GASTRONOMIE
Vom Mettigel zum Kaisergranat
Anspruch und Realität – Gastronomie im Wandel
Mett- und Käseigel. Gurkenschiffchen. Käsehäppchen, Pumpernickel-Würfel. Russenei. Das waren mal Klassiker, die in der dunklen Zeit norddeutscher Gastronomie gern serviert wurden. Hamburger Aalsuppe, Vierländer Ente und Seezunge Müllerin Art standen in den besseren Restaurants auf der Karte. Wer in Urlaubsgefühlen schwelgen wollte, der ging ins „Cuneo“ oder zum heute zu Recht weitgehend verschwundenen Jugoslawen. Anspruchvolle Küche wurde in den frühen 70er Jahren in Restaurants des „Vier Jahreszeiten“ und „Atlantics“ zelebriert.
Dann kamen Männer wie Sepp Viehhauser und Volkmar Preis aus Österreich nach Hamburg. „Damals habe ich Crème fraîche in Paris bestellt“, so erinnerte sich Viehhauser, neben Eckart Witzigmann einem Pionier der Nouvelle cuisine, vor Jahren in einen KLÖNSCHNACK-Interview.
Mit Heinz Wehmann steht im „Landhaus Scherrer“ ein Mann am Herd, der auf 45 Jahre Erfahrung zurückblickt. Seit vielen Jahren hält Wehmann einen Stern, er war der erste Küchenchef der Stadt, der vom Gault Millau zwei Sterne erhielt. Fast wichtiger als die Sterne ist dem langjährigen Küchenchef, dass er seinem Stil immer treu geblieben ist. „Ich habe erlebt, wie die Gäste anspruchsvoller geworden sind“, sagt Wehmann. Man könne ihnen heute nicht mer so leicht etwa unterschieben. Was im „Landhaus Scherrer“ ohnehin nie so passiert ist. Im Gegensatz zur mittelmäßigen Küche, die heute immer noch im Übermaß geboten wird. Sie leben von Gästen, die zu faul sind, selbst einzukaufen und zu kochen. Die Kochshows so konsumieren wie einen „Tatort“ oder eine Gameshow. Moderne Gartechniken oder Garen bei Niedrigtemperatur intetessiert das Fernsehvolk nur vom Sofa aus. Immerhin sichern sie die Existenz gastronomischer Betriebe und Pizza-Boten.
Gekocht wird auch im „Le Canard Noveau“, einen Steinwurf vom Landhaus Dill gelegen. Sternekoch Ali Güngörmüs hat das Restaurant Anfang des Jahres seinen langjährigen Mitarbeitern Florian Pöschl und Sebastian Bünning übergeben. „Sterne-Gastronomie ist schwierig geworden“, so Pöschl. Bei einigen Gästen gelte sie als spießig und steif. „Auf einen Stern werden wir trotzdem nicht verzichten.“
Keinen Anspruch an einen Stern erheben und trotzdem erstklassig kochen – das gelingt dem „Hygge“, dem ehemaligen „Landhaus Flottbek“, auf besondere Weise. Gerade erst eröffnet, kommen Küche und Konzept so gut an, dass die Tische an jedem Abend ausgebucht sind.
Auf der Karte stehen Gerichte wie Steinbutt im Ganzen gebraten, Keule vom Uckermärker Lamm oder Coq au vin vom Westfälischen Huhn. Bei Vokabeln wie „saisonal und regional“ winkt Jacobsen ab. Für ihn und seine Brasserie mit Bar sind das längst Selbstverständlichkeiten, die nicht mehr betont werden müssen.
Für Statistiker leben die glücklichsten Menschen in Dänemark. Deutschland folgt auf Platz 16. Ob die vielen Vollbärte vieler junger wie älterer Männer dem Wohlfühl-Trend geschuldet sind, haben die Statistiker nicht erforscht.
Gespräche über Politik gelten übrigens als unhyggelig. Unabhängig, ob nun ein Mettigel oder Kaisergranat auf dem Tisch steht.
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Autor: helmut.schwalbach(at)kloenschnack.de