20. Oktober 2022
Magazin-Tipp

Bundeswehr Hamburg: „Wer verteidigt die Elbbrücken?“

Im Juni hat Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht einen sogenannten Tagesbefehl geben. Dieser ging im allgemeinen Trubel etwas unter. Vielleicht auch deshalb, weil er für viele Bundeswehrstandorte zunächst keine einschneidenden Veränderungen mit sich zu bringen schien. Gerade für Hamburg könnte das anders aussehen.

Bundeswehr Hamburg

Bundeswehr in Hamburg: Was ändert sich am Standort? // Foto: © P.-A. Wellinghausen

Im Jahr 1989 war Hamburg mit 21.000 Soldaten, verteilt auf zehn Kasernen, der zweitgrößte Standort der Bundeswehr Deutschlands – nach Koblenz. Hamburg trug die inoffizielle Bezeichnung „Intelligenzstandort“. Das war kein Seitenhieb auf andere Streitkräftebasen, sondern ging zurück auf die Bildungsinstitutionen der Bundeswehr in Hamburg, die Universität der Bundeswehr und die Führungsakademie. Letztere wurde bereits 1957 gegründet.

Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde die Truppenstärke in Hamburg massiv verringert. Eine Kampftruppe gab es nicht mehr. Mit Stand September 2022 sind 6.500 Bundeswehrangehörige in Hamburg tätig. Soldatinnen und Soldaten sieht man in Hamburg meist nur zu besonderen Anlässen im Straßenbild. Auch Panzer, Jets oder anderes schweres Gerät sieht man hier nicht – allenfalls eine Fregatte zum Hafengeburtstag. Das könnte sich bald ändern.

Neues Führungskommando in Hamburg

Wappen Heimatschutz Hamburg
Das Wappen des Heimatschutzes Hamburg – demnächst wohl öfter zu sehen. // Foto: © P.-A. Wellinghausen

Im Juni dieses Jahres kam aus dem Bundesverteidigungsministerium folgende Meldung: „Der russische Einmarsch in der Ukraine hat die Notwendigkeit unterstrichen, die Führungsorganisation der Streitkräfte verstärkt auf die Anforderungen der Landes- und Bündnisverteidigung auszurichten. Hierzu haben wir entschieden, zum 1. Oktober 2022 ein ‚Territoriales Führungskommando der Bundeswehr’ (TerrFüKdoBw) in Berlin aufzustellen.“

Um es klarzustellen: Die Bundeswehr hat bis zum 1. Oktober dieses Jahres im Inland vor allem eine Rolle im Katastrophenschutz gespielt. Mit Einsetzung des TerrFüKdoBw wird eine Mission aufgenommen, die seit Ende des Kalten Krieges nachrangig war: die Landes- und Bündnisverteidigung.

Dem neuen Führungskommando sind die Heimatschutzkräfte, das Zentrum für die Zivil-Militärische Zusammenarbeit und auch die 16 Landeskommandos unterstellt – so auch Hamburg.

Kein grundsätzlicher Wandel

Ein grundsätzlicher Wandel am Militärstandort Hamburg ist nicht zu erwarten, wie der Kommandant des Landeskommandos Michael Giss betont. Die angestammten Institutionen wie die Führungsakademie und die Universität der Bundeswehr bleiben bestehen und somit erhält sich Hamburg den Ruf als „Intelligenzstandort“.

