30. September 2017
Magazin

„Emanzipation kann nicht nerven!“ 

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EMANZIPATION

„Emanzipation kann nicht nerven!“ 

Ein Dreigenerationengespräch beim HAMBURGER KLÖNSCHNACK  

Drei Vertreterinnen unterschiedlicher Generationen: Clara Wilke, Meral Kayaman und Nathalie Dunger (vorne) mit den Redakteurinnen vom KLÖNSCHNACK  
Drei Vertreterinnen unterschiedlicher Generationen: Clara Wilke, Meral Kayaman und Nathalie Dunger (vorne) mit den Redakteurinnen vom KLÖNSCHNACK  
Wenn sich Vertreterinnen aus drei Generationen über die Stellung der Frau unterhalten, liegen die Schwerpunkte je nach Alter unterschiedlich. KLÖNSCHNACK-Volontärin Louisa Heyder und -Praktikantin Johanna Rädecke baten Clara Wilke (17), Nathalie Dunger (35) und Meral Kayaman (66) zum Gespräch unter Frauen. Thema: Die Frauen in unserer Gesellschaft heute.

Bei dem Stichwort Emanzipation verdreht so mancher die Augen. In den letzten Jahren hat sich die Bedeutung des Begriffs gewandelt, teilweise einen negativen Anstrich bekommen. Die Frage nach der Stellung der Frau sorgt nach Generationen immer noch für Gesprächsstoff und neue Sichtweisen, was auch dieses Gespräch zeigt.

KLÖNSCHNACK: Würden Sie sich als emanzipiert bezeichnen?

Nathalie Dunger: Unbewusst verhalte ich mich emanzipiert. Ich bin Mutter eines kleines Kindes und nahtlos wieder arbeiten gegangen. Das ist nicht nur von mir, sondern auch von meinem Mann emanzipiert, denn er hat diesen großen organisatorischen Posten eines Kleinkindes ja schließlich auch mitgetragen. Das Beste der Emanzipation ist meiner Meinung nach einfach, dass man heutzutage die Wahl hat. Die Wahl, entweder gleich wieder zu arbeiten, oder aber einige Jahre zu Hause bleiben zu können, um „nur“ Mutter zu sein. Mir wurde vorgeworfen, ich sei unverantwortlich, ein Kind in die Welt zu setzen und direkt wieder arbeiten zu gehen. Andere werden genau dafür belächelt, zu Hause zu bleiben. Das finde ich ungerecht und diskriminierend. Das sind beides Extreme und da fehlt auch die Solidarität unter den Frauen zueinander.

Clara Wilke: Ich musste mich noch nicht von besonders viel emanzipieren. Gedanklich bin ich wohl weniger emanzipiert als praktisch. Ich stelle mir das gar nicht so einfach vor mit Kindern und einem Job und lege viel Wert auf akademische Dinge, weniger auf Familie. Allerdings würde ich mir wünschen, dass das anders wäre. Ich habe das Gefühl, dass das mehr eine Entweder-oder- Geschichte ist – ob das stimmt, weiß ich allerdings nicht.

Meinen Sie, das ändert sich noch?

Wilke: Ja. Ich glaube, ich werde in wissenschaftliche Bereiche gehen und kann mir vorstellen, dass es da einen Schwerpunkt bei den Männern und das eine oder andere Vorurteil geben wird. Die Schule ist noch so eine Oase der Gleichheit im Vergleich zur „richtigen“ Welt.

Dunger: Oh ja, die Insel der Glückseligkeit. Ich kann dich da gut verstehen. Ich bin in einem Beruf, der sehr männerlastig ist, und konnte mir eigentlich gar nicht vorstellen, dass es diese Ungleichheiten wirklich gibt. Aber in der einen oder anderen Situation wurde ich eines Besseren belehrt.

Meral Kayaman: Ich finde, der Begriff Emanzipation ist heute nicht mehr ausreichend. Er ist überholt und hat leider mittlerweile einen negativen Touch. Aber man muss die Geschichte der Frauenbewegung betrachten: Die Woman’s Liberation war sehr wichtig und hatte ihren Sinn. Wir haben heute den Luxus, in einer funktionierenden Demokratie zu leben, jetzt geht es mehr um Differenzen, die wir noch nicht geklärt haben. Die Gleichstellung der Frau ist eine gesellschaftliche Aufgabe.

Sie kommen aus der Politik, einer typischen Männerdomäne?

