2. März 2018
Magazin

… und tschüss! 

<div general-layout-selector="#html_structura_area_v2

MOBILITÄT

… und tschüss! 

Die Tankstellen in den Elbvororten verschwinden. Was bleibt, was kommt? 

Monika Jäger ist die Pächterin der Esso-Tankstelle. Noch hat sie viel zu tun. „Eine Tankstelle zu schließen ist schwieriger, als sie zu eröffnen.“ 
Monika Jäger ist die Pächterin der Esso-Tankstelle. Noch hat sie viel zu tun. „Eine Tankstelle zu schließen ist schwieriger, als sie zu eröffnen.“ 
Ende März schließt die Esso-Tankstelle in Blankenese. Sie folgt damit der Aral-Tankstelle und ist gleichzeitig Ausdruck eines Branchenumbruchs. Nach einem Höchststand von über 46.000 Tankstellen in den 70er Jahren hat sich das Bild heute dramatisch gewandelt.

Gründe hierfür sind neue Geschäftsmodelle jenseits der Zapfsäule, Konzentration und letztlich auch die Energiewende.

Eine schöne Zeit geht zu Ende“, sagt Monika Jäger. Der Satz klingt wie eine Liedzeile aus „Die Drei von der Tankstelle“, bezeichnet aber keine verstaubte Universum Film-Komödie, sondern die Realität heute: Am 28. März endet der Betrieb der Esso-Tankstelle an der Elbchaussee in Blankenese. Sie folgt dem Schicksal der einst gegenüberliegenden Aral-Tankstelle (2009 abgerissen).

Laut Aussage der Pächterin Jäger hat Esso das Grundstück verkauft. Geplant sei der Bau von Wohnungen auf dem weitläufigen Gelände.

Das Tankstellensterben in Blankenese (neben Aral und Esso gab es in grauer Vorzeit eine weitere Tankstelle vis-à-vis der Esso, heute Weinhandel Ravenborg) ist kein lokales Phänomen, sondern betrifft ganz Deutschland.

Die Branchenstudie „Tankstellenmarkt Deutschland 2016“ zählte zum 1. Januar 2017 14.510 Tankstellen. 1970 waren es noch ca. 46.000.

Auf den ersten Blick wirkt dieser Rückgang paradox, hat sich der Verkehr seit den 70er Jahren doch mehr als verdreifacht (basierend auf der Zahl der angemeldeten Autos). Demnach hätte sich die Zahl der „Tanken“ eher erhöhen müssen.

Das Tankstellensterben in Blankenese ist kein lokales Phänomen, sondern betrifft ganz Deutschland.  
Die Blankeneser Esso-„Tanke“ in den 1970er Jahren. Anfahrtstelle für Benzin, Diesel und Öl, aber noch ohne Shop   
Die Blankeneser Esso-„Tanke“ in den 1970er Jahren. Anfahrtstelle für Benzin, Diesel und Öl, aber noch ohne Shop   
Die Tankstelle existierte auch schon in den 20er Jahren. „Dapolin“ bezeichnete eine Benzin-Marke, die ab 1931 „Standard Benzin“ hieß. 
Die Tankstelle existierte auch schon in den 20er Jahren. „Dapolin“ bezeichnete eine Benzin-Marke, die ab 1931 „Standard Benzin“ hieß. 
Tatsächlich aber verläuft die gesamte Motorisierung heute ungleich effizienter als Jahrzehnte zuvor. Das durchschnittliche Auto verbraucht heute weniger Sprit als in den Jahrzehnten zuvor. Die Reichweite ist größer, ebenso die Tankintervalle. Die steigenden Zulassungen führen also nicht im gleichen Maße zu mehr Kraftstoffabsatz.

(Die Entwicklung zu verbrauchsarme Autos ist heutzutage allerdings keine selbstverständliche Entwicklung. In den USA etwa betrug die durchschnittliche Spritersparnis pro Auto zwischen 1973 und 1991 ca. elf Liter. Zwischen 1991 und 2015 konnte nur noch ein einziger Liter eingespart werden. Der Grund hierfür sind schwerere Fahrzeuge. Dieser Trend wird sich dank SUV-Wahns auch in Hamburg in künftigen Statistiken niederschlagen.)

In den 60er Jahren war die Esso-Tankstelle wesentlich kleiner und stand auf der heutigen Rasenfläche, an der Ecke zur Kreuzung hin.
In den 60er Jahren war die Esso-Tankstelle wesentlich kleiner und stand auf der heutigen Rasenfläche, an der Ecke zur Kreuzung hin.
Auch das Tanken selbst verläuft heute effizient. Ältere Semester werden sich erinnern: Selbstbedienung war in Tankstellen erst ab Mitte der 70er Jahre die Regel. Während zuvor die Zahl der Zapfsäulen von der Personallage abhängig war, konnte die SB-Tankstelle mit einer nahezu beliebigen Anzahl von Säulen bestückt werden. Der Kraftstoffabsatz pro Tankstelle stieg um ein Vielfaches. Hier zeichnete sich die erste „Marktbereinigung“ ab.

Heute ist Konzentration zu beobachten. Laut der eingangs erwähnten Branchenstudie schließen Aral, Esso u. a. systematisch kleinere, umsatzschwache Tankstellen und investieren in Großtankstellen an entsprechend breiten Straßen.

