INTERVIEW DES MONATS
Hot Jazz in den Genen
Sagen Sie mal …
… Abbi Hübner, Musiker
Als einer der profiliertesten Musiker des traditionellen Jazz hat Abbi Hübner weltweite Bekanntheit bei den Fans des Genres erlangt. Seine Low Down Wizards feierten 2014 ihr 50. Jubiläum.
Dieser Satz ist nicht mehr so berechtigt, da ich an der Weisheit des Alters teilnehme. Früher war ich schon recht streng, auch mit meinen Mitmusikern. Da gab es Entlassungen direkt vom Podium weg.
Damit macht man sich Freunde …
Mir wurde auch nachgesagt, ich hätte mal einen Klarinettisten zurechtgewiesen. Er beschwerte sich über die Lautstärke eines Klavierspielers und ich soll gesagt haben: „Was laut und leise ist in dieser Kapelle, bestimme ich.“
(Lacht) Ich wäre stinksauer gewesen. Letztlich haben Sie es aber geschafft, die Leute bei der Stange zu halten.
Unsere Melodiegruppe, Klarinette, Trompete und Posaune, spielt seit 50 Jahren zusammen in einer Band, das ist weltweit einmalig. Das hat es nie gegeben und das wird es wohl auch nie wieder geben.
In diesen 50 Jahren ist aus Abbi Hübner auch ein Eintrag in einschlägigen Lexika geworden. Hier ist zum Beispiel vom frühen Tod des Vaters zu lesen, ausgebombt, ein Leben im Wohnwagen. Klingt sehr nach Jazz.
Ich war wohl der ärmste Schüler Hamburgs und auch der ärmste Student. Das hatte aber auch Vorteile. Ich habe meine handwerklichen Fähigkeiten entwickelt, habe im Hoch- und im Tiefbau gearbeitet und auch nicht nur ein paar Tage, sondern in den Semesterferien durchgehend. Wir hatten tatsächlich ein Behelfsheim und auch da war ein Handwerker gefragt. Später habe ich einen Job als Transportpfleger gehabt, im Krankenhaus Wandsbek. Nach einem Vierteljahr wusste ich: Ich studiere Medizin. Mit einem betuchten Vater, ohne diesen Job, wäre ich nie auf die Medizin gekommen.
Später mussten Sie sich entscheiden: weitere Spezialisierung als Mediziner oder Profimusiker. Fiel Ihnen die Entscheidung schwer?
Nein. Ich hatte einmal während einer Beurlaubung ein Angebot von einem befreundeten Klarinettisten, hier in Hamburg, über sechs Monate. Danach kam ein Anschlussengagement und so konnte ich ein dreiviertel Jahr das Leben eines Profimusikers ausprobieren. Das hat mich schockiert. Ich konnte die Musik, die ich liebte, nicht so spiele, wie ich wollte. Ständig hieß es: Spielt nicht so laut, spielt nicht so leise, spielt Tango. Dann gab es Ungezogenheiten von Gästen, die sich vor Freundinnen wichtig machen wollten und an den Instrumenten herumschüttelten. Ich bin dann ausgestiegen, in aller Freundschaft, und habe weiter studiert.
Die Armut von Jazzmusikern ist sprichwörtlich. Ist das nicht deprimierend, wenn man sich eine Nacht lang abrackert und dann nur 50 Euro bekommt?
Nein. Ich habe es immer als unglaubliches Geschenk des Schicksals betrachtet, dass ich in der Lage war, mitzuspielen, dass ich akzeptiert wurde, auch von berühmten Musikern. Wir haben mit Pionieren dieser Musik zusammengespielt, mit George Lewis und Kid Ory … Von diesen Leuten hat mir keiner in den Hintern getreten und mir zu verstehen gegeben, dass er mich lieber im Publikum hätte.
