NACHTLEBEN
Nightlife unterm Süllberg
Die Elbvororte bei Nacht
Hamburg steht für ein ausgeprägtes Nachtleben. Sperrstunde ist an der Elbe ein Fremdwort. Doch was tut sich in den Elbvororten? Der KLÖNSCHNACK hat die Taschenlampe auf das Nachtleben im milden Westen gerichtet. Gibt es überhaupt eins?
Dieser Artikel wäre besser geraten, hätte der Redakteur ihn nicht zwischen 9.15 und 12.35 Uhr unter Einfluss allerlei Zwangsmaßnahmen getippt, sondern zur Happy Hour ersonnen, im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte. Gerade nach den nebligen Ereignissen der letzten Nacht wird es schwer den Dingen Klarheit zu geben – aber nun denn:
Betrachten wir die Elbvororte bei Nacht, dann fühlt sich der eine oder andere sicherlich an die Serie „The Leftovers“ erinnert, in der zwei Prozent der Menschheit spurlos verschwinden, mit verheerenden Folgen. Lassen wir alle bekannten Kneipen und Bars zwischen Othmarschen und Blankenese zum Appell antreten, dann werden wir feststellen, dass die Lage an der Elbe noch wesentlich dramatischer ist als in den Studios von Warner Bros. Gefühlte 90 Prozent aller Pinten sind in den letzten Jahren mitsamt Mannschaft und blinden Passagieren, Gaunern und Gammlern verschollen.
Wer zu ihrem Gedenken am Elbufer einen Gedenkstein errichten und die Namen mit Hammer und Meißel verewigen möchte, der beginne so: Fässchen, Blankeneser Pantry, Rauchfang, Schlag, Aalreuse, Bullauge, Nienstedtener Dorfkrug, Ratsherreneck, Espeneck, Blankeneser Klönstuv, Wein Kröger …
Hier fehlt natürlich eine stattliche Anzahl von Kneipen, und bevor es wieder böse Leserbriefe gibt: Das ist Absicht! Der KLÖNSCHNACK ist kein Branchenbuch, keine Gelben Seiten.
Also: Verteilte man nun genannte und nichtgenannte über das Verbreitungsgebiet unserer geliebten Postille, dann ergäbe sich eine erfreuliche Verteilungsdichte und die Gewissheit, dass kein Spaziergänger, kein Tourist, Pendler oder Nachbar die Samstagnacht vor der Glotze verbringen, dass niemand in Einsamkeit vor sich hin brabbeln musste.
Fragen wir nach den Gründen des Kneipensterbens, dann hören wir von veränderten Freizeitgewohnheiten. Lissi Schlag, über Jahrzehnte Wirtin im gleichnamigen Etablissement, sagte nach dem letzten Zapfenstreich kurz und knapp: „Die Leute kommunizieren übers Internet und sie können länger einkaufen.“
„Die Leute kommunizieren übers Internet und sie können länger einkaufen“
Da mag was dran sein. Wer im Rewe um 22.17 Uhr Tiefkühlgemüse und Windeln in Größe vier kauft und Bonuspunkte sammelt, der ist schwerlich in Stimmung für die kühle Blonde mit dem Papierschürzchen.
Und über die Flirt-App „Tinder“ kommt man in der Tat schneller zu Ergebnissen als beim Anstarren ein und derselben Kellnerin über drei Jahreszeiten hinweg.
Daneben standen Nachwuchssorgen. Kneipier ist keine leichte Profession. Auch das Ratsherreneck in Nienstedten fand keinen Nachfolger und die Blankeneser Pantry war zum Schluss ebenfalls keine taufrische Veranstaltung mehr.
Dieser mangelnde Esprit, in Verbindung mit vollen Aschenbechern und einer versteinerten Pinkelrinne führt nun zu einer ketzerischen Frage: Könnte es sein, dass sich die Kneipe alten Typs schlicht überholt hat? Irgendeinen Grund wird es ja geben, dass junge Leute irgendwann beschlossen haben, sich in die S1 Richtung Reeperbahn zu setzen.
Für diese Vermutung spricht, dass alle Neugründungen der letzten Jahre sorgfältiger angestrichen wurden, regelmäßig gewischt werden und die Getränke nicht mehr mit dem Tankwagen kommen. Tatsächlich sind diese Neugründungen gar nicht mal wenig. Lassen wir also Rhetorik beiseite und konstatieren, nun, nüchtern: Auch die Elbvororte besitzen ein Nachtleben.
