1. Dezember 2016
Magazin

„An Luther kommt keiner vorbei“ 

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RELIGION

„An Luther kommt keiner vorbei“ 

Geistliche im Gespräch 

Vom Wutbürger Martin Luther über die spanische Inquisition bis zum islamistischen Terror – Religionen werden korrigiert, missbraucht und fanatisch gedeutet. Zwischen Wahrheitspächter und Seelsorger sollen sich die Schäfchen in einer zunehmend desillusionierten Glaubenswelt zurechtfinden. Helmut Schwalbach und Louisa Heyder trafen sich mit Pastor Helge Adolphsen und Weihbischof Hans-Jochen Jaschke im Hotel Louis C. Jacob und sprachen über Luther und die Welt. 

Michel-Hauptpastor i.R. Helge Adolphsen, evangelisch
Michel-Hauptpastor i.R. Helge Adolphsen, evangelisch
Herr Jaschke, was bedeutet das Luther- Jahr für die katholische Kirche und für Sie persönlich?

Jaschke:
An Luther kommt kein Deutscher vorbei. Ich selber bin in Bückeburg großgeworden, nach der Flucht kam ich mit meiner „Mutti“ als kleiner Katholik in eine lutherische Umgebung. Auch in der Schule hat Luther immer eine Rolle gespielt. Katholiken waren die Minderheit. Deshalb war Luther in meiner Kindheit für mich etwas Unheimliches und Fremdes. Durch das Studium wächst man natürlich rein. Ich habe viel Evangelisches gelesen.

Herr Adolphsen, ohne Luther gäbe es die evangelische Kirche nicht. Sie müssen Luther mit ganz anderen Augen sehen.

Adolphsen: Natürlich. Ich habe ihn schon ganz früh kennengelernt, schon in der Schule. Mein Interesse wuchs in der Studienstufe und ich habe Luther intensiv gelesen. So ist Luther in über 60 Jahren mein Wegbegleiter geworden. Schlüsselerfahrungen, die ich gemacht habe, habe ich auch immer auf Luther bezogen. Die existentielle Dimension immer sehr bewegt und geprägt.

Jaschke: Für mich als Katholiken war der Reformationstag ein schöner Tag. Da hatten wir schulfrei und wir mussten nicht zur Kirche gehen.

Warum schreitet die Ökumene nur so zögerlich voran?

Adolphsen: Ich habe Dich (zu Jaschke) damals zu einem Reformationsgottesdienst im Michel eingeladen, im ökumenischen Sinne und Geist. Das war mir auch sehr wichtig. Du hast überzeugend gepredigt. Als alle zum Abendmahl gingen, gingst Du nicht. Du bliebst stehen, um Respekt und Ehrfurcht zu zeigen. Das war ein bewegender Moment. Was uns noch trennt, sind zentrale theologische Fragen, die noch im Raum stehen. So zum Beispiel die Stellung des Papstes. Er hat weltliche Macht und die Jurisdiktionsgewalt. Wir würden gerne als Protestanten sagen: Der Papst soll gern Sprecher der Christenheit sein. Ohne Machtfunktion. Auch die Trauung Geschiedener ist noch ein strittiger Punkt mit Möglichkeiten. Dinge wie das Zölibat sind für uns nicht relevant. Wir haben ein anderes Amtsverständnis.

Jaschke: Bleiben wir bei dem, was trennt: Das ist ganz wenig geworden. Wir haben in wichtigen Punkten mittlerweile Zugänge zu einander entdeckt, sodass wir in einer versöhnten Verschiedenheit leben können und dabei trotzdem eine Kirche sind. Schon Papst Johannes Paul II. hat geschrieben, dass wir alle eins sind. Ich hoffe, dass wir irgendwann zu einem gemeinsamen öffentlichen Abendmahl finden, wenn wir es denn wollen. Das müsst Ihr wollen und wir auch.

Weihbischof Dr. Hans-Jochen Jaschke, katholisch 
Weihbischof Dr. Hans-Jochen Jaschke, katholisch 
Wird die Ökumene durch die zahlreichen Kirchenaustritte befördert?

