TRAUERFEIERN
„Time to Say Goodbye“
Emotionen, Erinnerungen und Abschied – die Hits auf der Trauerfeier
Ziehen Sie das bitte nicht ins Lächerliche“, sagt Nils Seemann, Geschäftsführer des Bestattungsinstituts Seemann & Söhne in Blankenese. „Es sind die Wünsche von Verstorbenen, die müssen wir respektieren.“
Versprochen!
Worum es geht? Um James Last und Johann Sebastian Bach, Xavier Naidoo, Freddy Quinn und letztlich um die Frage: Was tun Menschen, wenn es nicht mehr darauf ankommt, wenn Konsequenzen des eigenen Handelns nicht mehr zu erwarten sind, wenn das Lästern der Nächsten keine Rolle mehr spielt? Sie tun das, was sie wirklich wollen. Sie sind ehrlich. Wer mit dem eigenen Tod konfrontiert wird und Gelegenheit erhält, die Musik für die Trauerfeier selbst auszusuchen, der muss sich nicht allzusehr mit dem Geschmack und den Erwartungen seiner Mitmenschen belasten.
Aus heutiger Sicht mag das engstirnig erscheinen. Für unsere Großeltern bot ein klassisch-feierlicher Musikkanon jedoch nicht weniger als einen festen Halt. Gerade die Älteren, die sich gezwungen sahen, immer mehr und mehr Trauerfeiern beizuwohnen, hatten die Melodien im Ohr. Stücke aus dem evangelischen Gesangsbuch erinnerten an Gottesdienste und schlossen so einen großen Kreis um Taufe, Konfirmation, unzählige Sonntage und schließlich den Tod. Darüberhinaus bot der musikalische Kanon Sicherheit vor geschmacklichen Entgleisungen und stümperhaften musikalischen Darbietungen. Stücke wie das „Ave Maria“ oder „So nimm denn meine Hände“ schufen letztlich eine tiefe Gemeinsamkeit. Jeder konnte sie mitsingen oder summen, jeder konnte sich einen Moment lang an den gewohnten Harmonien festhalten.
So erklingt Hardrock von AC/DC durchaus auch auf Wunsch Verstorbener. Weit oben hier der Titel „Hells Bells“, aber Trauergäste berichten auch von „Highway to hell“. Angesichts einer sich immer weiter diversifizierenden Musikszene ist eines jedoch überraschend: Die Individualität im Trauerfall kennt Grenzen. Aktueller Chart-Terror fehlt völlig. Sterbende und Angehörige, so die Beobachtung, erkennen musikalische Eintagsfliegen und meiden sie. Es wäre übertrieben von einem neuen Kanon der Trauermusik zu sprechen, tatsächlich aber hat sich ein Repertoire herausgebildet. Es vereint Titel, die bewiesen haben, dass sie mindestens so haltbar sind wie ein Eichensarg. Musik aus dem Film „Doktor Schiwago“ gehört ebenso dazu wie Evergreens von Elvis Presley. Moderne Opernsänger wie Andrea Bocelli schmettern „Time to Say Goodbye“ oder „Memory“ aus dem Musical „Cats“. Die Beatles konkurrieren mit Frank Sinatras „My Way“ und mit Kinderliedern, die nicht nur bei den Gästen für ein bezaubertes Lächeln sorgen. „Das finde ich auch immer schön“, erzählt Bestatter Michael Schütt aus dem Hause Seemann. „Der Mond ist aufgegangen!“
Auch wenn Angehörige eine buchstäbliche Totenstille anregen, interveniert Seemann.
Musiker und auch Produzenten müssen bei den Stücken für Trauerfeiern einige Besonderheiten beachten.
„Die wichtigste ist die Reduktion des Stückes auf die Hauptmelodie. Gewünscht werden pro Stück vier bis fünf Minuten Spieldauer, sechs werden gerade noch toleriert. Bei acht Minuten entsteht das Gefühl, ein Konzert zu besuchen, also Teil einer äußerst unpassenden Szenerie zu sein.
Dementsprechend sind im Handel CDs erhältlich mit Ausschnitten aus einschlägigen Stücken. Musiker benötigen häufig gekürzte Partituren, werden bei Trauerfeiern aber generell immer seltener gebucht. Ein Umstand, den Bestatter wie Nils Seemann bedauern, der aber angesichts des verblichenen Kanons nicht zu ändern ist.
Ein stadtbekannter Pessimist etwa, der nach einem eher widerwilligen Abgang trällern lässt „I’ve Got the World on a String!“ (sinngemäß: Ich habe alles im Griff), der wird seinen eigenen Ruf posthum noch um 180 Grad drehen können.
Autor: tim.holzhaeuser(at)kloenschnack.de