SCHULE
Hätten Sie’s gewusst?
DIE ABITUR-PRÜFUNG
Das hier ist keine Simulation und auch keine Satire. Auf den folgenden Seiten finden Sie echte Hamburger Abiturfragen aus den 90er- und 00er-Jahren, Fragen, die in abgewandelter Form auch heute noch gestellt werden könnten. Sie sind in den Gebieten Mathematik, Biologie und Philosophie angesiedelt und wurden von der Schulbehörde zur Lehrerfortbildung und zum Üben für Schüler veröffentlicht. Eine Abiturfrage kann mehrere Seiten beinhalten. Sie besteht mitunter aus einem einleitenden Text, Erklärungen, Skizzen, Abbildungen etc. Da ein KLÖNSCHNACK-Artikel seine Grenzen hat, wurden eher kurze Fragen ausgewählt (und diese teilweise noch gekürzt).
Am Ende einer jeden Aufgabe erfolgt eine profunde Einschätzung der Aufgabe durch die KLÖNSCHNACK-Redaktion sowie die Anzahl von Redakteuren, die mit der Aufgabe zurande gekommen wären.
Achtung! Einige Leser werden sich am Ende dieses Artikels nicht als hellste Kerze auf der Torte fühlen. Vor Kurzschlusshandlungen bedenken Sie aber, dass das Leben auch ohne bestandene Abiturprüfungen Spaß machen kann.
Philosophie I
Vor einigen Jahren hat das oberste Gericht des Staates Israel der Polizei die Folterung von Gefangenen erlaubt unter der Bedingung, dass durch diese Maßnahme Terroranschläge verhindert werden könnten.
– Stellen Sie die ethische Position Kants und die des Utilitarismus dar und zeigen Sie, wie aus der Perspektive dieser beiden Positionen der Spruch des israelischen Gerichts jeweils einzuschätzen ist.
– Stellen Sie Ihre eigene Meinung zu diesem Gerichtsurteil dar und begründen Sie sie in Auseinandersetzung mit den Kantischen und utilitaristischen Argumenten.
Einfach. So etwas wird in Schülerkreisen als „Laberfrage“ tituliert und gelöst. Mindestens drei Redakteure hätten reüssiert.
Diese Aufgabe beginnt mit dem Gedicht „Prometheus“ von Goethe. Wer hier weiterkommen will, zwingt sich zunächst zur aufmerksamen Lektüre einer jeden Zeile und verharrt danach andächtig vor dem Gemälde Michelangelos (oben).
Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst!
Und übe, Knaben gleich,
Der Disteln kopft,
An Eichen dich und Bergeshöhn!
Musst mir meine Erde
Doch lassen stehn,
Und meine Hütte,
Die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.
Ich kenne nichts Ärmer’s
Unter der Sonn’ als euch Götter.
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren.
Da ich ein Kind war,
Nicht wusst’, wo aus, wo ein,
Kehrte mein verirrtes Aug’
Zur Sonne, als wenn drüber wär’
Ein Ohr, zu hören meine Klage,
Ein Herz wie meins,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.
Wer half mir wider
Der Titanen Übermut?
Hast du’s nicht alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz?
Und glühtest, jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden dadroben?
Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Tränen gestillet
Je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herrn und deine?
Wähntest du etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehn,
Weil nicht alle Knabenmorgen-
Blütenträume reiften?
Hier sitz’ ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, weinen,
Genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich.
1. „Die Erschaffung des Adam“ – so nennt man das berühmte, 1511 vollendete Fresko Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle (Rom, Vatikan). Klären Sie, welches Menschenbild Michelangelos Darstellung zugrundeliegt; gehen Sie dabei auch auf die Rede Pico della Mirandolas „Über die Würde des Menschen“ (1486) ein.
2. Vergleichen Sie das unter 1. rekonstruierte Menschenbild mit demjenigen, das in Goethes Gedicht „Prometheus“ (1777) zum Ausdruck kommt.
3. Überprüfen Sie, ob diese beiden anthropologischen Archetypen – „Adam“ und „Prometheus“ – dazu geeignet sind, das Selbstverständnis des Menschen in der Gegenwart zu klären.
Eine Aufgabe wie ein Bildungsurlaub! Versüßt durch Lyrik, Architektur und Kunst. Interessanter Hinweis auf Paco Pico. Zwei Redakteure siegesgewiss.
