Kabinenaufbau und Mast sind in den drei Jahren verloren gegangen. FOTO: JF MARTIN
Das Wrack des Katamarans „BeGoodToo“ am 16. Januar 2017. Es liegt kieloben am Strand der schottischen Insel Uist. Kabinenaufbau und Mast sind in den drei Jahren verloren gegangen. FOTO: JF MARTIN
Januar 2014: Vier Besatzungsmitglieder werden 300 Seemeilen vor Virginia von der US-Küstenwache mit dem Hubschrauber aus dem tosenden Atlantik gerettet – darunter die Blankeneserin Doris Rodatz. Januar 2017: Fast auf den Tag genau drei Jahre später wird das Wrack auf den Hybriden (Schottland) angespült.

In Blankenese klingelt das Telefon. Doris Rodatz erfährt von ihrer in Schottland lebenden Tochter Unglaubliches: Fast auf den Tag genau drei Jahre nach einer Rettung aus dem tosenden Atlantik (300 Seemeilen vor Virginia), spült das Meer das Wrack des Schiffes zweier Blankeneser vor der schottischen Küste wieder an.

Der Zufall wollte es, dass ein schottischer Fotograf den kieloben gestrandeten Katamaran auf den Hebriden entdeckte. Sein Foto schmückt die Doppelseite zu Beginn dieser unglaublichen Geschichte.

Der KLÖNSCHNACK traf Doris Rodatz. Für uns beschreibt sie die Geschichte einer gescheiterten Karibik-Reise:

„Unsere Jungfernfahrt zu den britischen Jungferninseln…“

8. Januar 2014

Endlich – es kann losgehen! Einen Tag nach einem heftigen Blizzard hatten wir unseren Segel-Katamaran „BeGoodToo“ (Prototyp Alpha 42) mit sieben Monaten Verspätung in New Jersey, Liberty Harbor, in Empfang genommen. Unsere Jungfernfahrt konnte beginnen.

„Wir waren zu langsam und ein Sturm überraschte uns …!“ 

Long Island, New York, im Januar 2014 – der 380.000-Dollar-Katamaran dümpelt kurz vor dem Start in die Karibik bei Minusgraden im Hafe 
Long Island, New York, im Januar 2014 – der 380.000-Dollar-Katamaran dümpelt kurz vor dem Start in die Karibik bei Minusgraden im Hafe 
Die Crew: Hank Schmidt (Skipper), Charles Doane (Journalist), mein Ehemann Gunther, der Anfang 2016 auf unserem letzten Segeltörn verstorben ist, und ich. Unser Ziel waren die Britischen Jungferninseln, von wo aus Gunther und ich für einige Monate segeln wollten. Doch das Schicksal hatte anderes mit uns vor.

Eigentlich war der Plan, an der Ostküste den Intracostal Waterway bis nach Cape Hatteras hinunter zu segeln und von dort aus quer rüber. Hank hatte einen Wetterbericht, der uns sicher fühlen ließ. Er schlug vor, den direkten Weg zu nehmen – also nicht den Intracostal Waterway.

Als wir starteten war es bitterkalt, doch nach drei Tagen hatten wir den Golfstrom erreicht. Die Temperaturen stiegen und wir genossen zwei weitere wunderschöne Segeltage, bevor sich das Blatt wendete.

Wir waren zu langsam, und ein Sturm überraschte uns mit 9 bis 10 Windstärken, die die Wellen zu sechs Meter Höhe auftürmen ließen. Als es wieder ruhiger wurde, waren wir dankbar und wägten uns in Sicherheit. Am nächsten Tag wurden wir von einem weiteren, viel heftigeren Sturm mit Böen bis zu 12 Beaufort und acht Meter hohen Wellen heimgesucht. 