Im Folgenden einige Empfehlungen. Die Redaktion hat sich auf Adressen beschränkt, in denen der Gast neben zaghafter Konversation über gesunde Lebensführung auch mal auf die Tonne hauen kann. Eine erbarmungslos subjektive Hitliste, die sich per Flaschenpräsent an die Redaktion aber durchaus beeinflussen lässt.
Die wilden Zeiten vergangener Jahre: Ob in der „Bronx“ am Rissener Bahnhof (Foto links) oder bei Helga und Uwe Schell in der legendären alten „Linde“ in Blankenese – ein Tänzchen oder Bier weit nach Mitternacht? Kein Problem
Red Room
Kennzeichen ist hier die Abwesenheit jeglichen sterilen „style“. Wuchtig, hölzern, rot und es darf gequalmt werden. Ledersessel laden ein zum Entspannen, gedämpftes Rotlicht zu Intimitäten. Die Preise sind ambitioniert bis abgehoben – das Gläschen Grauburgunder haut mit 8 Euro rein und schämt sich dabei nicht – tatsächlich aber führt die Karte auch erfreulichere Kreszenzen als manch anderes Lokal vergleichbarer Prägung. Buchbar ist auch ein Buffett, angeliefert aus dem Restaurant Quellental (ab 30 Personen).
Baron-Voght-Straße 75
Tel. 82 24 46 04
Jacobs Bar
Die ausgesprochen hübsche und gut geführte Bar im Louis C. Jacob hat ihre Fans, nicht nur unter den Hotelgästen. Besonderheit ist unter anderem die bar-untypische, exzellente Speiseauswahl – vom Feldsalat bis zum Rindertartar. Die Getränkekarte führt das alltägliche Pils neben der Weinrarität. Angebote wie der „High Tea“ locken zum Picheln am Nachmittag.
Elbchaussee 401–403
Telefon 82 25 50
Riva
Eine der letzten Bars in Blankenese ist eigentlich ein Café, bietet aber auch nachts eine nette Atmosphäre. Die Getränkekarte ist bistrotypisch, mit angenehmen Klassikern, aber nicht überladen, sodass man auch am unteren Ende des Deckels noch die Orientierung behält. Für die nötige Grundlage sorgt eine Auswahl an Snacks sowie Flammkuchen.
Stammpublikum trifft hier auf wenige Durchzügler. Auch KLÖNSCHNACK-Redakteure sind hier gelegentlich im Stadium geselligen Überschwangs anzutreffen, sollten aber nicht allzu sehr ermuntert werden.
Blankeneser Bahnhofstraße 36
Tel. 88 94 19 06
Linde
Die Zeiten, in denen der Laden „Zur“ Linde hieß und auch genauso aussah, sind bekanntlich vorbei. Die Linde heute ist aufgeräumt, brav, verlässlich und bietet auf einer gut sortierten Karte mediterrane Küche neben Feuchtfröhlichem aus aller Welt. Bis Ladenschluss gibt’s Kleinigkeiten zu essen.
Dockenhudener Str. 12
Tel. 86 66 38 01
Café Stern
Altgedient, aber selten ganz für voll genommen. Das liegt und lag an der Lage, etwas abseits zwischen Blankeneser Hauptstraße und Elbchaussee. Zeitweise „der“ Treff für Schüler des gar nicht mal so nahen Gymnasiums Blankenese. Auch heute treffen sich hier viele Stammkunden.
Elbchaussee 587
Telefon 18 04 74 23
Schwellenangst oder gar Lampenfieber ist in all den vorgestellten Etablissements so überflüssig wie Salbei im Gin …
Laut Beobachtern wird übrigens in all den hier geschilderten Bars und Cafés absolut gleichermaßen gebechert. Ob aus der Pulle oder aus dem Schott-Zwiesel-Glas spielt da allein optisch und geschmacklich eine Rolle. Eine höhere Gewichtsklasse sind allenfalls Pinten wie der „Seeteufel“ in Ottensen (Elbchaussee 4).
Zum Schluss eine Ermunterung für Zugereiste und Ängstliche. Schwellenangst oder gar Lampenfieber ist in all den vorgestellten Etablissements so überflüssig wie Salbei im Gin. Geben Sie einfach gutes Trinkgeld und beherzigen Sie im Nachtleben den Leitspruch eines Profis:
Es ist leichter sich zu entschuldigen, als um Erlaubnis zu bitten.
Autor: tim.holzhaeuser(at)kloenschnack.de