Jaschke: Das wäre zu praktisch gedacht. Aber ich gebe Ihnen recht, dass es eine Schande ist, dass uns in Deutschland jedes Jahr 400.000 Menschen – zur Hälfte Katholiken, zur Hälfte Evangelische – weglaufen. Weltweit ist das Christentum nicht rückläufig! Es nimmt zu.

Adolphsen:
In China zum Beispiel wächst die evangelische Kirche am stärksten. In der Unterdrückung! Wir gucken immer sehr stark nur auf uns in Deutschland. In der römischen Weltkirche geht der Blick deutlich mehr auf die Welt, nach Südamerika und nach Asien.

Sieht die katholische Kirche Luther etwas kritischer? Ist er nicht mitverantwortlich für die Religionskriege?


Adolphsen:
Er ist ungewollt mitverantwortlich. Das kann ich als Protestant sagen. Aber immerhin ist Luther offiziell ein Lehrer der römischen Kirche.

Jaschke: Luther kam in eine Zeit, in der er wie ein Funke gewirkt hat, der politische Auseinandersetzungen entfacht hat, Widerstand geweckt hat.

Adolphsen: Luther hat in seiner Situation mit den Fürsten paktiert, weil es gar nicht anders ging. Wie wäre er damals vorangekommen, wenn er nicht die Macht der Verantwortlichen genutzt hätte? Später wurde der Pakt zwischen Thron und Altar viel stärker missbraucht.

Jaschke: In der Polemik haben die Katholiken Luther dann den „Fürstenknecht“ genannt. Er sagte sich vom Papst los und geriet in eine neue Knechtschaft. Die Reformation ist also nicht nur Luther, sondern auch der Geist des Bürgertums, der Selbstständigkeit und der Kleinstaaterei.

Adolphsen: Die Religion wurde im 30-jährigen Krieg benutzt, so wie es der IS heute tut. Es ging um Macht und nicht um Glaubensfragen.

Jaschke: Luther hat strikt zwischen Kirche und Staat unterschieden, zwischen geistlichen und weltlichen Obrigkeiten.

Weihbischof Jaschke: „Luther ist eine wichtige Gestalt in der gemeinsamen christlichen Kirche. Ein Symbol, das unsere Christenheit bereichert …“

Helge Adolphsen und Dr. Hans-Jochen Jaschke im weitgehend harmonischen Gespräch
Helge Adolphsen und Dr. Hans-Jochen Jaschke im weitgehend harmonischen Gespräch
Gibt es bei den Kirchenaustritten einen Zusammenhang zwischen Wohlstand und Freiheit?

Jaschke: Ja, in Südamerika tun uns die Freikirchen weh und sind eine Kritik an unserer Kirche. Die Leute gehen in Scharen zu den charismatischen Freikirchen und Sekten, weil sie dort besser angesprochen werden. Das ist für uns auf jeden Fall eine Herausforderung. Wenn wir die Masse verlieren, kann uns das nicht gleichgültig sein.

Adolphsen
: Ich vertrete mittlerweile den Standpunkt, dass die Kirchen nicht allein für die Austritte verantwortlich sind. Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen durchaus religiös sind, aber sie wollen sich nicht binden und lehnen kirchliche Bindungen ab. Das Bewusstsein bei uns ist anders als in Südamerika und anderswo.

Jaschke: Aber es gibt noch einen anderen Zusammenhang: Kirche, Gesellschaft und Staat sind recht eng miteinander verbunden über die Kirchensteuer. Der Staat zieht im Namen der Kiche die Steuer ein und wird dafür gut bezahlt. Ich rede oft von der „Kirchensteuerfalle“, in der wir stecken. Auf Dauer lässt sich unser Kirchensteuersystem nicht aufrechterhalten.

Das Stichwort Beichte ist als wesentlicher Unterschied zwischen Protestanten und Katholiken noch nicht gefallen.