Mit Eiszapfen auf dem Weg in die Karibik  
Mit Eiszapfen auf dem Weg in die Karibik  
Charlie und Hank lösten Gunther und mich um 23:00 Uhr von der Wache ab. Wir verkrochen uns in die Koje, als es plötzlich fürchterlich rumste und explosionsartig knallte. Unser erster Gedanke war, dass wir gekentert sind. Dann folgte eine gespenstische Stille – man hörte nur, wie Wasser in Strömen vom Deck lief. Wir lagen immer noch auf dem Rücken, waren also noch aufrecht. Wir zwickten uns, um sicherzugehen, dass wirklich alles in Ordnung ist und eilten nach oben. Die Sitze im Salon waren völlig durchnässt. Hank und Charlie berichteten, dass eine Monsterwelle direkt von vorn das Boot überrollt hat, und ein Schwall Wasser durch die Fensterrahmen ins Innere gepresst wurde. Gott sei Dank hielten die Fenster. Die Monsterwelle hatte so eine Wucht gehabt, dass BeGoodToo aus ihren 4 bis 5 Knoten Fahrt gestoppt und sogar etwas rückwärts gedrückt wurde.

Eine Teak-Stufe im Cockpit wurde aus ihrer Verankerung gerissen und flog über Bord. Später stellten wir fest, dass der Generator außer Gefecht gesetzt war. Eine Maschine hatte ihren Geist aufgegeben, die zweite Maschine lud die Batterien nicht mehr. Somit hatten wir keinen Strom. Da wir Wasser aufnahmen, mussten wir es manuell über Bord pumpen, denn die automatischen Lenzpumpen arbeiteten nicht mehr. 

„I’m ready when you’re ready…!“

Rettung aus der Luft (oben), Zwischenlandung zum Auftanken auf der USS Ross auf halber Strecke nach geglückter Rettung 
Rettung aus der Luft (oben), Zwischenlandung zum Auftanken auf der USS Ross auf halber Strecke nach geglückter Rettung 
Am nächsten Morgen hatte sich das Wetter etwas beruhigt und wir versuchten, die Schäden zu beheben. Leider ohne Erfolg. Hinzu kam, dass BeGoodToo manövrierunfähig war, denn das eine Ruderblatt saß auf Steuerbord fest und das andere wackelte nur noch hin und her. BeGoodToo konnte sich nur noch im Kreis bewegen – wenn überhaupt, denn die Segel hatten auch schwer gelitten. Wir waren nur noch ein Spielball der Wellen. Als dann auch noch der Geruch eines Schwelbrandes in unserer Koje zu bemerken war, wurde mir doch etwas mulmig.

Schließlich entschlossen wir uns, über Satelliten- Telefon die US Coast Guard um Hilfe zu bitten. Uns wurde mitgeteilt, dass am nächsten Tag ein noch heftigerer Sturm angesagt war und es sei die Aufgabe der US Coast Guard, „… keine toten, sondern lebendige Körper aus dem Wasser zu bergen…“ Ein Schiff in der Nähe hätte uns aufnehmen können, aber das war auf dem Weg nach Israel und die Entfernung war uns doch etwas zu weit. Es wurde vereinbart, dass die US Coast Guard uns am nächsten Morgen um 9 Uhr mit dem Helikopter bergen würde. Eine Rettungsaktion in der Nacht wäre zu riskant gewesen. 

Romantische Moment bei noch ruhiger See 
Romantische Moment bei noch ruhiger See 
Inzwischen waren wir 300 Seemeilen von Virginia und ebenso weit von den Bermudas entfernt. Da der Hubschrauber nicht soweit fliegen konnte, wurde der Zerstörer USS Ross gebeten, auf halbem Wege für den Hubschrauber zum Auftanken zur Verfügung zu stehen.

An diesem Abend brachen wir unsere Regel, beim Segeln keine alkoholischen Getränke zu uns zu nehmen und öffneten einen wunderbaren Grand Cru, den wir eigentlich lieber zu einem anderen Anlass getrunken hätten.

14. Januar 2014

Tatsächlich um Punkt 9 Uhr hörten wir das Begleitflugzeug. Einige Augenblicke später erschien auch der Helikopter. Als per Funk nach der Wassertemperatur gefragt wurde, war mir klar, dass wir alle ins Wasser springen mussten, denn der Hubschrauber konnte uns wegen der Masthöhe natürlich nicht vom Boot direkt aufnehmen.