Ja, ich habe mit Freuden gehört, dass auch wieder getanzt wird. Als wir anfingen, wurde überall getanzt. Das hörte dann auf. Irgendwann kamen wieder Leute zu uns und baten um die Erlaubnis, tanzen zu dürfen. „Wir freuen uns!“, haben wir gesagt. Diese Musik hatte in New Orleans immer die Funktion einer Tanzmusik gehabt. Jazzkonzerte hat es in New Orleans in den Anfangszeiten nicht gegeben.
Wie hat sich Ihr Publikum über die Jahrzehnte geändert?
Ganz einfach: Es ist mit uns alt geworden. Ich frage mich, wo die Kinder und Jugendlichen heute Hot Jazz hören sollen. Diese Musik wird totgeschwiegen. Wenn über mich etwas in der Zeitung steht, dann bin ich 70 oder 80 geworden. Wenn über die Kapelle berichtet wird, dann ist sie gerade 40 oder 50 geworden. Wir hatten früher das unglaubliche Glück, diese Musik von morgens bis abends in den englischen und amerikanischen Soldatensendern hören zu können. Ich bin ein Kind des BFN.
Haben Sie Kontakt zu Modern- Jazz-Musikern, oder gibt es da Animositäten?
Es gibt keinen Kontakt. Ich glaube, das ist genetisch determiniert. Ich kenne nicht einen einzigen Musiker, der mit traditionellem Jazz angefangen hätte und irgendwann beim modernen gelandet wäre. Umgekehrt genauso. Dabei hatten wir die freie Auswahl. Beim BFN konnten Sie damals ja auch schon Miles Davis hören und Dizzy Gillespie.
Fraktionsweise. Nicht immer alle, aber manchmal ist es schön, Stücke zu arrangieren, sie im Satz zu spielen und das muss geübt werden.
Üben Sie selbst noch täglich?
Ja. (Hübners Frau schaltet sich ein: „Fragen Sie ihn, wo!“)
Wo?
Nun ja … (lacht). Vorm Fernseher. Um acht geht’s los und dann mindestens eine Stunde. Eigentlich müsste ich mehr üben. Das ist wie bei Sportlern. Wenn Sie das Niveau halten wollen, müssen Sie mit jedem Jahr mehr tun.
Sonst kommt die Jazzpolizei. Gibt es diese sprichwörtliche Truppe wirklich?
Ja. Die ist man selbst. Als wir angefangen haben, waren wir absolut bornierte Puristen. Alles, was auch nur ein bisschen von der klassischen alten Linie abwich … Ich hätte es damals nie gewagt, Armstrong zu imitieren.
Was Sie heute tun.
(lacht) Ja, aber früher hätte ich mich selbst dafür rausgeschmissen. Neulich habe ich „Buona Sera“ gesungen (lacht schallend).
Neben der Musik beschäftigen Sie sich mit Lyrik und Parodien. Wann fing das an?
Das fing in der Schule an mit Gedichten wie Schillers „Ring des Polykrates“. Er stand auf seines Daches Zinnen und pinkelt mit vergnügten Sinnen in alle seine Regenrinnen …
Ja, allerdings. Sie können es sich nicht mehr vorstellen, was es damals bedeutet hat, wenn im NWDR ein bunter Nachmittag stattfand, großer Sendesaal, Heinz Erhardt trug eines von seinen Gedichten vor. Ich merkte mir die Zeilen und trug sie dann am Montag in der Schule vor.
Als KLÖNSCHNACK-Buch ist nun „Spaß- und ParOdiesvogel“ von Ihnen erschienen. Parodierte Lyrik-Klassiker. Muss ich die Originale kennen, um das Buch zu lesen?
Sie werden dann mehr Spaß daran haben. Das Buch könnte aber auch Menschen, die mit den Klassikern noch nicht viel anfangen konnten, dazu bringen, mal reinzusehen in die Originale.
Herr Hübner, vielen Dank für das Gespräch.
Autor: tim.holzhaeuser(at)kloenschnack.de