INTERVIEW DES MONATS
„Keine moralische Anweisung“
Sagen Sie mal …
Til Mette, Karikaturist
Til Mette zählt zu den populärsten Karikaturisten Deutschlands. Seine Cartoons erscheinen seit 1995 wöchentlich im „Stern“. In diesem Monat feiert der in Iserbrook lebende Künstler seinen 60. Geburtstag.
Den habe ich nicht. Ich finde immer die letzten Sachen, die ich gezeichnet habe, gut. Die anderen vergesse ich immer so schnell. Ich kann mir auch keine Witze merken – leider.
Sie zeichnen und texten seit Jahrzehnten. Woher kommen immer wieder die Ideen?
Ich zeichne schon mein Leben lang, beruflich seit 1985. Wenn ich keine Idee habe, sitze ich so lange, bis eine Idee kommt.
Ihre Arbeit ist jede Woche im „Stern“ zu sehen …
Seit mittlerweile 20 Jahren zeichne ich für den „Stern“. Dadurch ist die Woche strukturiert. Es gibt eine Deadline, einen Abgabetermin. Dabei habe ich die große Freiheit, das Thema selber zu bestimmen.
Sehen Sie die Tagesschau und finden so ein Thema?
So funktioniert das nicht immer, da ich mit zwei Wochen Vorlauf arbeite. Ich gebe ab und bis es am Donnerstag im Heft landet und am Kiosk ist, vergehen fast zwei Wochen. Das heißt, ein Thema, das abends in der Tagesschau gelaufen ist, hat man manchmal einfach vergessen. Oder es ist ein anderes Thema dazugekommen, was viel wichtiger ist. Dann schlägt man den „Stern“ auf und fragt sich: Hat Mette den Schuss nicht gehört? Da gewöhnt man sich eine bestimmte Art zu sehen an, die man nicht von Anfang an kann. Das ist die Einschätzung eines Themas – ob ein Thema länger hält oder nicht.
Das Thema Burka etwa hält sich derzeit seit Längerem.
Zurzeit machen sehr viele Zeichner und Satiriker etwas zum Thema Burka. Wenn man da nicht eine außergewöhnlich gute Idee hat, ist man einer von Hunderten. An dem Thema gibt es ja auch viel Absurdes. Ich habe in Deutschland zum Beispiel noch nie eine Burka gesehen. Noch nie!
Wann kommen Ihnen die Ideen?
Wenn man in diesem Beruf arbeitet, ist immer eine Grundalarmstimmung vorhanden. Ich schaue in den Kalender und der Deadlinedruck wird immer stärker. Dann fokussiert man sich besser und je größer der Druck, desto intensiver ist die Arbeit. Wenn ich zu entspannt werde, wird es nichts. Aber es gibt immer die Versagensangst, dass einem nichts einfällt oder nur Schrott dabei herauskommt. Die wird auch nicht geringer.
In Deutschland ist Humor häufig verknüpft mit einem höheren, ethischen Anspruch. Das macht es oft etwas langweilig. Trauen sich Karikaturisten in Frankreich oder England mehr?
Die Behauptung finde ich interessant und würde ich gerne belegt sehen. Ich habe lange in den USA gewohnt und kann den amerikanischen Humor ungefähr vergleichen. Da ich kein Französisch kann, habe ich das große Manko, keinen wirklich tiefen Einblick in die französische Satire, in Cartoons und die Humor-Szene zu haben.
Ich habe das behauptet, weil ich mich eingelesen habe und mir nach den Angriffen auf Charlie Hebdo sehr viel habe übersetzen lassen. Ich habe aber auch vorher schon verfolgt, was in Frankreich läuft, weil ich mit französischen Zeichnungen groß geworden bin, die hier in deutscher Sprache publiziert wurden. Ich interessiere mich lebenslänglich für Zeichner. Ich weiß, was in Belgien gezeichnet wird, ohne Flämisch zu können. Ich weiß auch ungefähr, was in Osteuropa gezeichnet wird, ohne Polnisch oder Tschechisch zu sprechen. Ich habe ungefähr einen Blick, aber genaue Kenntnisse habe ich über die USA. Wenn man da die Spannbreite dessen sieht, was man dort unter Humor versteht, gibt es eine Riesenspannbreite.
Wo ordnen Sie Ihre Karikaturen ein?
Innerhalb dieses großen Blocks an Humor arbeite ich in der ganz kleinen Sparte des sozialen Cartoons. Im Englischen heißt er Social Cartoon – der Stil der Cartoons des New Yorkers. Innerhalb dieses Stils ist es wieder aufgefächert: Es gibt zum Beispiel Zeitungskarikaturisten, die im Englischen Editorial Cartoonists heißen – hier heißen sie politische Karikaturisten. Wenn man das vereinfachen will, kann man sagen: Der Cartoon in Deutschland ist wie die Comedy und die Karikatur ist wie das Kabarett. Das moralisierende Kabarett, das eine politische Aussage mit einem Zeigefinger hat. Der Cartoon hat nicht diese Zielgerichtetheit, sondern soll in erster Linie komisch sein. Man soll darüber lachen, es ist keine moralische Anweisung damit verbunden.
Gibt es Bereiche, über die Sie keine Cartoons zeichnen würden?
