TIMS THESEN
THEMA: Der Dagegen!
Ersteres finde ich nur mäßig plausibel. Kindheit kann eine einzige Erinnerung an Machtlosigkeit und Unzulänglichkeit sein. Auch die generelle Angst vor Veränderung klingt erst mal gut, ist aber kein zwingender Grund. Wer sich dazu durchringt, nach 20 Jahren endlich das Wohnzimmer umzuräumen, der ist vom Ergebnis meist hochgradig erfreut. Auch der Klischeetyp, der sein Leben lang den selben Urlaubsort besucht, ist nach meiner Beobachtung selten. Geltungsdrang ist eine nette Theorie, passt nach meinem Empfinden aber nicht so recht zur Destruktionskraft des Dagegen. Was also ist sein wahres Motiv?
These hierzu: Macht. Der Dagegen genießt das reine, kühle Gefühl, das uns durchströmt, wenn wir etwas tun, was kein anderer zustande brächte.
Der Bürgermeister sagt, etwas sei „alternativlos“? Der Dagegen lacht, gründet eine Bürgerinitiative als zentrale Sammelstelle für die anderen Dagegens (mittlerweile ein veritables Heer), sammelt Unterschriften und stoppt den Politiker noch vorm Wochenende auf Jahrzehnte hinaus.
Eine Straße soll umgebaut werden, damit der Verkehr fließt und ein Stadtteil wieder atmen kann? Da wandelt sich der Dagegen plötzlich zum Ornithologen, findet im Gebüsch eine Holsteiner Kackstelze und schon bleibt die Straße, wie sie ist.
Wir sehen: Die These wird gestützt von der Wahllosigkeit, mit der unser Dagegen dagegen ist. Er ist wandlungsfähig bis zur Selbstaufgabe. Auch das Ergebnis seiner Macht kann grob sinnfrei sein, dem menschlichen Verstand spotten, nachteilig sein für Generationen und dabei ein Vermögen kosten – spielt alles keine Rolle. Der Dagegen erhebt sich vorm Badezimmerspiegel und wispert mit hochgezogenen Brauen: „I did it!“ Wer nun von Journalisten Lösungen erwartet (oder die lahme Pointe, nach der ich nun gegen etwas sein muss), der wird enttäuscht. Der Dagegen ist in unserer zivilisierten und liberalen Gesellschaft ebenso geschützt wie Holsteiner Kackstelzen.
Und letztlich ist das auch gut so.