RELIGION
Das Kreuz mit der Kirche
Gott, Glaube und Gemeinde
Rhetorisch brillant, kämpferisch, mit Verve und Überzeugung vorgetragen – wer Vorträge und Diskussionsrunden mit dem Oxford-Professor Richard Dawkins hört, der findet sich in einer mitreißenden Debatte wieder. Dawkins ist der bekannteste Vertreter des Atheismus. Der Evolutionsbiologe tritt regelrecht in den Ring, vornehmlich in den USA, liefert sich Schlagabtausche mit Geistlichen aller Religionen – die er regelmäßig wie Heuchler oder gleich wie Dummköpfe aussehen lässt.
Der deutsche Zuhörer bemerkt aber auch schnell: Das ist nicht unsere Debatte. Der Ernst, die Hysterie und die Gewalttätigkeit, die den Streit um religiöse Deutungshoheit in den USA umgeben, fehlen in Deutschland bekanntermaßen völlig. Die Kirchen sind leer, das Temperament im Keller, die „Nachfrage“ sinkt. Allein im Kirchenkreis Hamburg-Ost sollen laut Synode bis 2026 ein Drittel der Gotteshäuser aufgegeben werden. In ganzen Land blieb die Zahl der Kirchenaustritte auch 2016 auf hohem Niveau. Insgesamt verließen 352.093 Mitglieder die katholische und evangelische Kirche (162.093 und 190.000).
Die Zahl der Kirchenaustritte blieb auch 2016 auf hohem Niveau.
Der Bedeutungsverlust zeigt sich auch an der Wandlung der Kirchen hin zu einer Art Label. Stichwort Kommerzialisierung. Wer religiöse „Leitmedien“ wie etwa die Zeitschrift „Chrismon“ studiert, der erkennt das Prinzip: Eine Wohlfühlpublizistik, die offenbar dazu dient, Rotweinpakete und Bildungsreisen zu verkaufen. Die Nähe zur Religion gibt hier alltäglichen Produkten mehr Glanz, so wie Möbelpolitur einer Antiquität.
Der Glaube hat kaum noch Relevanz für das Alltagsleben der Menschen.
Die Katholische Schule in Hamburg dürfte das erkannt haben. Die aktuelle Werbekampagne (im Hamburger Westen zu sehen z.B. in der S-Bahn) serviert säkulare Allerweltsslogans neben Kindergesichtern: „So sieht Lebensfreude aus.“ „So sieht Kreativität aus.“ Nur einmal heißt es „So sieht Gottvertrauen aus.“ Eines der Kinder ist schwarz, eines asiatisch. Die arabische Halbinsel kommt nicht vor, was vielen Eltern recht sein dürfte.
Was sind nun die Gründe für den Rückzug der Religion aus unserer Gesellschaft? Atheisten wie Richard Dawkins erklären die Abkehr mit hehren Worten: Aufklärung, Bildung, Humanismus.
Studien, wie z.B. die der Universität Münster aus dem Jahr 2015, stellen abnehmende Relevanz fest. Danach wird das kirchliche Angebot als wenig attraktiv empfunden. Auch das Verhalten der Geistlichen kann nicht mehr punkten. Insgesamt habe auch der Glaube selbst kaum noch Relevanz für das Alltagsleben und die Grundhaltung der Menschen.
Diese Erklärung ist überzeugend, befriedigt jedoch nicht vollständig. Denn: Auch in unserer modernen und bis zur Erschöpfung aufgeklärten Gesellschaft findet noch der größte Blödsinn Absatz. Die Menschen glauben weiterhin an Homöopathie, Geisterheiler, an Fett absorbierende Ananas, an Cremes, die den Alterungsprozess stoppen und an Horoskope. Als der KLÖNSCHNACK einmal unter der Rubrik „Arbeitsplatz“ eine Wahrsagerin vorstellte, klingelten wochenlang die Telefone. Leserinnen riefen an, verlangten Kontaktdaten und sorgten dafür, dass die Kasse ratterte. Letztlich reagieren viele Menschen auf die Heilsversprechen von Quacksalbern wie im Mittelalter. Sie glauben.
Daraus könnte man nun folgern, dass es zu allen Zeiten einen Teil der Gesellschaft gab, der für Logik nicht zugänglich ist. Wer ihm angehört, der lässt sich mit Fakten nicht überzeugen; er glaubt selbst an Vorgänge, die den Naturgesetzen des Planeten grob widersprechen.
Nicht verschwiegen sei, dass es auch theologische Interpretationen für den Niedergang der Kirche gibt. Der evangelische Wissenschaftler Dr. Benjamin Hasselhorn, geboren 1986, ist Autor des Buches „Das Ende des Luthertums“. Auf der Leipziger Buchmesse 2017 sagte er: „Ich kenne niemanden in meiner Generation, der ernsthaft in der Kirche engagiert ist.“ Der Grund sei in der Geschichte des Protestantismus zu suchen. Das lutherische Menschenbild der Sündhaftigkeit seit der Aufklärung unterlegen. „Der aufgeklärte Mensch empfindet sich nicht als unzulänglich oder als Sünder. Da hat das klassische Luthertum schlechte Karten.“
Wenig wahrscheinlich. Es gibt keinen zwingenden Zusammenhang zwischen Religiosität und dem Bedürfnis, anderen Menschen zu helfen. (Es wäre sogar befremdlich, wenn Menschen nur dann helfen, wenn ihre jeweilige Religion die entsprechende Anweisung gibt.) Vielmehr könnte die Mildtätigkeit religiöser Menschen ein Anachronismus sein. Wenn in früheren Gesellschaften jeder Mensch religiös war, dann konnte positives Sozialverhalten auch ausschließlich von ihnen ausgehen. Daraus folgt aber nicht viel, wie auch der US-Philosoph und Neurowissenschaftler Sam Harris feststellte: „Die meisten Menschen, die damals Hühner gerupft haben, haben das mit dem Glauben an Gott getan. Das heißt aber nicht, dass man heute an Gott glauben muss, um ein Hühnchen zu rupfen.“
Abschließend bleibt die Frage nach einer möglichen Rückkehr der Religion, etwa durch verstärkte Bemühungen der christlichen Kirchen oder durch Einwanderer. Versuche gibt es durchaus. Da ist zum einen die Aktivität rund um das „Luther-Jahr“ 2017 und den Reformationstag, der erstmalig bundesweit begangen wird. Es wäre jedoch sehr überraschend, wenn Menschen diesen Tag, statt ihn als arbeitsfreie Zeit zu genießen, tatsächlich als Anlass zur Religionsausübung sehen würden.
Autor: tim.holzhaeuser(at)kloenschnack.de
Mitarbeit: Louisa Heyder