Adolphsen: Wir haben die Beichte ja auch nicht abgeschafft. Sie wird bei uns nur anders praktiziert.

Jaschke: Das kommt drauf an. Dein Nachfolger Röder sagt immer wieder, er habe auch Beichten.

Adolphsen: Ja, Beichtgespräche. Gespräche. Die finden aber in meinem Amtszimmer statt und nicht im Beichtstuhl.

Jaschke: Wir stehen vor Gott – lutherisch wie katholisch – als sündige Menschen da. Wir sind nicht perfekte Leute und dürfen in dieser Unvollkommenheit immer wieder vor Gott treten und erfahren, dass er Ja zu uns sagt und uns verzeiht.

Adolphsen
: Wir betonen: „Wie du glaubst, so geschehe dir.“ Also keine Magie. Es geht darum, dass man die Vergebung für sich annimmt und daran glaubt.

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Es gibt Kritiker, die sagen, den modernen Ablasshandel verkörperten heute Institutionen wie Greenpeace.

Jaschke:
Da ist durchaus was dran. So sind wir Menschen gestrickt. Wir wollen uns etwas erkaufen.

Adolphsen: Man erspart sich das persönliche Engagement, indem man einen Scheck ausschreibt. Das macht ein gutes Gewissen. Jaschke: Genauso, wie einige sagen, dass sie zwar aus der Kirche ausgetreten sind, aber hin und wieder ja etwas spenden.

Helge Adolphsen: „Wir würden gerne als Protestanten sagen: Der Papst soll Sprecher der Christenheit sein, aber ohne Machtfunktion …“

Herr Jaschke, sind Sie ein bisschen eifersüchtig, dass nun ein ganzes Jahr Luther gewidmet wird und stapelweise Bücher über ihn veröffentlicht werden?

Jaschke: Es ist nun mal das 500. Jubiläum. Da gibt’s keinen Grund zur Eifersucht. Das gibt’s nur einmal. Wir gehen gemeinsam auf 2017 zu.

Adolphsen: Die katholische Kirche sagt zurecht: Durch Luther sei die Spaltung der Christenheit im Abendland gekommen. Sie betont immer, dass die Spaltung kein Grund zum Feiern sei.

Jaschke: Reformation wird nicht als ein politisches Ereignis begangen und gefeiert, sondern als ein geistiges und kulturelles. Wir haben zum Beispiel vor wenigen Wochen eine Wallfahrt nach Jerusalem gemacht. Unter uns waren evangelische Bischöfe und Bischöfinnen und Katholiken. Wir waren zehn Tage im Heiligen Land unterwegs und haben an den Stätten Jesu gebetet und zusammen gesungen. Wenn wir mutig und froh unseren Glauben bekennen, dann ist das ein Reformationsgedenken.

Luther gilt heute als der erste Medienstar. Sehen sie das ähnlich?

Jaschke: Ja, durch die Bibelübersetzung, die dann eine solche Verbreitung bekommen hat, ist die Sprache auch neu geprägt worden.

Adolphsen: Viele Geistliche konnten die Bibel damals nicht lesen. Das ist heute zum Teil in den orthodoxen Kirchen auch so. Das sind nicht gebildete Leute. Die haben nie Theologie studiert.

Jaschke: Es gab vor Luther viele Bibelübersetzungen, auch deutsche, aber die hatten keine große Verbreitung und die Geistlichen haben sich an den Ritus der Messe gehalten. Die haben sie auf Latein gelesen – oft selber nicht verstanden – und das Volk hat kein Wort verstanden und war einfach fromm.

Die beiden höchsten Vertreter der Kirche in Deutschland legten bei einem Besuch des Felsendoms ihr Kreuz ab. Aus Respekt vor den Gastgebern, wie sie sagen. Kann man sich eine größere Demutsgeste vorstellen?

