PHYSIK
Teilchenbeschleuniger direkt unter uns
Deutsches Elektronen-Synchrotron
Da ist zunächst die Teilchenphysik. Diese Disziplin kreist um nicht weniger als die Frage nach den Bausteinen unserer Welt. Diese Frage wurde bereits von griechischen Philosophen wie Demokrit gestellt und hypothetisch beantwortet („Atome“), später von naturwissenschaftlich interessierten Dichtern wie Goethe erörtert („… was die Welt im Innersten zusammenhält …“).
Während sich Philosoph und Dichter auf Überlegungen beschränken mussten, steht heute Technik zur Verfügung – in einem kuriosen Verhältnis: Teilchen sind unvorstellbar klein, das Untersuchungsinstrument ist gigantisch: Beschleuniger.
„Was die Welt im Innersten zusammenhält …“
Aber warum überhaupt beschleunigen? Ließe sich das Kleine nicht besser betrachten, wenn es stillhält? Ein Trugschluss. Stillstand gibt keinerlei Aufschluss über wirkende Kräfte. Teilchenbeschleuniger erzeugen eine Art neugierige Extremsituation. Wer die Einzelteile eines Gegenstandes betrachten will, der kommt manchmal nicht umhin, ihn zu zertrümmern. Ähnliches passiert in den großen Ringbeschleunigern des DESY. Teilchen werden auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und kollidieren miteinander:
Die sperrigen Namen der einzelnen DESY-Beschleuniger geben Auskunft darüber, was hier wie beschleunigt wird: Elektronen, Photonen, Positronen und so weiter. Der Beschleuniger PETRA etwa heißt ausgeschrieben Positron-Elektron-Tandem-Ring-Anlage und dementsprechend werden hier Positronen und Elektronen auf Tempo gebracht.
Die Ringform der meisten Beschleuniger ist übrigens weniger physikalisch als wirtschaftlich motiviert. Ein schnurgerader Beschleuniger wäre technisch möglich, aber ebenso aufwendig, lang und teuer, wie eine schnurgerade Formel-1-Rennstrecke. Im Ring kann ein Teilchen ein und denselben Beschleuniger mehrfach passieren und seine Energie entsprechend mehrfach nutzen. Die Größe der Ringe ist der Leistung geschuldet. Grob gesprochen: Je länger, desto mehr Beschleuniger, desto schneller das Teilchen, desto extremer die Bedingungen, desto tiefer der Einblick in die Gesetzmäßigkeiten der Teilchen.
Die Ringform macht jedoch eine Steuerung nötig. Dies geschieht durch Ablenkmagneten. Diese senden eine elektromagnetische Strahlung an das vorbeifliegende Teilchen aus und zwingen es so in eine Kreisbahn. Diese Strahlung wird als Synchrotronstrahlung bezeichnet und sie findet sich daher auch in der Bezeichnung DESY wieder.
Neben der Beschäftigung mit Teilchen und den zugehörigen Beschleunigern steht die Forschung rund um Photonen. Während die meisten Laien Elektronen, Neutronen und Protonen korrekt als Bestandteile eines Atoms bennen können, herrscht bei Photonen häufiger Ratlosigkeit. Tatsächlich sind es nicht mehr als die Bausteine elektromagnetischer Wellen. Radiowellen, Röntgenstrahlung, sichtbares Licht – all diese Wellen bestehen aus Photonen. Photonen sind der Schlüssel zur Sichtbarkeit kleinster Verhältnisse. Das menschliche Auge kann naturgemäß lediglich Reflexionen des Lichts erkennen. Wenn nun ein Gegenstand kleiner ist als die Lichtwellen, dann ist er nicht beobachtbar. Daran ändern auch rein optische Hilfsmittel nichts. Röntgenstrahlung unterliegt derselben Beschränkung: Auch sie verläuft in Wellen und kann daher nur Einblicke innerhalb dieser Dimensionierung gewähren.
Die industrielle Verwertung der Forschungsergebnisse stehen in Bahrenfeld jedoch nicht an erster Stelle. Prof. Albrecht Wagner, ehemaliger Leiter der Einrichtung, brachte es bereits 2004 auf den Punkt: „Grundlagenforschung bleibt nie ohne Folgen. Niemand hat Max Planck gefragt, wozu seine Überlegungen zur Quantisierung von Energie nützlich sind. Heute, hundert Jahre später, hängen fünfundzwanzig Prozent des Bruttosozialprodukts mit der Quantenphysik zusammen. Alles, was heutzutage auf Halbleitern basiert, ist ein quantenmechanischer Prozess.“
Tatsächlich profitieren Industrie und die nachgelagerte Wissenschaft bereits heute erheblich von der Arbeit des DESY.
Verbesserte Röntgenverfahren sind in der Medizin von Nutzen. So wurde bereits 1985 die Mikrostruktur einzelner Viren aufgeklärt. DESY- Erkenntisse führten auch in der Materialtechnik zu Verbesserungen. So ließ etwa der Hersteller Osram Glühdrähte mittels Synchrotronstrahlung untersuchen und verbessern. Untersucht wurden darüberhinaus Computerchips, Katalysatoren und einzelne Moleküle.
Autor: tim.holzhaeuser(at)kloenschnack.de