Michael Miss
Kommandeur des Landeskommandos Hamburg, Kapitän zur See Michael Giss // Foto: © bundeswehr

Was sich in Bezug auf die Landesverteidigung in Hamburg ändert, erklärt Kapitän zur See Michael Giss so: „Wir bauen auf sogenannte Heimatschutzkräfte, die wir mit Reservisten in unseren Heimatschutz-Kompanien besetzen.“ Dies gehe über die bisherige Kooperation mit den Behörden hinaus. Zur Zahl neuer Einsatzkräfte sagt Michael Giss: „Die Heimatschutzkräfte sind in Kompanien organisiert. Wir haben bereits eine Kompanie. Jetzt kommt es auf interessierte Reservisten oder Interessenten für den Reservedienst an.“ Das gelte für ehemalige Bundeswehrangehörige, aber auch für diejenigen, die noch nie bei der Bundeswehr waren. Die Bewerber sollten im Alter zwischen 18 und 55 Jahren sein. „Diese Reservisten werden im Landeskommando von einem Stab aktiver Soldaten ausgebildet und geführt“, fügt Giss hinzu.

Neue Herausforderungen für die Bundeswehr

Da Hamburg bislang keine Kampftruppe hatte, werden neue Herausforderungen entstehen. „Das Landeskommando wird in jeder Hinsicht verstärkt werden müssen. Ich brauche in meinem Lagezentrum Unterstützung, weil ich nicht nur mit Berlin taktisch-operativ arbeiten muss, sondern auch mit alliierten Streitkräften. Und ich muss in der Lage sein, hier in Hamburg militärisch zu führen. Ich muss auch von der Ausbildung her andere Akzente setzen“, erläutert Landeskommandant Giss.

Das Stichwort Ausbildung betrifft Hamburg besonders, denn hier werden Offiziere aus Deutschland und vielen Nato-Staaten ausgebildet. Da sich die Ausrichtung der ganzen Bundeswehr ändert, werden auch Ausbildungsbedarfe an vielen Orten zunehmen. Hier meint Michael Giss: „Auf der einen Seite brauchen wir mehr Ausbilder vor Ort für die Ausbildung der Heimatschützer, mit dem Ziel einer gut ausgebildeten Infanterie Kompanie. Auf der anderen Seite steht zum Beispiel die Führungsakademie. Dort werden Dinge des Heimatschutzes konzeptionell abgebildet. Dieser Bereich wird sicherlich demnächst weiterentwickelt werden. Dabei geht es zum Beispiel um die Frage der Zusammenarbeit mit den Alliierten und wie dies im Föderalismus funktionieren kann. Es gibt noch viele offene Fragen, weil wir uns in Deutschland seit 30 Jahren nicht mehr mit Landesverteidigung beschäftigt haben. Hier werden auch neue Regelwerke nötig.“ Die Bedeutung Hamburgs für die ganze Bundeswehr könnte sich damit also noch vergrößern.

Noch einige Fragen offen

Bezüglich der Infrastruktur wie Übungsplätzen seien noch einige Fragen zu klären. Zwar wurden auch bisher Reservisten in Hamburg ausgebildet, doch das erhöhte Ausbildungsaufkommen erhöht auch die Bedarfe. Eine bundesweite Bestandsaufnahme soll aufzeigen, was benötigt wird. Dieser Prozess wurde bereits nach der sogenannten „Zeitenwende-Rede“ des Bundeskanzlers angestoßen. Die zugesicherten 100 Milliarden Euro Sondervermögen werden aber nicht unmittelbar den Heimatschutzkompanien zukommen, sondern dem Grundbedarf der Streitkräfte.

Eine Rückkehr zum Zustand Ende der 1980er Jahre ist das sicher nicht – gerade in Hamburg. Nach über 30 Jahren ohne Kampftruppe ist es dennoch ein markanter Schritt.

Auch in der Truppe kommt das an. Eine neue Ernsthaftigkeit könnte man es nennen. „Es macht etwas mit einem, wenn sich in relativ kurzer Zeit der Schwerpunkt ändert und wir Landes- und Bündnisverteidigung in den Fokus stellen. Es rückt einfach näher“, sagt eine Reservistin. Und sogar außerhalb der Kasernen, also in dem Teil der Bundeswehr, der bereits in Einsätzen ist, spürt man eine Veränderung. Bei der Besatzung der Fregatte „Bayern“, die der Klönschnack kürzlich besuchte, spricht man mehr über den konkreten Ernstfall.

