29. September 2016
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Hauptsache dagegen!

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EGO-PROTEST

Hauptsache dagegen!

GASTKOLUMNE: Ego-Protest schadet unserer Stadt

Matthias Onken FOTO: JAN NORTHOFF
Matthias Onken FOTO: JAN NORTHOFF
Matthias Onken, Journalist und Inhaber einer Beratungsagentur für Unternehmen, Verbände und Politiker, über die Protestkultur und ihre Auswirkungen.

Meine ersten Lebensjahre habe ich in Blankenese verbracht. Genauer gesagt in Dockenhuden. Dort engagierten sich Ende der 70er Jahre eine Menge Leute gegen den Bau des Atomkraftwerks Brokdorf. Meine Eltern gehörten dazu. Sie nahmen mich mit zu Fahrradtouren der Kernkraftgegner. Das AKW Brokdorf ging trotz des Widerstands Hunderttausender 1986 in Betrieb. Wäre das auch passiert, wenn es einen Volksentscheid gegeben hätte? Und welche Gemeinde hätte den Atommeiler dann anstelle von Brokdorf vor die Nase gesetzt bekommen? Hypothetische Fragen, denn die direkte Bürgerbeteiligung gab’s damals noch nicht in heutiger Form.

Meine Eltern, ihre Freunde und unsere Nachbarn setzten sich aus tiefer Überzeugung zur Wehr. Es ging um mehr als ein Bauvorhaben. Es ging um politischen und gesellschaftlichen Wandel. Deshalb gingen aus der Anti-AKW-Bewegung die Grünen hervor. Damals von den etablierten Parteien noch als Spinnkram belächelt, fußen ihre Programme heute nicht nur beim Umweltschutz auf fundamental grünen Sichtweisen.

Und wer protestiert heute? Meist Partikularinteressierte. Die Devise scheint die immer gleiche zu sein: Hauptsache dagegen – wenn der persönliche Nutzen eines Projekts nicht greifbar ist. Der Wert für die Allgemeinheit spielt kaum mehr eine Rolle. Mal wehren sich Bürger gegen ein zu großes Wohnquartier, mal gegen ein neues Bürohaus, woanders sind es Unterkünfte für Flüchtlinge oder der Abriss alter Bausubstanz.

„Gentrifizierer der ersten Generation bekämpfen die der nächsten …!“

Einer Online-Petition (das ist Protest per Mausklick) folgt eine Anwohnerinitiative. Vier, fünf Leute sind das meist im Kern. Mindestens einer ist besonders betroffen, zum Beispiel als Nachbar. Er investiert viel Zeit und nicht selten auch Geld – üblicherweise wird er das Sprachrohr. Die Stimmung ist bei den meisten Protesten hochemotional. Das Bauvorhaben wird mithilfe einseitiger Darstellung skandalisiert, der Aufstand von der Presse mit unterstützender Berichterstattung goutiert: hier die Bürger, dort Politik und Investoren. Ein ungleiches Duell, in dem die Rollen Gut und Böse klar verteilt sind.

Immer häufiger enden solche Initiativen in Bürgerentscheiden. Dafür gibt es in Hamburg keine Quoren. Die einfache, oft nicht repräsentative Mehrheit gewinnt. Deshalb folgt auf die Abstimmungen oft Frust auf allen Seiten.

Ein Beispiel aus unserem Bezirk ist der Neubau auf dem Zeise-Parkplatz in Ottensen. An der Ecke Behringstraße/Friedensallee entsteht gerade ein moderner Klinkerbau, in den 850 Mitarbeiter von Kreativ-Agenturen einziehen werden. 20 Jahre lang hatte der Bezirk erfolglos versucht, dort gezielt ausschließlich Gewerbe anzusiedeln. Um die Brache endlich zu nutzen, sollte die Fläche per Ausnahmegenehmigung mit einem Mix aus Läden, Büros und Wohnungen bebaut werden.

Just ein paar Wochen nach Zustimmung der Politik meldete das Agentur-Netzwerk WPP Interesse an, ihre Hamburger Firmen eben auf das Zeise-Areal zu verlegen. Die Last-Minute-Chance auf das reine Gewerbeprojekt. Weil dies nicht sofort öffentlich gemacht wurde, witterten einige Anwohner Mauschelei. Der Vorwurf hielt keiner tiefgreifenden Recherche stand, gereichte der Initiative jedoch zum Wahlkampf-Hit für den erkämpften Bürgerentscheid.

Die Initiative gewann ihn klar. Allerdings hatten sich keine 20 Prozent der Bürger beteiligt. Bei Lichte betrachtet wehrten sich nur rund 12 Prozent der Wahlberechtigten gegen den Bürobau, der aufgrund des geltenden Baurechts ohnehin nicht zu verhindern war, zudem längst Gestalt angenommen hatte.

Die Gegner hatten mit dringend benötigten Wohnungen, mehr Verkehr und steigenden Mieten aufgrund der zusätzlichen Firmen argumentiert. Alles nicht belegbare Hypothesen, die aber diffuse Ängste schürten. Der Sprecher der Initiative (selbst ein Werber) hatte – so kam heraus – vergeblich versucht, direkt neben dem Areal ein Medienzentrum für Agenturen zu eröffnen. War der Stachel des Scheiterns der wahre Antrieb für seinen engagierten Protest? Seine Glaubwürdigkeit jedenfalls untermauerte die persönliche Betroffenheit nicht.

Als Berater der Investoren gewann ich tiefen Einblick in diesen wohl typischen Fall hyperlokaler Proteste gegen Stadtentwicklung. Auch in Ottensen war von Gentrifizierung, also der Aufwertung von Quartieren für Wohlhabende, die Rede. Auffällig dabei war, dass viele Kritiker selbst Hinzugezogene waren. Wenn man so will: Gentrifizierer der ersten Generation bekämpfen die der nächsten. Wo Veränderung zum eigenen Vorteil gestern noch in Ordnung war, soll es von nun an so bleiben, wie es ist. Wer in die Nachbarschaft passt und wer nicht, wollen die bestimmen, die selbst auch erst seit ein paar Jahren da sind.

Solche Ego-Proteste sind Gift für den Wandel unserer Stadt. Veränderung hat sie geprägt und sollte sie auch künftig prägen. Stillstand wäre grundverkehrt. Stets dagegen zu sein, gleich um was es gerade geht, mag en vogue zu sein – besonders verantwortungsvoll und zukunftsweisend ist ein solches Verhalten nicht.

Matthias Onken 

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