MENSCHEN IM ALTER
Pflegebedürftig. Was ist jetzt zu tun?
Alter
Die plötzliche Pflegebedürftigkeit eines Angehörigen ist wohl eine der belastendsten Situationen, die eine Familie erleben kann. Pflegebedürftigkeit kann das Leben eines Menschen regelrecht „auf Null“ stellen und das der Angehörigen gleich mit. Beruf, Freizeit, Beziehung, soziale Kontakte – all das steht zur Disposition. Hinzu kommen die physischen und psychischen Belastungen der Pflege. Jeder, der schon mal einen todkranken Menschen gefüttert, gewaschen und gewickelt hat (der Autor dieser Zeilen gehört dazu), weiß, wie anstrengend und bedrückend diese Arbeit sein kann. Wenn es dann noch der eigene Vater oder die eigene Mutter ist, kommen viele Angehörige schnell an ihre persönlichen Grenzen.
Das Thema ist also überaus ernst für nahezu jede Familie. Es bedarf der Vorbereitung.
Der Anfang: Der Pflegegrad
Pflegebedürftigkeit kann sich über Jahre ankündigen, etwa bei Parkinsonpatienten. Die Beweglichkeit wird eingeschränkt, die Orientierung im Alltag schwieriger.
Eine erste Einschätzung zur Pflegestufe liefern Online-Rechner, z.B. www.pflegegradberechnen.de. Sie liefern keine rechtskräftigen Ergebnisse, wohl aber immer bessere Prognosen. Diese Prognosen müssen jedoch nach einem Antrag bei der Krankenkasse durch einen Gutachter bestätigt werden (den die Kasse bezahlt).
Steht die Pflegestufe fest, dann steht auch die maximale Höhe des Pflegegeldes fest. Es ist mittlerweile stark differenziert und reicht von 316 bis zu 1.995 Euro. Mit der Angabe des Pflegegeldes können Angehörige nun die konkrete Ausgestaltung der Pflege planen. Wo wird der Angehörige gepflegt?
Die Anzahl der Möglichkeiten ist heute relativ groß. In Frage kommen: Pflege zu Hause, Pflege in einem Heim, Teilstationäre Pflege, Tages-/Nachtpflege, Pflege in einer Wohngemeinschaft mit mehreren Patienten.
Pflege zu Hause
Der erste Reflex in Familien mit einem pflegebedürftigen Angehörigen ist häufig, ihn um jeden Preis in seiner gewohnten Umgebung zu behalten. Tatsächlich gilt die Pflege zu Hause als die „humanste“ Form. Der Betroffene empfindet den Einschnitt als weniger stark im Vergleich zu einem Umzug in ein Pflegeheim. Möglich ist eine individuellere Pflege, die zudem wesentlich günstiger ist als eine Heimunterbringung.
Auf der Gegenseite steht ein etwaiger Umbau der Wohnung. Treppen, Balkone, Türschwellen, glatte Fliesen, fehlende Handläufe – all das kann einen pflegebedürftigen Menschen hemmen und gefährden. Umbaumaßnahmen können ohne Weiteres einen fünfstelligen Betrag kosten.
Erste Informationen zur Pflege zu Hause bietet die Diakonie: www.diakonie-hamburg.de
Pflegeheime haben eine zweifelhafte Reputation – häufig zu Recht, häufig auch zu Unrecht.
Ein Pflegeheim hat von Natur aus viele Vorteile. Es ist barrierefrei, bietet eine Betreuung rund um die Uhr und vor allem auch in Notfällen. Das Personal ist medizinisch geschult. Darüber hinaus gibt es spezielle Freizeitangebote für Pflegebedürftige und auch einen gewissen Grad an Gesellschaft. Die Nachteile sind hohe Kosten und der „Umzugsschock“. Hinzu kommt das Risiko, dass Angehörige sich aus der Verantwortung stehlen. Am Anfang sind die Besuche vielleicht noch regelmäßig, wenn aber deutlich wird, dass ein alter Mensch dem Anschein nach gut versorgt ist, dann schwindet die Sorge. Zu Hause hingegen sind Angehörige täglich mit dem Wohlergehen des Pflegebedürftigen konfrontiert.
Andererseits kann ein Pflegeheim zu einem „menschlicheren“ Umgang zwischen Angehörigen und dem pflegebedürftigen Menschen führen. Die Grundbedürfnisse sind gedeckt, die medizinische Pflege in professionellen Händen. Die gemeinsame Zeit kann daher unbelastet von Stress, Ekel oder körperlicher Überforderung erlebt werden. Auch hier bietet die Diakonie-Seite zahlreiche Informationen: www.diakonie-hamburg.de
Sie müssen einen Angehörigen pflegen, sind berufstätig, wollen ihn aber dennoch nicht ins Heim geben?
