17. November 2022
Magazin-Tipp

Ein archäologischer Kurztrip: Das Hamburg unter Hamburg

Rund 3.600 Bodendenkmale zeugen von der reichen Geschichte Hamburgs. Durch archäologische Arbeit wurden seit der Nachkriegszeit spektakuläre Entdeckungen gemacht. Einiges wartet noch darauf, gehoben und verstanden zu werden, im Hamburg unter Hamburg.

Archäologie in Hamburg – Computergrafik: Überlagerung von Neuer Burg und dem Hopfenmarkt bei St. Nikolai. // Grafik: AMH / ©Roland Warzecha und Cooper Copter GmbH

Computergrafik: Überlagerung von Neuer Burg und dem Hopfenmarkt bei St. Nikolai. // Grafik: AMH / ©Roland Warzecha und Cooper Copter GmbH

Unter dem Straßenpflaster in Hamburg liegt das Zeugnis einer Jahrtausende alten Geschichte unsichtbar verborgen. Immer wieder werden bei Bauarbeiten unbekannte Siedlungen, Gräberfelder und Befestigungsanlagen gefunden – aus einem Zeitraum von 17.000 Jahren. Diese Bodendenkmale sind ein Weg, die Menschen vergangener Epochen besser zu verstehen und damit auch unsere heutige Kultur.

Der Schutz, die Pflege und die Erforschung aller archäologischen Fundstellen sind im Denkmalschutzgesetz geregelt. Das Archäologische Museum Hamburg erfüllt für die Freie und Hansestadt diese wichtige Aufgabe. Damit ist das Museum eine absolute Ausnahme in Deutschland, denn gewöhnlich hat ein eigenständiges Amt diese Funktion inne.

Das Archäologische Museum Hamburg ist in Harburg. Dort arbeitet Kay-Peter Suchowa. Er ist der Grabungsleiter des Museums und kennt sich wie kein zweiter in Hamburgs historischem Untergrund aus. Er hat auch die Grabungen an der neuen Burg am Hopfenmarkt geleitet. Doch dazu später mehr.

Je tiefer man gräbt, desto weiter geht es in die Vergangenheit

Kay-Peter Suchowa – Grabungsleiter des Archäologischen Museums Hamburg
Kay-Peter Suchowa – Grabungsleiter des Archäologischen Museums Hamburg

Suchowa erklärt, dass die Stadt auf der Stadt wächst. Je tiefer man gräbt, desto weiter geht es in die Vergangenheit. So liefert praktisch jede Grabung auch ein Ergebnis. Bei den Entdeckungen unterscheidet man in größere Konstrukte, die man vor Ort untersucht, und Dinge, die man mit sich nehmen kann. Erstere heißen Befund, letztere schlicht Fund. So ist das Fundament einer Burg ein Befund und eine Münze ein Fund.

Im Kontext einer großen Entdeckung finden sich auch viele kleine Dinge, die dann gewissermaßen ihren Sinn leichter preisgeben, zum Beispiel Grabbeigaben, die in einem Grab gefunden werden, sind leichter zuzuordnen. Oft geht es nicht mal um sehr alte oder spektakuläre (Be-)Funde.

Bei Straßenarbeiten trifft man oft auf künstliche Strukturen wie Fundamente. Durch die Zusammenarbeit mit Stadtarchiven kann dann ein Abgleich mit Karten und Fotos erfolgen. Überhaupt sind Bauarbeiten eine häufige Möglichkeit, in den historischen Grund der Stadt vorzudringen. Manchmal kommt dabei eine Sensation zum Vorschein: Die Neue Burg, die größte, die wohl jemals in Norddeutschland gebaut wurde, hat man bei Bauarbeiten gefunden. Sie löste einst die Hammaburg am Domplatz ab, jenem Ort, dem Hamburg seinen Namen verdankt. Heute erinnern am Domplatz künstliche Landmarken an die Hammaburg und den alten Mariendom.

Ein Segen für die Archäologie – Die Neue Burg

In einer Zeit, in der andernorts, etwa am Rhein, Steinburgen errichtet wurden, hat man hier mit Baumstämmen und Erde gewaltige Wallanlagen gebaut. Das nennt man dann eine Niederungsburg. Für die Forschung sind die gut erhaltenen Baumstämme aus dem Wall ein Segen. Denn sie lassen eine ziemlich exakte Altersbestimmung zu. Diese Methode nennt man Dendrochronologie: Die Jahresringe von Bäumen werden anhand ihrer unterschiedlichen Breite und einer bekannten Wachstumszeit zugeordnet.

