VOR GERICHT
Kaleidoskop des Lebens
Aus dem Amtsgericht
Manchmal schlägt das Leben Purzelbäume. Gründe hierfür gibt es viele. Mal geht eine Liebe verloren wie ein Schal oder Regenschirm. Menschen greifen dann gern zu alkoholischen Getränken, Koks oder Tabletten. Bei anderen sind die Wünsche größer als das Portemonnaie. Sie stehlen, betrügen, rauben. Einige benutzen grobes Werkzeug oder auch nur ihre langen, listigen Finger. Wieder andere fallen im Straßenverkehr unangenehm auf, fahren zu schnell, prügeln auf Widersacher ein oder machen sich nach einem Unfall davon.
Auch Wirtschaftsbosse und Politiker wollen gelegentlich Ansehen und Macht auf eine Art vergrößern, die der Gesetzgeber nicht vorsieht. Werden diese Missetaten aktenkundig, schreibt der Staatsanwalt eine Anklageschrift und Richter müssen zu einem Urteil kommen.
Während Angeklagte und Zeugen geladen werden, erscheinen Juristen freiwillig im Gerichtssaal. So freiwillig, wie sie sich für das Studium der Rechtswissenschaften entschieden haben. Nun ist die Geschichte der Juristerei voller Gehässigkeiten. Keine andere Zunft muss sich so fieser Anwürfe erwehren. Schon der Humanist Erasmus von Rotterdam spottete 1515 über die Akademiker, niemand sei so eingebildet wie sie. „In Wirklichkeit wälzen sie nur den Stein des Sisyphos.“ Von Martin Luther über Goethe bis hin zu Otto von Bismarck wird über Juristen gelästert. Um stets zu wissen, mit wem er es zu tun hat, erteilte der Soldatenkönig Friedrich Wihelm I. im Jahr 1726 das Dekret: „Wir ordnen und befehlen hiermit allen Ernstes, dass die Advocadi wollene schwarze Mäntel, welche bis unter das Knie gehen, unserer Verordnung gemäß zu tragen haben, damit man die Spitzbuben schon von weitem erkennt.“
„Bratenwender der Gesetze“
Heinrich Heine spottete in den „Memoiren des Herren Schnabelewopski“ über Juristen als „Bratenwender der Gesetze, die solange die Gesetze wenden und anwenden bis ein Braten für sie dabei abfällt“.
Die Reihe mit Sottissen und Bonmots ließe sich beliebig fortsetzen.
Dabei sind die Charaktere von Juristen heute so vielfältig wie in anderen staatstragenden Disziplinen. Wobei zwischen Richtern, Anklagevertretern und Verteidigern unterschieden werden muss. Besonders vielfältig verhalten sich Anwälte, was an einigen Fällen deutlich wird.
Fall 1:
Wie eingangs schon erwähnt, ist eine Liebe manchmal perdu wie ein Regenschirm. Und selbst die romantischste Liebe endet vor Gericht. So wie im vorliegenden Fall, der vor einigen Jahren in Blankenese verhandelt wurde.
Bei dem Ehepaar Steiner* ging es, wie bedauerlicherweise häufiger in Beziehungen, um Geld, zugeschlagene Türen und Ohrfeigen. Bereits Monate zuvor musste sich der Ehemann vor dem Gericht verantworten, weil er seine Frau misshandelt haben sollte.
Nun sitzt die Ehefrau auf dem Angeklagtenstuhl, weil die damaligen Vorwürfe falsch gewesen sein sollen. Sie sei mit der Faust ins Gesicht geschlagen worden. Zudem habe ihr Mann mit dem Schlüsselbund nach ihr geworfen. Ärztliche Atteste belegen Blutergüsse im Gesicht. Unklar bleibt, wie sie entstanden sind.
Wie so häufig, steht Aussage gegen Aussage. So wird die Angeklagte, wie schon der zuvor beschuldigte Ehemann, freigesprochen.
Warum gerade dieser Fall erzählt wird? Er macht deutlich, mit welchen, für Außenstehende läppisch erscheinenden Fällen sich Gerichte befassen müssen. Und wie überflüssig viele Verfahren sind. Sie werden geführt, weil die Beteiligten rachsüchtig, verschlagen oder nur verletzt sind.