Im Rahmen der teilstationären Pflege kann ein Mensch tagsüber in einem Heim betreut werden, Abend und Nacht jedoch zu Hause verbringen – oder umgekehrt. Viele Einrichtungen bieten einen Hol- und Bringdienst – aber diese Lösung erfordert trotzdem viel Engagement. Der Tag ist nicht mehr flexibel, sondern eingerahmt von Terminen, die Vorbereitung erfordern und einzuhalten sind.
Informationen über die Möglichkeiten der teilstationären Pflege erteilen die Krankenkassen.
Die Pflege-WG
Ein relativ neues Modell. Die Grundidee ist es, Kosten zu sparen, die Wege kurz zu halten und für Gesellschaft zu sorgen. In einer typische Pflege-WG leben bis zu zehn Bewohner mit Pflegebedarf. Sie werden rund um die Uhr von Fachkräften betreut, aber eben nicht in Heimatmosphäre, sondern in einer normal eingerichteten Wohnung. In einer Pflege-WG ist ein ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl möglich. Bewohner können, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, gemeinsam Kochen, Spiele spielen und Erfahrungen austauschen.
Die Kosten einer Pflege-WG gleichen denen einer Heimunterbringungen. Pflegekräfte werden hier zwar effizienter genutzt (lange Wege entfallen), dagegen steht aber meist mehr Personal pro Kopf zur Verfügung.
Auch die Auswahl der geeigneten WG kann schwierig werden. Das Angebot ist keineswegs so groß und transparent wie bei Pflegheimen. Eine Liste findet sich auf www.pflege-wgs-hamburg.de
Die Pflege eines Menschen kann ein Vollzeitjob sein. Sie ist häufig unvereinbar mit Beruf und Familie und doch gibt es viele Menschen, die diese Einschränkungen akzeptieren und selbst Hand anlegen. Die Krankenkassen schütten in diesem Fall das Pflegegeld an den Versicherten aus, der es nach eigenem Ermessen ausgeben kann. Der pflegende Angehörige – der laut Krankenkasse ehrenamtlich tätig sein muss –, kann also finanziell entschädigt werden.
Die Betreiber von Heimen oder Pflege-WGs machen jedoch nicht zu unrecht darauf aufmerksam, dass die Pflege durch Angehörige nicht um jeden Preis erfolgen sollte. Bei Demenz etwa kann die soziale Kommunikation zwischen Familienmitgliedern völlig zum Erliegen kommen. Auch die medizinische Pflege kann die Fähigkeiten von Laien rasch übersteigen. Generell wird von einer eigenständigen Pflege abgeraten, wenn die Angehörigen selbst beeinträchtigt sind. Als goldener Mittelweg gilt daher die ambulante Pflege mit professionellem Personal. Hierbei kommt eine Pflegerin zum Patienten nach Hause. Die Stundenanzahl kann individuell bestimmt werden, ebenso Zeiten.
Der „Pflegemarkt“
2015 gab es allein in Hamburg 48.000 pflegebedürftige Menschen, das sind knapp 2,7 Prozent der hiesigen Bevölkerung. Die Zahl soll laut Hochrechnungen auf 51.000 im Jahr 2020 steigen und 2030 über 60.000 betragen. Völlig offen ist heute, ob die Zahl der Pflegekräfte mit der Entwicklung Schritt hält. Es sieht nicht danach aus. Als Gründe nennen Kliniken vor allem den, an der Arbeit gemessen, geringen Verdienst. Pflegekraft ist derzeit nur in exzellent geführten Einrichtungen ein erstrebenswerter Beruf – das verdeutlichen auch die Negativbeispiele, die immer wieder publik werden.
Kliniken wie Asklepios bestätigen: Es gelingt zwar noch, offene Stellen zu besetzen, das aber unter erheblichen Schwierigkeiten. Man nehme viel Rücksicht auf verträgliche Arbeitszeitmodelle und Sozialleistungen. Die Gehälter nach Belieben zu erhöhen ist allerdings nicht möglich. Die kapitalistische Grundregel, nach der jede Ware oder Dienstleistung mit steigender Nachfrage teurer wird, kann hier jedoch nicht greifen. Die Pflege basiert auf dem Aufkommen der Pflegversicherung und ist durch diese gedeckelt. Das kann dazu führen, dass etwaig vorhandene Kräfte aufgrund mangelnder Budgets nicht eingestellt werden können.
Angesichts einer rasant alternden Bevölkerung kann die Lösung also nur in mehr Effizienz bei der Pflege bestehen (mit entsprechenden Folgen für Pfleger und Patient) oder aber einem höheren Aufkommen der Pflegeversicherung. Schon jetzt werden Kinderlose hier stärker besteuert (2,8 Prozent anstatt 2,55), künftig dürfte sich aber auch das Gesamtniveau der Steuer deutlich anheben.
Eine private Vorsorge kann sich lohnen.
Autor: tim.holzhaeuser(at)kloenschnack.de