2. März 2017
Magazin

„Ein Schiff ist ein Transportmedium“

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INTERVIEW DES MONATS 

„Ein Schiff ist ein Transportmedium“

Sagen Sie mal …
… Ben Lodemann, Ältermann der Elblotsen

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes in Leipzig wird auch von der Hamburger Lotsenbrüderschaft bedauert. Sie werfe die Arbeit der Lotsen um Jahre zurück, so der Ältermann an anderer Stelle.

Herr Lodemann, warum ist ein Gespräch über die Elbvertiefung, wie ursprünglich vorgesehen, nicht möglich, wer hat Ihnen weitere Äußerungen der Presse gegenüber untersagt?

Die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt hat mich aufgefordert, mich nicht mehr öffentlich zu dem Thema zu äußern.

Erstaunlich, denn die Lotsenbrüderschaft zählt zu den Freiberuflern …

Die Wasser- und Schifffahrtsdirektion ist unsere Rechtsaufsichtsbehörde.

Lotsen tragen seit Jahrhunderten zum Wohlstand der Stadt bei. Gibt es vergleichbare Brüderschaften?

In der Organisationsform, in der wir unterwegs sind, ist mir nichts anderes bekannt. Die Lotserei geht zurück bis ins 14. Jahrhundert. In der Form, in der wir jetzt organisiert sind, sind wir seit 1952 nach dem aktuellen Seelotsgesetz unterwegs. 1957 haben sich die Lotsenbrüderschaft Cuxhaven und die Lotsenbrüderschaft Elbe zu einer Brüderschaft zusammengeschlossen.

Was hat sich in der langen Geschichte der Lotsen wesentlich verändert?

Da sind zunächst natürlich die Schiffsgrößen. Ein Wachstum, das auch auf die Wirtschaft zurückzuführen ist. Was sich bei der Lotserei im Wesentlichen verändert hat, ist die Tatsache, dass früher jeder für sich gelotst hat beziehungsweise jedes Dorf hatte seine eigene Lotsengruppe – die von der Bösch, die Cuxhavener Lotsen oder die Finkenwerder Lotsen. Aus diesen verschiedenen Gruppen, die teilweise auch in wirtschaftlicher Konkurrenz zueinander standen, hat sich dann letztendlich die Lotsenbrüderschaft entwickelt. Wir sorgen dafür, dass die Kollegen nicht in einer wirtschaftlichen Konkurrenz zueinander stehen.

Warum ist das so wichtig?

Wenn sie einen Lotsen unter wirtschaftlichen Druck stellen, dann ist die Sicherheit nicht mehr das oberste Gebot für ihn, wie überall in der Wirtschaft. Dann lassen sie eventuell schon mal Fünfe gerade sein, was den Bereich Sicherheit angeht. Das ist bei uns eben nicht der Fall.

Wenn ein Lotse ein Küstenmotorschiff erwischt und der Kollege ein 400-Meter-Containerschiff?

Wir packen alles in einen Topf und verteilen pro Schiffsanteil. Dadurch ist es irrelevant, ob ein großes oder kleines Schiff gefahren wird. Sonst wäre das Hauen und Stechen um die großen Schiffe immer heftig.

Ist der Druck für Lotsen größer geworden?

Die Schiffsgrößenentwicklung hat uns massiv beschäftigt. Ebenso beschäftigt uns die sich verändernde Qualität der Besatzung. Dass ich heute an Bord komme und Deutsch mit einem Besatzungsmitglied sprechen kann, ist so gut wie nicht mehr da. Wir sind hauptsächlich auf Englisch auf der Brücke unterwegs.

Früher hatten wir portugiesische und spanische Kollegen und heute sind es fernöstliche Kollegen oder aus den ehemaligen Ostblock- Staaten. Da sind ganz unterschiedliche Ausbildungskriterien und Kommunikationskriterien anzuwenden. Das hat sich massiv geändert.

Hat sich das Gefühl für die Sicherheit der Schiffe verändert?

Ein Familienreeder hatte acht oder neun Schiffe und hat diese wirklich als Investition gesehen, hat sich darum gekümmert, sich damit auseinandergesetzt. Das gibt’s heute überhaupt nicht mehr. Die Schiffe sind nur noch Mittel zum Zweck, zum Geld verdienen, zur Abschreibung. Aber sie sind längst nicht mehr das, was man als Schiff kennt, sondern es ist ein Transportmedium.

Kommt der Lotse dann manchmal auf Schiffe und denkt: Hoffentlich komme ich hier wieder heil runter?

Die technischen Sicherheitsstandards sind wirklich gut. Die Schiffe unterliegen einer sehr großen Kontrolle – extern. Die gesamte Wartung an Bord wird durch externe Firmen gemacht. Der technische Stand an Bord ist allgemein gut. Die Problematik ist, dass die Besatzung nicht mehr in der Lage ist, ihr Schiff selbst zu warten, weil sie mit der Komplexität der Geräte nicht mehr klar kommt.

Wo sehen Sie dafür den Grund?

Die haben keine Zeit. Wenn sie auf so einem großem Schiff mit 12 bis 14 Mann unterwegs sind, dann haben die ihre Arbeitszeit allein dadurch schon durch, dass sie ihre Checklisten abarbeiten. Bei der minimalistischen Besatzung ist ein zusätzliches Arbeiten nicht mehr möglich.

Das wird sich wahrscheinlich auch nicht mehr ändern, oder?

Die Reeder müssen ihre Schiffe wirtschaftlich fahren. Da mache ich ihnen auch keinen Vorwurf. Sie sparen überall da, wo sie meinen, sparen zu können. Das Outsourcen scheint günstiger zu sein, als mit mehr Besatzung zu fahren.