Hier gilt ähnliches wie bei den Juristen. Wobei die deutlich seltener mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Die Charaktere der Angeklagten, es sind deutlich mehr Männer als Frauen, sind so bunt wie das Leben außerhalb eines Gerichtssaales.
Wer zum ersten Mal einen Gerichtssaal betritt ist zunächst meist verunsichert, blickt erstaunt um sich, wenn auf den Zuhörerbänken Menschen sitzen, die er nie gesehen hat.
Ebenso geht es ihm mit dem Gerichtspersonal. Hat er einen guten Verteidiger, dann ist er ein wenig auf die Situation vorbereitet. Ein armer Teufel hingegen ist ganz auf sich gestellt.
Angeklagte, die schon eine längere Karriere als Kriminelle hinter sich haben und helle im Kopf sind, wissen genau, was das Gericht von ihnen erwartet. Reumütiges Verhalten, Einsicht, Besserung geloben und eine Therapie anstreben sind Gesten, die vom Gericht wohlwollend beim Strafmaß berücksichtigt werden.
Allzu erfahrene Angeklagte neigen dabei häufig dazu, in einen Sozialarbeiter-Jargon zu verfallen der ihre Absicht offensichtlich macht. Denn ein erfahrenes Gericht lässt sich nicht so schnell hinter die Fichte führen. Schon gar nicht, wenn das Vorlesen der Vorstrafen eine Viertelstunde währt.
So zählt zu den häufigsten Fehlern von Angeklagten, die Männer und Frauen in den schwarzen Talaren zu unterschätzen.
Fall 2:
Heroinabhängig und trotzdem erfolgreich im Beruf? Als dieser Fall im Amtsgericht verhandelt wurde, war dieses Phänomen noch nicht ganz so bekannt wie heute. Den Beweis, dass beides möglich ist, lieferte damals ein Unternehmer, dem vorgworfen wurde, Heroin gekauft und damit gehandelt zu haben. Den Kauf gab Axel Walden* unumwunden zu. Den Handel bestiritt er.
Er sei seit 14 Jahren heroinabhängig. „Ohne Heroin könnte ich meine Arbeit nicht machen.“ 15.000 Euro gab Walden für den harten Stoff aus, mit dem er auch Freunde versorgte. Am Ende spricht auch die Staatsanwältin von einer „Vorratshaltung“ und beantragt eine Haftstrafe von zwei Jahren. Die damalige Richterin Hilke Ohle berät sich mit den Schöffen und verurteilt Walden zu einer 18-monatigen Bewährungsstrafe. Die im Gerichtsflur wartende Freundin des frisch Verurteilten atmet erleichtert auf.
Die Berufung zum Schöffen kann nur in wenigen begründeten Fällen abgelehnt werden. Ablehnungsgrund für das Schöffenamt kann die Zugehörigkeit zu bestimmten Berufsgruppen sein. Experten halten Schöffen ob ihrer Ahnungslosigkeit oft für ein Risiko. Denn Schöffen sollen von Paragraphen, Plädoyers und dem ganzen juristischen Rest gar keine Ahnung haben. Sie sollen nach Bauchgefühl und mit Menschenverstand urteilen.
Fall 3:
Routinierte Angeklagte wissen um die Wirkung eines gepflegten Auftretens. So hatte sich der Angeklagte sein Haar sorgfältig zum Pferdeschwanz gebunden, das Hemd gebügelt, den Bart gestutzt.
20 Einträge im Bundeszentralregister kündeten von einem anderen Verhalten.
In einem Osdorfer Kaufhaus war Thomas Gnaus* beobachtet worden, wie er einen Videorekorder gestohlen hatte. Zwei Ladendetektiven zeigte er statt eines geforderten Ausweises ein Messer mit Zehn-Zentimeter-Klinge.
Nun, so der Angeklagte, „möchte ich eine Drogentherapie machen“.
Trotz aller Bemühungen, zahlloser Sozialpädagogen, ganzer Schrankwände mit Fachliteratur, verständnisvoller Sachverständiger und Drogenentzugskliniken werden Juristen aller Couleur auch in ferner Zukunft gebraucht werden.
Zu unvollkommen, mal gierig, manchmal nur dumm, ist der Mensch vielfach. Karl Kraus, der selbst ein Jura-Studium begonnen hatte: „Die Notare im Staate: notwendig, aber überflüssig.“
*Namen geändert
Autor: helmut.schwalbach(at)kloenschnack.de