Jaschke: Darüber kann man sicherlich streiten. Wichtig ist, dass wir auf dem Tempelberg waren – da haben wir natürlich alle die Kreuze getragen. Als wir dann den Felsendom betreten haben, haben die beiden leitenden Bischöfe das Kreuz abgenommen auf Bitten der jordanischen Regierung. Die Regierung hat eine gewisse Friedenspflicht, um Streit auf dem Tempelberg zu vermeiden. Ich bin eher dafür, dass man die Dinge nicht auf die Spitze treiben soll. Ich würde mich generell weigern, das Kreuz abzulegen, aber an so einer Stätte möchte ich lieber nicht provozieren.

Adolphsen:
Auf dem Tempelberg wird von Muslimen teilweise offiziell geleugnet, dass es dort einen jüdischen Tempel gegeben hat. Ich bin mehrmals da gewesen. Es ist eine sehr aufgeheizte Situation, die oft zu heftigen Konflikten und Kriegen geführt hat.

Jaschke:
Die Juden dürfen auch nicht als solche erkennbar den Felsendom betreten. Da werden Muslime auch noch lernen müssen, denn die Ideologie, die sie da vertreten, muss kritisch überprüft werden. Das Abnehmen des Kreuzes war ein Zeichen des Respekts. Wir wollen keinen Streit an diesem Ort, der für uns so wichtig ist.

Wenn ein islamischer Geistlicher ihre Kirche betritt, würden Sie ihn doch lassen?

Adolphsen: Ja, selbstverständlich. Wir haben eine liberale Tradition, die genährt ist durch Respekt und Anerkennung des Anders-Denkenden und Anders-Gläubigen.

Jaschke: Darauf können wir stolz sein und wir lassen uns das nicht nehmen. Wir haben die Kreuze auch abgenommen in Yad Vashem in Jerusalem, der großen Holocaust-Gedenkstätte. Christen stehen auch für entsetzliches Unrecht den Juden gegenüber und der Holocaust ist ohne die christliche Vorgeschichte gar nicht denkbar.

Wie sehen Sie den Einfluss des Islam im europäischen Raum?

Adolphsen: Wir sehen das mit Besorgnis, aber auch mit der Aufgabe für uns, das Christsein offensiv in die Gesellschaft hineinzutragen und es zu leben, wie es früher war. Das geschieht zu wenig. Es ist traurig, dass wir in unserer Gesellschaft unsere Wurzeln nicht deutlicher leben. In dieser Auseinandersetzung müssen wir deutlich Flagge zeigen.

Jaschke: Was den Islam angeht, müssen wir sehr klar reden. Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht, auch die Freiheit, nicht zu glauben. Das gibt es in muslimischen Ländern nicht. Religionsfreiheit ist eine Grundbedingung für Glauben. Und es muss die Trennung zwischen Religion und Gesellschaft sowie Religion und Staat geben. Natürlich gibt es Überschneidungen, aber ich kann doch nicht mit der Scharia eine Gesetzgebung bestimmen. Die großen christlichen Imperative sind die Trennung zwischen religiöser und weltlicher Ordnung sowie Freiheit.

Gibt es eine gemeinsame Strategie, den Einfluss des Islam zu zähmen?

Jaschke: Die gemeinsame Strategie heißt auf allen Seiten: Wir sind im Gespräch mit den Muslimen und wir laden gerade die führenden Muslime ein, im Dialog zu klären, was Islam und Christentum ist. Dialog heißt nicht, dass wir uns immer einig sind, aber dass wir uns respektieren und dass wir darauf verzichten, uns zu missionieren. Wir wollen Muslime nicht taufen, aber umgekehrt sollen Muslime nicht Druck ausüben, wenn eine christliche Frau nach Syrien heiratet oder nach Jordanien. Dort hat sie keine Chance, als Christin zu leben. Das Paradigma heißt: miteinander sprechen im Dialog.

Was hätte Luther zu der heutigen Situation der Kirche gesagt?

Adolphsen: Luther hätte gesagt: Bleibt bei eurem Glauben, lebt ihn tapfer und mutig und bekennt.

Herr Jaschke, Herr Adolphsen, der KLÖNSCHNACK dankt für das Gespräch.

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