Kayaman: Es ist sehr unterschiedlich, je nachdem, in welchem inhaltlichen Schwerpunkt man unterwegs ist. Frauen organisieren sich anders, fokussieren sich zuerst auf die Inhalte und Themen, die sie voranbringen möchten und dann auf Aufstiegsmöglichkeiten. Das ist manchmal ein Nachteil, nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft und der Forschung. Männer bauen meist zuerst ihr Netzwerk auf. Wer welche Aufgabe übernimmt, wird zuerst im Netzwerk festgelegt. Danach werden die Schwerpunkte zugeteilt. Frauen müssen mühsam lernen: Wie baue ich meine Karriere auf? Wo verdiene ich besser? Wie behalte ich meinen Verdienst?

Dunger: … und wie behaupte ich mich in der Berufswelt? Wir Frauen sind tatsächlich so strukturiert: Wir machen unsere Arbeit, vielleicht sogar besser als die Männer. Wir sitzen lange am Schreibtisch, um die Arbeit fertig zu bekommen und uns unseren ganzen anderen sozialen Verpflichtungen zu widmen. Männer geben sich selbst mehr Raum für Stammtische und ähnliches, an denen sie ihr Netzwerk pflegen können. Und da sind wir Frauen – noch – außen vor. Wir müssen uns selbst ein Netzwerk aufbauen.

„Ich bin in einem Beruf, der sehr männerlastig ist, und konnte mir eigentlich gar nicht vorstellen, dass es diese Ungleichheiten wirklich gibt.“ 
Trotz Altersunterschied gibt es viele Übereinstimmungen
Trotz Altersunterschied gibt es viele Übereinstimmungen
Was muss eine moderne Frau alles können?

Kayaman: Das natürlichste und stärkste Netzwerk ist die Familie. Frauen, die aus starken Familien kommen, sind erfolgreicher im Berufsleben. Unterstützung und Sicherheit macht unglaublich viel aus. Solidarität ist ein zentrales Thema. Diese Familienwerte brechen in unserer postmodernen Gesellschaft zusehends weg. Wir Frauen haben den Anspruch, der Mutterrolle gerecht zu werden, einen tipptopp Haushalt zu führen und selber Geld zu verdienen. Das ist härter geworden, wenn die Unterstützung wegfällt.

Zu den traditionellen Werten: Gerade jüngere Generationen halten das Konzept der Ehe für überholt. Wie stehen Sie dazu?

Wilke: Ich habe letztens meine ältere Schwester gefragt, warum Menschen eigentlich heiraten. Mir kam das ganz fremd vor. Sie hat mir Dinge erklärt, die Mama und Papa glücklich machen, Steuervorteile und so weiter. Den Glauben an die Ehe und daran, sich und seinem Partner lebenslange Sicherheit zu geben, finde ich fantastisch. Aber beim besten Willen kann ich mir nicht vorstellen, dass das gut funktioniert. Für mich ist das ein Rätsel und ein großes Wunder. Ich würde nie jemandem verbieten zu heiraten, aber für mich scheint das ‘ne ganze Menge Aufwand zu sein.

Dunger:
Ich bin verheiratet seit 2013. Bei mir hat sich die Einstellung auch erst entwickelt. Ich wollte nie nur wegen der Hochzeit an sich heiraten. Mit dem richtigen Mann ergeben sich manche Dinge aber einfach. Ich bin überzeugt, dass das mit uns gut gehen wird. Aber man entwickelt sich als Mensch weiter im Leben und hat natürlich immer das Risiko, sich von seinem Partner zu entfernen. Natürlich hoffe ich sehr, dass mein Mann und ich uns miteinander entwickeln, aber es ist nicht sinnvoll, auf Krampf an der Ehe festzuhalten, wenn einer der Partner nicht mehr glücklich ist. Das ist der Unterschied zu früher – es ist kein Makel, eine geschiedene Frau zu sein oder nicht um jeden Preis an der Ehe festhalten zu wollen.

Welche Vorbilder haben Sie im Hinblick auf starke Frauen?

Kayaman: Starke Frauen entwickeln sich laufend – das ist eine lebenslange Aufgabe. Meine Eltern und meine Großmutter haben mich sicherlich viel beeinflusst – der Umgang war immer respektvoll miteinander und sie haben eine Einheit gebildet. Aber mein Held ist Jaques Cousteau! Neue Zeiten bringen andere Themen auf uns zu und die neue Heldin für mich ist Dr. Vandana Shiva, die Inhaberin des alternativen Friedensnobelpreises.

Wilke:
Ich habe sofort an Simone de Beauvoir gedacht. De Beauvoir hat eine sehr bewundernswerte Beziehung zu Sartre geführt und Stärke in sich selbst gefunden. Sie musste mit ihrer Familie brechen – denn da war die Überzeugung, dass Frauen in erster Linie Hausfrauen sein sollten und ganz bestimmt keine Wissenschaftlerinnen. Wie eine Frau Mutter und Wissenschaftlerin zugleich sein kann, ist eine spannende Frage, die gelöst werden muss.

