ENERGIE
Zwischen Lagerfeuer und Vulkan
Die Fernwärme und ihre Zukunft
Auf jeden Fall sollten wir wachsam bleiben, damit uns diese Entwicklung nicht überrennt …“ So endet im Juli das alarmierte Schreiben eines Lesers an die Redaktion. Anbei eine Lagekarte, auf der ersichtlich ist, worum es geht: Eine Fernwärmeleitung, unter der Elbe hindurch in Richtung Othmarschen … .
Der Autor sorgt sich um Verkehr und Schröders Elbpark, über negative Auswirkungen für den Handel und kommt zu dem Urteil, die geplante Leitung ist „völlig unnötig“.
Wirklich? Wer hier fundiert antworten will, kommt nicht umhin, die gesamte Energieversorgung Hamburgs zu betrachten. Was wird wo erzeugt, zu welchen Bedingungen? Wo sitzen die Kompromisse und welche Lager treffen aufeinander?
Aus technischer Sicht kann der Streckenverlauf der neuen Anbindung überzeugen …
Zunächst der Blick nach Wedel. Das kleine Kraftwerk ist in die Jahre gekommen, versorgt jedoch noch immer ca. 240.000 Haushalte mit Strom. Ein Großteil der Leistung wird als Fernwärme geliefert. Diese Energieform genießt aus Umweltschutzgründen besondere Förderung. Sollte das Kraftwerk Wedel in naher Zukunft vom Netz gehen, dann müsste ein anderes Kraftwerk die Fernwärmeversorgung übernehmen.
Schwenk nach Moorburg. Das dortige Kraftwerk, 2015 in Betrieb genommen, ist ein anderer Brummer als Wedel. Es erzeugt ca. 1.600 Megawatt Leistung pro Jahr (Wedel 250 MW Strom, 420 MW Fernwärme). Moorburg ist zu etwa zwei Drittel ausgelastet. Es existieren Anschlüsse für Fernwärme mit einer Dimension von ca. 650 MW.
Ursprünglich, so die Planung von Vattenfall und des CDU-geführten Senats um 2005, sollte Moorburg Wedel ersetzen. Die hierzu nötigen Fernwärmeleitungen kamen jedoch nicht über die Planung hinaus. Eine Koalition aus Bürgerinitiativen und Umweltverbänden verhinderte vor Gericht den Bau. Moorburg ist daher bis heute ein reines Kohlekraftwerk und, trotz vorhandener Technik, eben kein Heizkraftwerk. Die Anlage ist auch aus diesem Grund für ihre jetzige Aufgabe überdimensioniert. Teile der Hamburger CDU fordern daher einen raschen Anschluss des Werks an die Fernwärme mittels einer neuen Leitung über die Elbe. Politisch ist das gegen den Widerstand von Rot-Grün jedoch nicht zu machen (dazu gleich mehr). In den letzten Jahren ging der Blick also zurück nach Wedel. Warum die alte Dreckschleuder nicht abreißen und durch ein emissionsarmes Gaskraftwerk ersetzen, das dann wiederum für Fernwärme zur Verfügung stünde?
Seither sehen die Fronten so aus: Die eine Bürgerbewegung hat eine Fernwärmeleitung Richtung Moorburg verhindert, das dortige Kraftwerk damit ebenfalls vom Tisch genommen und als Resultat Pläne zum Kraftwerk-Neubau in Wedel notwendig gemacht. Die andere Bürgerbewegung stoppte nun kürzlich auch diesen Neubau. Was nun?
Mehrere kleine Blockheizkraftwerke wurden aufgrund der damit verbundenen hohen Emissionen verworfen. Stattdessen präferieren Politiker und Bürgeraktivisten quer über politische Lager die Nutzung industrieller Abwärme.
Im Fokus stehen die Kupferhütte Aurubis, die Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm, das Klärwerk Dradenau, sowie eine Anzahl kleiner Firmen (Trimet, Arcelor etc.). Aufgrund der Standorte dieser Firmen würde eine Anbindung an das Fernwärmenetz der Stadt aber eine neue Leitung erfordern. Eben diese entsteht derzeit auf den Zeichenbrettern unter dem Namen „Fernwärmesystemanbindung-West“ (FWS-West).
Ist nun die FWS-West „unnötig“, wie im Leserbrief befürchtet? Technisch gesehen sicher nicht. Wenn eine Stadt keinen Atomstrom beziehen will, keine Kohlekraftwerke betreiben und den Bau eines Gaskraftwerks blockiert, wenn die Fernwärme aber gleichzeitig als ökologisch vorteilhaft ausgebaut werden soll, dann geht’s nicht ohne neue Leitungen. An irgendeiner Schraube muss man drehen.
Sicher haben die Kritiker aber auch nicht Unrecht: Liegt die FWS-West erst mal vor der Tür des Kraftwerks Moorburg, dann könnte der politische Wille erwachen, sich das Problem mit einem Mal vom Hals zu schaffen und statt vieler kleiner Lagerfeuer einfach den großen Vulkan anzuschließen. Mit den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen im Rathaus wäre das sicher nicht ohne weiteres machbar. Aber Mehrheiten ändern sich.
Zum weiteren Verlauf: Auf der Basis eines „Scoping“-Termins, der Ende Juni stattfand, soll nun die Umweltbehörde mit weiteren Untersuchungen beginnen. Eine Entscheidung ist bisher also nicht gefallen, wird aber fallen müssen.
Autor: tim.holzhaeuser(at)kloenschnack.de