Aber ist die Blankeneser Esso-Tankstelle wirklich umsatzschwach? An den Zapfsäulen herrscht seit eh und je Betrieb. Benzin und Diesel rauschen durch die Schläuche – und erzeugen Margen nahe der Nachweisgrenze …

Pro Liter Benzin verdienen Tankstellenbetreiber ca. 1,5 Cent. Eine Tankfüllung bringt also rund einen Euro. Bei Diesel sieht es noch düsterer aus. Laut der britschen Beratungsgesellschaft Wood Mackenzie betrug die Marge 2016 eine „schwarze Null“.

Eine „Tankstelle“ im Jahr 2018. „Ladepunkt 2135“ wird hier und da genutzt, genießt aber auch noch viel Freizeit. Experten sagen jedoch voraus, dass sich die Art rasant vermehren wird. 
Eine „Tankstelle“ im Jahr 2018. „Ladepunkt 2135“ wird hier und da genutzt, genießt aber auch noch viel Freizeit. Experten sagen jedoch voraus, dass sich die Art rasant vermehren wird. 
Vor diesem Hintergrund werden Zusatzangebote wichtig: Werkstätten, vor allem aber der „Shop“. Illustrieren lässt sich die nachlassende Bedeutung von Sprit an Kuriositäten wie der Orlen Tankstelle in der Bernadottestraße (Othmarschen). Hier gibt es Service rund ums Auto, Brennholz, Tiefkühlpizza, Zeitschriften – aber kein Benzin. Nach einem Streit mit der Betreibergesellschaft wurde Pächter Ibrahim Keklikci im Herbst 2017 buchstäblich der Sprit abgedreht. Der Betrieb geht seither weiter und finanziert sich allein aus Non-Benzin-Verkauf und Dienstleistungen rund ums Auto. Zu bedenken ist hier allerdings: Keklikci arbeitet seit 33 Jahren in dem Betrieb, seit 16 Jahren ist er Pächter. Das Paar kann auf Stammkunden vertrauen. Den ersten Termin zur Zwangsräumung im November 2017 konnte Keklikci durch einen Antrag verzögern, aber nicht aufheben lassen. Das Verfahren geht weiter …

Betrachtet man nun erneut den Strukturwandel, dann fallen „Zwerge“ wie die Orlen Tankstelle nicht ins Gewicht. Augenfälliger wird der Wandel bei den „neuen“ Tankstellen an größeren Straßen.

An der Stresemannstraße steht mittlerweile ein veritabler Aral-Supermarkt mit ein paar Zapfsäulen davor. Erhältlich ist hier ein verkleinertes Rewe-Sortiment („REWE To Go“) – außerhalb der gesetzlichen Ladenöffnungszeiten, zu Prohibitionspreisen. Vergleicht man das Angebot an der Stresemannstraße mit der kleinen Esso-Tankstelle in Blankenese, dann wird das Problem deutlich: Wenn der Gewinn vermehrt aus dem Shop kommt, dann braucht es auch einen Shop, der diesen Namen verdient. Die „Ladenfläche“ der Esso Tankstelle Blankenese umfasst wenige Quadratmeter.

Nach wiederholten Verstößen gegen EU-Richtlinien zur Stickoxid-Belastung drohen Fahrverbote.  
Die Aral-Tankstelle in Blankenese an der Elbchaussee (im Hintergrund das Hotel Behrmann. Die HH-Kennzeichen der Autos wurden 1956 eingeführt.
Die Aral-Tankstelle in Blankenese an der Elbchaussee (im Hintergrund das Hotel Behrmann. Die HH-Kennzeichen der Autos wurden 1956 eingeführt.
Dagegen steht der Wert des Grundstücks. Der dürfte sich angesichts von Flächenknappheit auf eine beachtliche Summe gesteigert haben (genaue Daten zum Verkauf wollte die zuständige Pressestelle bis Redaktionsschluss nicht zur Verfügung stellen). Die Entscheidung zwischen Abriss/Verkauf und Neubau wird so letztlich eine nüchterne Abwägung ökonomischer Perspektiven gewesen sein.

Nüchterne Abwägungen sind allerdings etwas, mit dem man Pächterin Jäger jetzt nicht kommen sollte. Gefragt nach ihren Plänen für die Zukunft wird die joviale 54-Jährige deutlich: „Ich bin bei Esso seit meinem 19. Lebensjahr. Insgesamt 35 Jahre. Woher soll ich wissen, was als nächstes kommt?“

Zusätzlichen Druck erleben Tankstellen durch derzeit eingetrübte Zukunftsaussichten. Stichwort Energiewende, Stichwort Fahrverbot in Großstädten.

Nach wiederholten Verstößen gegen EU-Richtlinien zur Stickoxid-Belastung muss sich die Bundesrepublik vor dem Europäischen Gerichtshof verantworten. Auch nach mehrfachen Verwarnungen erwies sich die Bundesregierung außerstande, für bessere Luft in den Städten zu sorgen. Am 22. Februar (Redaktionsschluss Klönschnack März) verhandelte nun das Bundesverwaltungsgericht über zulässige Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität und damit auch über mögliche Fahrverbote für Dieselmotoren. Noch gilt als unwahrscheinlich, dass Fahrverbote tatsächlich verhängt werden, aber das Signal aus dem Bundesverwaltungsgericht wird deutlich ausfallen: Die Party ist vorbei. „Freie Fahrt für freie Bürger“ ist im Frühjahr 2018 nicht mehr als ein reaktionärer Slogan, dem die Realität eher kurz- als langfristig den Rest geben wird.

Und es kommt noch schlimmer: Keine Abschiedsparty am 28. März in der Esso-Tankstelle Blankenese.

„Das fehlte noch“, findet Monika Jäger.

Autor: tim.holzhaeuser(at)kloenschnack.de

Asklepios

Auch interessant