Bundeswehr wird verstärkt

An Tarnfleck und Militäruniformen im öffentlichen Raum ist man in Hamburg nicht unbedingt gewöhnt. Es stellt sich die Frage, ob im Stadtbild mehr Soldatinnen und Soldaten auftauchen oder mehr Militärfahrzeuge. „Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Wenn die NATO sich weiterhin nach Osten ausrichtet, werden wir auch über den Hafen und Flughafen militärische Bewegungen haben, die wir dann unterstützen, in jeder Hinsicht. Es wird sich etwas ändern, auch optisch auf den Straßen“, sagt Landeskommandant Giss.

Übung Bundeswehr
Vorbereitung auf den Ernstfall // Foto: © P.-A. Wellinghausen

Michael Giss war selbst Kapitän einer Fregatte. Als Kommandant des Landeskommandos kommt nun eine Aufgabe auf ihn zu, die er hier bislang nicht hatte: die Vorbereitung auf Gefechte im Inland. Für Michael Giss ist dies jedoch ein zentraler Punkt, der das Herz jedes militärischen Vorgesetzten berühre: „Ich muss meine Untergebenen immer auf das harte Ende vorbereiten, auch in der Ausbildung, tief im Frieden, weit vor irgendwelchen Vorfällen oder schlimmen Ereignissen. Aber das ist für mich die Grundlage des Berufs.“ Deshalb müsse dieser Punkt immer in die Ausbildung einfließen. „Ich möchte hier Menschen zu Kriegern und Kriegerinnen ausbilden. Das ist es, was am Ende die Politik von uns abfordert“, verdeutlicht er.

Bundeswehr als letztes Mittel?

Wie die Zuständigkeiten letztlich aussehen, wer wann wen alarmiert, sei noch nicht klar und stehe in der Verantwortung des Verteidigungsministeriums. Ob die Bundeswehr, wie bislang, nur auf Anfrage als letztes Mittel eingesetzt werde, hält Michael Giss für fraglich. Bei einem Angriff müsse die Bundeswehr zuerst handeln und nicht zuletzt. Hier gehe es nicht darum, das Grundgesetz zu ändern oder den Rechtsstaat, sondern darum, Zuständigkeiten zu klären. Doch wo ordnet sich an dieser Stelle die Zivilgesellschaft ein? Womöglich muss sich auch dieser Teil Deutschlands umstellen. Bis dahin sei es die Aufgabe des Landeskommandos, den Heimatschützern zu vermitteln, was auf sie zukommen könne. So sei es auch gut möglich, dass ein Heimatschützer oder eine Heimatschützerin nicht mit dem Gewehr unser Land verteidige, sondern als Teil der Cyberabwehr fungiere und auch hier käme die „Intelligenz“ des Standorts wieder ins Spiel, so Giss.

„Aber jetzt sind wir zunächst bei den Grundlagen. Ich versuche das immer mit einem Bild zu beschreiben und sage: ‚Wer verteidigt die Elbbrücken?’ Über die Frage mag man erst mal lachen, aber momentan kann sie keiner so recht beantworten. Und solange es keiner beantworten kann, sorgt die Heimatschutz Kompanie Hamburg dafür, dass die Elbbrücken verteidigt werden“, sagt Landeskommandant Michael Giss.

Das neue Führungskommando

Das neue Territoriale Führungskommando der Bundeswehr (TerrFüKdoBw) trägt die Gesamtverantwortung für die Führung aller Teilstreitkräfte Deutschlands sowie der militärischen Organisationsbereiche (Heer, Luftwaffe, Marine, Zentraler Sanitätsdienst, Streitkräftebasis, Cyber- und Informationsraum) im Rahmen des Heimatschutzes. Dazu zählt auch die Amts- und Katastrophenhilfe, hybride Bedrohungslagen sowie die Zivil-Militärische Zusammenarbeit.

Auch interessant