MEINE MEINUNG
Lausebengel gab es schon immer
Schulleiter Stephan Pauli. Freiheit und Grenzen
Die Elbvororte sind anders. Wir sind gerne anders! Unsere Kinder sind uns wichtig. Wir machen uns Gedanken; über Bildung, Erziehung, individuelle Schulkonzepte, optimierte Tagesabläufe, maßgeschneiderte Ernährung, sinnvolle Hobbys und passende Spielpartner. Kinder sind uns kein „Anhängsel“. Sie sind geplant, geliebt – Mittelpunkt unseres Lebens, das Wichtigste, was wir haben. Unsere Mühen zahlen sich aus. Denn unsere Kinder sind toll. Meistens … Und wenn Sie es mal nicht sind, sind wir für sie da, bleiben an ihrer Seite, treten notfalls als ihre Anwälte schützend vor sie. Und tägliche Situationen geben uns Anlass zum Nachdenken, wie diese hier aus dem Elbe-Einkaufszentrum in der Vorweihnachtszeit: Eine Gruppe mit vollen Einkaufstüten beladener Herren sitzt erschöpft im Ehemänner-Wartebereich am Fuße der großen Rolltreppe und wartet auf die shoppenden Gattinnen. Eine Etage oberhalb erfreut sich ein Geschwisterpaar an diesem Anblick während die Mutter ein paar Meter daneben in ein Gespräch vertieft ist. Ein Junge und ein Mädchen, ca. drei und fünf Jahre alt. Wäre es nicht eine tolle Idee, da was runterzuwerfen? Das größere Kind schreitet zur Tat. Im Einkaufskorb liegen lose Zitronen. Das kleinere Geschwisterchen folgt dem Beispiel. Bald ergießt sich ein Zitronenhagel auf die Wartenden und ein älterer Herr wird im Gesicht getroffen. Er steht auf und schimpft. Die Kinder freuen sich, lachen und greifen nach neuer Munition – ein großartiger Wurf!
Sowas haben Kinder immer schon getan? Stimmt! Bergeweise „Lausebengel-Geschichten“ früherer Epochen belegen: So brav, wie wir alle glauben, waren schon unsere Urgroßeltern nicht.
Vielleicht ging die Geschichte aber auch so zuende: „Hier ist was schiefgegangen“, soviel ist der Mutter von Anfang an bewusst. Sie nimmt ihre Kinder an der Hand und geht mit ihnen nach unten. Sie hört sich an, was passiert ist, guckt ihren Kindern tief in die Augen und merkt „na, ganz unschuldig sind meine (B)Engelchen nicht“.
Ihre Liebe zu den Kindern lässt sie von so einer Kleinigkeit selbstverständlich nicht erschüttern, dennoch müssen die Kinder die Zitronen einsammeln und sich bei dem Herren entschuldigen. Dieser ist versöhnt, das schlechte Gewissen der Kinder beruhigt – und zum Abschied schenkt das größere Kind ihm noch eine Zitrone und winkt, er lächelt zurück – und seine Beule ist schon fast vergessen.
Wie es wirklich war vor ein paar Tagen im Elbe-Einkaufszentrum? Das wird hier nicht verraten – beide Lösungen sind vorstellbar, beide Haltungen finden wohl eine Rechtfertigung: bedingungsloser Rückhalt „in dubio pro filio“ contra Verantwortung tragen lassen – auch wenn man die Situation nicht immer bis ins Detail beurteilen kann?
Wie hätten Sie entschieden? Ich denke und glaube fest: Wir leben in einer gesegneten Wohngegend. Im Durchschnitt sind wir überdurchschnittlich hoch gebildet – und können vielfältig und selbstkritisch reflektieren. Und wenn wir doch einmal unsicher sind, ob unsere Sprösslinge auf dem richtigen Weg sind und wir als Eltern adäquat damit umgehen, haben wir verlässliche Experten, die aus ihrer Ausbildung heraus und mit viel Berufserfahrung ein liebevolles, dennoch aber unabhängiges Bild unserer Kinder zeichnen können: unsere Erzieher, Lehrer und Kinderärzte. Deren Ziel ist dasselbe wie das unsere: Unsere Kinder sollen glücklich, gesund und stark heranwachsen und auf möglichst viel vorbereitet werden, was im Leben auf sie warten wird. Stephan Pauli