Einer nach dem anderen sollte mit der Winde hochgezogen werden. Ein Rettungsschwimmer wurde abgeseilt und nahm unseren Journalisten (als Versuchskaninchen) in Empfang. Er wurde in einem Rettungskorb hochgezogen. Da Wind und Wellengang zunahmen, wurde angeordnet, dass alle weiteren Personen mit einer Schlinge hochgezogen werden sollten, um die Rettungsaktion zu beschleunigen. 

„Mein erster Gedanke war, sofort dorthin zu fliegen, um mir das Wrack anzusehen …!

Nass und erschöpft, aber gerettet im Hubschrauber der US Küstenwache: (v.li.) Doris Rodatz, der Journalist Charles Doane und der Skipper Hank Schmidt
Nass und erschöpft, aber gerettet im Hubschrauber der US Küstenwache: (v.li.) Doris Rodatz, der Journalist Charles Doane und der Skipper Hank Schmidt
Ich war die Nächste. Der Rettungsschwimmer (höchstens 25 Jahre alt) kam zum Heck geschwommen, blickte mir vertrauenserweckend in die Augen und sagte: „I’m ready when you’re ready“, und ich sprang in das kalte Nass mit einer Segeltasche unter dem Arm, in der ich nur das Nötigste (Pass, Geld, Kreditkarte etc.) hatte. Er zog mich schwimmend unter den Hubschrauber, legte uns die Schlinge um und aufwärts ging’s. Es ist unglaublich, wie schwer und unbeweglich man sich mit von Wasser vollgesogenen Klamotten fühlt. Nach mir kam Hank und zum Schluss wurde Gunther geborgen. Ein letzter Blick aus dem Hubschrauber auf unser neues Schiff, das wir mit einer Träne im Auge dem Ozean überließen …

Ein dreistündiger (!) und mein erster Hubschrauberflug stand uns bevor – in triefend nassen Klamotten. Und es war kalt! Auf halber Strecke landeten wir zum Auftanken auf der USS Ross, bevor wir dann endlich auf der US Coast Guard Airbase in Elisabeth City, North Carolina landeten.

Ein Schwarm von Menschen begrüßte uns, und einige eifrige Rotes-Kreuz-Mitarbeiter konnten es kaum erwarten, sich um uns zu kümmern. Sie dachten wohl, wir seien schwer enttäuschte Überlebende, aber wir waren total gesund, nicht traumatisiert und in sehr guter Verfassung. Alles, was wir wirklich wollten, war eine heiße Dusche und trockene Klamotten.

„Durch eine übertriebene Bebauung werden die Elbvororte kaputt gebaut.“
Wieder zurück in Blankenese: Doris Rodatz
Wieder zurück in Blankenese: Doris Rodatz
16. Januar 2017

Ich bekam einen Anruf von meiner Tochter, die in Schottland lebt. Ihr Mann hatte in den BBC News gehört, dass BeGoodToo auf der schottischen Hebriden-Insel Uist gestrandet ist.

Ich konnte es nicht fassen. Beinahe auf den Tag genau drei Jahre später …!

Unglaublich!

Mein erster Gedanke war, sofort dorthin zu fliegen, um mir das Wrack anzusehen. Doch bald änderte ich mein Vorhaben, denn eigentlich hatte ich mit dieser Geschichte schon abgeschlossen.

Ich stehe in Kontakt mit Jef Martin, dem Fotografen, der das Wrack von BeGoodToo entdeckte. Er hat mir einige Fotos geschickt. Das schönste von ihnen habe ich vergrößert in meinem Flur hängen und jedes Mal, wenn ich daran vorbeigehe, denke ich an unser Abenteuer mit BeGoodToo.

Ich bin sicher, dass ich irgendwann einmal nach Uist reisen werde, denn das Gefühl lässt mich nicht los, dass diese Insel vielleicht irgendetwas für mich bereit hält …

Doris Rodatz

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