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„Ich würde nie jemandem verbieten zu heiraten, aber für mich scheint das ‘ne ganze Menge Aufwand zu sein.“ 
Die Konzerne Apple und Facebook sorgten für Schlagzeilen mit dem „Social Freezing“ – sie bezahlen Mitarbeiterinnen das Einfrieren ihrer Eizellen. Wäre das eine Alternative?

Wilke: Das ist ja nicht Mutter sein. Ich werde nicht Mutter, um meine Gene weiterzugeben.

Dunger: Ich könnte mir vorstellen, dass das viele Frauen auch zur eigenen Beruhigung machen, wenn die Zukunft noch ungewiss ist. Aber damit ist das Problem ja nicht geklärt. Man ist ja nicht nur Wissenschaftlerin zwischen 20 und 40. Das Problem verlagert sich dann ja nur und fitter wird frau im Alter ja auch nicht.

Kayaman: Wir können diese Debatten um Gleichstellung nicht ohne die Männer führen. Was gibt es denn für neue Rollen für den Mann? Erziehung wird automatisch der Frau zugedichtet. Aber Männer können genauso gut Erziehen und in Elternzeit gehen, sie können eigentlich alles genauso gut – außer natürlich das Stillen. Leider ist das bei vielen Arbeitgebern noch nicht angekommen. Frauen müssen auch mehr abgeben.

Dunger: Aber wenn ich als Frau ganz tief in mich reinhöre, ist das Vertrauen in den Mann gar nicht zu hundert Prozent da. Das ist nicht böse gemeint, aber ich hätte mir nicht vorstellen können, mein Kind nur mit meinem Mann alleine zu lassen – die Mutterrolle lasse ich mir nicht nehmen. Zu sagen, mein Mann geht allein in Elternzeit und ich gehe Vollzeit arbeiten, wäre nicht infrage gekommen. Wir haben alle Möglichkeiten abgewogen und mein Mann hätte beruflich nicht in seiner jetzigen Position bleiben können. Also habe ich mein Kind in den ersten neun Monaten mit zur Arbeit genommen, was dank toller Kollegen kein Problem war.

Das erfordert Solidarität. Unterstützen das auch alle Frauen oder gibt es welche, die die Emanzipation behindern?

Dunger: Ich war erschrocken zu sehen, wie unsolidarisch Mütter miteinander umgehen. Ich hatte heute das erste Mal in diesen zweieinhalb Jahren Mutterschaft ein tolles Erlebnis: Ich habe keinen Babysitter gefunden und eine Mutter aus der Kindergruppe ist von sich aus auf mich zugekommen und hat angeboten, auf meinen Sohn aufzupassen. Ganz selbstlos. Ich war sprachlos und habe dann realisiert, dass man eigentlich sein eigenes Ding macht, weil eben die Solidarität einfach nicht vorhanden ist.

Kayaman: Mütter müssen sich heute in jeder Lebenslage rechtfertigen und es ist manchmal mühselig. Aber in meinem Fall sind dabei zwei Jungs groß geworden, die auch wissen, was Frauen leisten.

Wilke: Ich denke da in erster Linie an soziale Medien. Sexismus ist ‘ne ziemlich große Sache, die auch ganz stark von jungen Frauen ausgeht. Der absurde Konkurrenzkampf, der nicht danach fragt „Wer ist der beste Mensch?“, sondern „Wer ist die heißeste Frau?“ ist vollkommen unsinnig. Und Sie, Natalie, haben Recht: Hausfrauen sind sehr niedrig angesehen bei den jungen Leuten – Hausfrauen sind halt prüde. Gerade im Internet und unter Jugendlichen, das sage ich aus eigener Erfahrung, ist Sexismus unter Mädchen eine großes Thema.

„Männer können eigentlich alles genauso gut – außer natürlich das Stillen.“  
Als Schlussfrage: Kann Emanzipation auch nerven?

Wilke: Wenn Emanzipation „Befreiung von Fesseln“ bedeutet, kann es nicht nerven und soll auch nicht nerven. Wen es nervt …

Dunger: … hat es nicht verstanden. Emanzipation ist eine Freiheit, eine Wahl, Dinge zu machen oder sie zu lassen. Und eine Freiheit kann nicht nerven.

Wilke: Eben. Wenn ich weiter bei meinen Traditionen bleiben will, kann ich das ja auch tun. Es bedeutet ja nicht „Ich muss etwas anders machen, ich muss wie ein Mann sein.“ Ich kann ja auch eine wunderbare, tolle Frau sein, und wenn man eine „männliche“ Frau ist, ist das auch gut.

Vielen Dank an alle für das nette Gespräch!
 
Gespräch: louisa.heyder(at)kloenschnack.de
johanna.raedecke(at)kloenschnack.de 

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