Grundsätzlich nicht. Das ist auch eine komische Art zu denken. Die Arbeit ist eigentlich immer positiv: Fällt mir zu dem Thema etwas ein? Dann ja.
In Deutschland dürfen nur Juden Witze über Juden machen.
Der jüdische Witz ist ja definiert als der Witz der Juden. Ich bin kein Jude, deshalb mache ich keinen jüdischen Witz. Aber ich mache Witze über Juden oder zum Thema Juden. Das ist ein Unterschied. Ich mache natürlich auch Witze zum Thema Rollstuhl, zum Thema Muslime, Islamismus, zum Thema Behinderte, zum Thema Schwule und Lesben.
Geraten Sie dabei nicht gelegentlich in einen Konflikt mit den politisch Korrekten?
Natürlich dürfen wir uns lustig machen über alles. Nur weil irgendwelche Moralprediger von der Rechten oder Linken diese Diskussion anzetteln, müssen wir doch nicht vorauseilend einknicken und das nicht mehr machen. Natürlich machen wir das! Das ist unser gutes Recht und das ist unser Beruf. Ich habe das Glück, dass meine Chefredaktion vom „Stern“ mich auch lässt. Klar bekomme ich beschissene Briefe. Ich bekomme sie aber oft aus dem Lager des eher linken Spektrums der Leser.
Gibt es so etwas wie niveauvolles Lachen?
Das ist eine komplexe Frage. Robert Gernhardt hat sich immer gegen das altdeutsche, humanistische Gymnasium der 50er, 60er Jahre gewehrt. Seine neue „Frankfurter Schule“ ist eigentlich ein Pennälerwitz. Das Aufmucken gegen die autoritäre Schulstruktur. Daraus kommt dieser antiautoritäre Witz. Auch die Sprache ist Pennälersprache. Diese Art hatte sich jedoch mit den Lehrern der 68er-Bewegung erledigt. Das funktionierte nicht mehr. Ich bin ein Nachgeborener und dafür zu jung. Ich habe daher eine andere Perspektive entwickelt, die von vornherein internationaler ausgerichtet war. Beim niveauvollen Humor muss man eine intellektuelle und kulturelle Basis haben. Man muss Fremdsprachen kennen, man muss was gelesen haben. Von durchgeknallten Islamisten werde ich nicht bedroht, weil die die Zeichnung gar nicht verstehen. Es sind Leute, die in ihrem kleinen Kreis sind, die lesen nicht den „Stern“, die lesen wahrscheinlich auch nicht den Klönschnack, die verstehen nicht, was daran lustig oder provozierend sein soll. Die sind einfach zu blöd.
Dann erreichen Sie, wie viele andere Kabarettisten auch, aber nur die, die ohnehin schon Bescheid wissen.
Diese Einsicht teile ich, aber es hat 40 Jahre gebraucht, das zu erkennen. Wenn man jung ist, glaubt man, man kann mit Zeichnungen die Welt verändern. Nachdem man es 20, 30 Jahre gemacht hat, merkt man, dass man nur Zeichnungen für das eigene Klientel macht. Das ist eine Sache der Erfahrung. Sie ist desillusionierend. Das verhindert, dass man eine gewisse Hybris entwickelt, die einem dann den Boden unter den Füßen wegzieht.
Gibt es auch Themen, die gänzlich verschlissen sind?
Ich denke das jedes Mal, wenn Weihnachten kommt und die gesamte Adventszeit. Alle Feiertage, Routinesachen, Urlaub – da denke ich jedes Mal, jetzt kommt das schon wieder.
Muss ein Karikaturist zwangsläufig auch ein Humorkritiker sein?
Ja, wahrscheinlich. Ich kenne keinen, der es nicht ist.
Gab es schon einmal den Fall, dass eine Ihrer Zeichnungen abgelehnt wurde?
Ja, das hat es schon gegeben. Aber das war auch immer nachvollziehbar. Ich hatte zuletzt eine Karikatur darüber gemacht, dass auf Facebook beim Tod eines Promis alle gefühlsduselig anfangen R.I.P. zu posten. Die Karikatur war schon fest eingeplant, als das Attentat in München passierte. Da konnte man natürlich nicht über R.I.P. lachen. Die Zeichnung wurde dann ausgetauscht und nach hinten verschoben.
Sie haben lange in Amerika gelebt. Wie war der Wechsel nach Hamburg-Iserbrook?
Nach 15 Jahren Amerika – wir sind auch Staatsbürger geworden, haben zwei Kinder adoptiert – war es völlig unklar, ob wir überhaupt nach Deutschland zurückgehen. Unser ganzer Lebensmittelpunkt war in den USA. Zuerst haben wir in Brooklyn gewohnt, danach in Montclair in New Jersey. Da haben wir auch ein Haus gekauft. Aufgrund unserer krank gewordenen Eltern sind wir dann zurück nach Deutschland. Wir sind sehr verhalten zurückgekommen. Wir haben uns Gott sei Dank dazu entschieden, in den Hamburger Westen zu ziehen, ohne Hamburg vorher zu kennen. Wir saßen unten am Treppenviertel und eine große Containerwand fuhr vorbei. Da war es für uns klar.
Herr Mette, der KLÖNSCHNACK dankt für das Gespräch.