Seit der Entdeckung des Riesenpandas (Ailuropoda melanoleuca) im Jahr 1869 sind mehr als 40 Abhandlungen über die systematische Zuordnung dieser Art erschienen. Teils wurde er zu den Großbären (z.B. Braunbär) teils zu den Kleinbären (z.B. Waschbär), gerechnet oder gar in eine eigene Familie gestellt. Bei ähnlichen Körpermerkmalen der verschiedenen Bären war es schwierig zu unterscheiden, ob diese Merkmale homolog oder analog sind.
1. Definieren Sie die Begriffe „Homologie“ und „Analogie“ und erläutern Sie dazu kurz jeweils ein Beispiel aus dem Bereich der Zoologie und der Botanik!
2. (…)
3. Für die Stammbaumanalyse wurde das Erbgut verschiedener Bärenarten mithilfe der DNS-Hybridisierung untersucht. Hierzu wird die DNS einer Bärenart in Einzelstränge getrennt und mit ebenfalls einsträngiger DNS einer anderen Bärenart gemischt. Die DNS-Einzelstränge beider Arten können sich anschließend zu Hybriden, also gemischten DNS-Doppelsträngen, vereinen.
Erläutern Sie anhand einer ausführlich beschrifteten Skizze den Aufbau der DNS und stellen Sie dazu das oben erläuterte Prinzip der „DNS-Hybridisierung“ dar!
4. Der Riesenpanda ist auf China beschränkt. Er besiedelte noch vor 50 Jahren ein großes zusammenhängendes Gebiet mit Hochgebirgswäldern und Buschdickichten. Durch ständiges Abholzen wurden daraus in den letzten Jahren immer kleinere Rückzugsgebiete (…).
Geben Sie eine begründete Prognose, wie die Evolution des Riesenpandas unter der Voraussetzung weiterlaufen könnte, dass die jetzigen Lebensräume erhalten bleiben und der Mensch nicht weiter in die Pandabestände eingreift!
Begründete Prognosen sind, wenn sie die Zukunft betreffen, enorm schwierig. Ein Redakteur u.U. erfolgreich.
„Geben Sie eine begründete Prognose, wie die Evolution des Riesenpandas weiterlaufen könnte!“
Iterative Mathematik. Gegeben ist die reelle Funktionenschar mit dem reellen Parameter k gk:x→x2+k.
Diese Funktionenschar soll auf ihr Verhalten unter Iteration untersucht werden, mit anderen Worten, es geht um das Feigenbaum-Diagramm dieser Funktionenschar (…)
1. Machen Sie sich mit der Schar vertraut – skizzieren Sie für einige (vielleicht vier) k- Werte den Graphen der jeweiligen Funktion. Bestimmen Sie – in Abhängigkeit von k – Nullstellen und Extrema; Sie werden dieses Wissen noch benötigen.
2. Welche Fixpunkte haben – in Abhängigkeit von k – die Funktionen gk?
3. Für welche k-Bereiche sind diese Fixpunkte jeweils attraktiv, für welche repulsiv?
4. Welche Startwerte würden Sie für die Iteration wählen? (Mit anderen Worten: Geben Sie jeweils den Attraktionsbereich an.)
5. Bei welchem k tritt die erste Bifurkation im Feigenbaum-Diagramm der gk auf? (Sie sollten hier wirklich nachweisen, dass es sich um eine Bifurkation handelt!)
6. Wo ist der Übergang vom Quasi-Chaos zum Chaos? Welchen k-Bereich umfasst also das Feigenbaum-Diagramm?
7. Bei welchem k tritt die zweite Bifurkation im Feigenbaum-Diagramm auf?
8. Schließlich – wie sieht das Feigenbaum-Diagramm im Wesentlichen aus?
Die Aufgabe stellt keine größeren Schwierigkeiten dar, wenn der Begriff der iter… iteraktiven (?) Mathematik ansatzweise bekannt ist. Redaktion flieht.
Wer alles richtig hat und vor Stolz kaum noch laufen kann, sollte Folgendes bedenken: Abitur ist in Hamburg Standard. Insgesamt legen über 55 Prozent eines Jahrgangs die Abiturprüfung ab. 2014/2015 waren dies insgesamt 8.855 Schülerinnen und Schüler. 2.844 davon besuchten Stadtteilschulen, 5.841 Gymnasien und 170 eine Rudolf-Steiner-Schule.
Autor: tim.holzhaeuser(at)kloenschnack.de