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Wann fährt ein Schiff ohne jegliche menschliche Begleitung über den Atlantik?

Möglich ist das heute schon. Ich sehe nur den wirtschaftlichen Gewinn nicht. Wenn sie so ein Schiff losschicken, dann müssen sie alles aufdoppeln, jede Menge Kommunikationselektronik reinstecken. Und wofür? Für sieben, acht Tage, die das Schiff über den Teich fährt? Dafür keine Besatzung? Die Besatzungen sind heutzutage so billig, das rechnet sich nicht, denke ich.

Dann bräuchte es aber keine Lotsen mehr.

Bei Schiffen auf freiem Wasser: ja. Aber bei Schiffen in engen Gewässern sind so viele Parameter zu beachten. Ich glaube nicht, dass die Technik da so gut ist, um die zu erkennen. In absehbarer Zeit vermute ich das nicht.

In Zeiten von 3D-Druckern kann man bald sicher vieles selbst produzieren. Das würde den Welthandel ja völlig revolutionieren.

Ja, das ist auch das Thema zur Fahrrinnenanpassung. Wenn sie Schuhe aus Indien kaufen, ein Hemd aus Vietnam anhaben, wenn sie den globalen Warenhandel mit dem DVD-Player aus Taiwan fördern, dann brauchen wir diesen Handel, diesen Transport. Wenn wir das nicht tun, wenn wir Schuhe aus Deutschland kaufen, wenn wir die Bettwäsche aus dem Alten Land holen, wenn wir die Äppel tatsächlich vom Baum pflücken, dann brauchen wir den globalen Wirtschaftsverkehr nicht – und auch nicht die großen Schiffe.

Macht Ihnen das manchmal Sorge, dass der Welthandel vielleicht zurückgeht? Dann würden weniger Lotsen gebraucht.

Ja natürlich, das beobachten wir ganz akribisch, denn wir müssen unsere Personalplanung daran anpassen. Was auf dem Fluss fährt, das ernährt uns. Wenn wir die Brüderschaft im Verhältnis zur Schiffsanzahl zu groß werden lassen, dann gibt es nicht mehr genügend Geld für die Kollegen.

Könnte viel Ladung nicht auch in Wilhelmshaven umgeschlagen werden?

Ein Drittel der umgeschlagenen Waren bearbeiten wir hier in Hamburg. Die Waren wollen nach Hamburg und nicht nach Wilhelmshaven, weil sie direkt in Hamburg bearbeitet werden. Dann haben wir hier eine riesige Bahnanbindung als Verteilerzentrum für Europa. Das Logistiknetz von Wilhelmshaven reicht einfach nicht. Wilhelmshaven eignet sich nur als Verteilerstandort, aber nicht als Ankunft.

Wie steht es um die Blankeneser Leuchttürme?

Die Leuchttürme müssen nur dann versetzt werden, wenn die Begegnungs-Box auch umgesetzt wird. Nur die Richtfeuer stellen dar, wo die Mitte der Trasse ist.

Für Laien ist es schwer verständlich, dass sich Lotsen immer noch nach Unter- und Oberfeuern richten, angesichts der ganzen Elektronik.

Es gibt nichts, das besser als Leuchttürme ist. Und es ist genauer als Satelliten. Laut der Kollisionsverhütungsregeln sind jegliche Hilfsmittel heranzuziehen. Aus dem Fenster gucken ist aber immer die erste Pflicht. Wenn das Wetter es zulässt, dann muss es auch völlig ohne Elektronik gehen.

Warum ist die Begegnungs-Box so wichtig?

Wir haben als Lotsen einen langen Weg von der Deutschen Bucht bis nach Hamburg zurückzulegen. Ungefähr die Strecke von Quickborn nach Hannover. Wenn man in Quickborn auf die Autobahn fährt und weiß, dass man bis Hannover niemandem begegnen darf, dass man nicht umdrehen und nicht anhalten kann, dann hat man ein Problem. Wir fahren also erst in den Fluss mit den großen Schiffen, wenn der Gegenpart wirklich abgelegt hat. Dieses Zeitfenster können wir mit der Begegnungs-Box entsprechend verkürzen und können die Planung viel genauer machen.

Was passiert, wenn der Abstand zwischen zwei Fahrzeugen zu dicht wird?

Wir haben die hydrodynamische Interaktion zwischen den Fahrzeugen, die sehr kräftig ist. Wir haben zwei Mal 180.000 Tonnen an Schiff, die sich begegnen und entsprechend Wasser verdrängen. Das heißt, die bewegen knapp 400.000 Tonnen an Wasser. Durch den Spalt zwischen den Schiffen entsteht ein Unterdruck, sodass sich die Fließgeschwindigkeit erhöht. Das saugt die Schiffe einfach an. Das darf nicht passieren und gilt es zu vermeiden.

Welche Rolle spielt der Schlick für die Lotsen?

Eine sehr große Rolle, weil sich die Morphologie des Flusses unter Wasser verändert. Das müssen wir immer beachten. Die Trasse muss ja gleich tief bleiben. Ich muss wissen, wo sich der letzte Schlick abgelagert hat und ob ich ein bisschen auf der falschen Seite der Radarlinie fahren muss. Auf der Straße guckt man auch, wo sich das Schlagloch gebildet hat und fährt drum rum.

Wie sieht es mit dem Nachwuchs aus?

Nachwuchsprobleme haben wir massiv. Wir müssen gucken, wie wir eine alternative Ausbildung gestalten. Da müssen wir ran.

Herr Lodemann, der KLÖNSCHNACK dankt für das Gespräch.

Gespräch: Helmut Schwalbach, Louisa Heyder

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