Grabung am Hopfenmarkt. Westwall Neue Burg. // Foto: Archäologisches Museum Hamburg
Grabung am Hopfenmarkt. Westwall Neue Burg. // Foto: Archäologisches Museum Hamburg

So konnte Kay-Peter Suchowa nachweisen, dass die Neue Burg rund 40 Jahre älter ist, als bislang angenommen wurde. Sie hat ihre Anfänge vermutlich im Jahr 1021. Mit der Neudatierung löst sich ein Widerspruch auf: „Für mich machte es keinen Sinn, dass die Burg 1061 entstanden sein sollte. In dieser Zeit gab es keinen Grund mehr für einen solchen Bau. Doch vierzig Jahre zuvor sieht es ganz anders aus,“ erklärt Suchowa.

Die Neue Burg wurde vom Billungerherzog Bernhard II. errichtet. Deshalb spricht man bei dieser Burg auch vom Stolz der Billunger. Der Burgwall hatte eine Breite von 36 Metern und eine Höhe von fünf Metern. Die Burg sollte den damaligen Westen Hamburgs gegen Feinde sichern. Sie war zugleich die Keimzelle der heutigen Neustadt. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass die Neustadt um 1188/89 gegründet wurde. Damit ist sie älter als bislang angenommen. Außerdem wurde so klar, dass es keine Übergangsburg zwischen der Hammaburg und der Neuen Burg gab.

Das archäologische Fenster

Diese Entdeckung hat somit viele Erklärungen geliefert. Deshalb hat man sich auch entschlossen, dem auf besondere Art gerecht zu werden. Bei der Neugestaltung des Hopfenmarkts wird der Burgwall durch ein sogenanntes „archäologisches Fenster“ der Öffentlichkeit dauerhaft zugänglich werden. Damit öffnet sich tatsächlich ein Fenster in die Stadtgeschichte.

Der Fund gut erhaltener Bäume war das, wovon viele Archäologen träumen. Es ist erstaunlich, in welcher Art die Wissenschaft einen Fund oder Befund liest. Ein weiteres Beispiel hierfür sind die Anordnung und Größe von Mauersteinen. Beides kann Aufschluss über die Bauzeit liefern.

So hilft High-Tech der Archäologie

Diese Methoden sind recht klassisch, doch längst kommen auch andere Dinge zum Einsatz. Jemand, der sich damit bestens auskennt, ist Archäologe Nikola Babucic. Er ist Experte für technische Methoden in der Archäologie und arbeitet an der Universität Hamburg. Er beschäftigt sich mit ökonomischen Fragestellungen und erklärt, dass der Grundriss einer Siedlung und Funde wie Öfen oder Befunde wie Hafenanlagen viel über den Ort verraten. Etwa über den Handel oder das tägliche Leben. Babucic nennt technische Methoden wie die Geomagnetik, das Georadar, Drohnen und die XRF-Analyse (eine Röntgentechnik zur Materialbestimmung). Die ersten beiden Methoden können Gegenstände und Strukturen im Untergrund erkennen. Je nach Technik und Ergebnis sind sogar Rückschlüsse auf das Material möglich. Die Daten des Georadars helfen auch bei 3D-Rekonstruktionen am Computer.

Nikola Babucic ist Archäologe und arbeitet an der Universität Hamburg. Er ist Experte für technische Untersuchungsmethoden.
Nikola Babucic ist Archäologe und arbeitet an der Universität Hamburg. Er ist Experte für technische Untersuchungsmethoden.

Durch den Einsatz der Geräte lässt sich erkennen, ob eine Grabung lohnt und wie man sie bestenfalls anlegt. Manche dieser Techniken wurden in Hamburg bei der Suche nach sogenannten Motten, einem bestimmten Typ der mittelalterlichen Burg, eingesetzt. Auch bei der Erforschung der Neuen Burg kam Hightech zum Einsatz. Nikola Babucic spricht neben den Geräten außerdem vom Forschungstauchen, einer kosten- und ausbildunsgintensiven Methode, die jedoch sehr reizvoll ist. Auch Kay-Peter Suchowa erwähnt sie. Auf die Frage, was er gerne entdecken würde, erzählt Suchowa vom Nikolaifleet. Dort vermutet er die Überbleibsel des alten Hafens bei der Neuen Burg. Vielleicht liegen dort sogar die Reste eines Schiffs aus der Zeit der Neuen Burg. Das wäre eine gewaltige Entdeckung. Tauchgänge hätten hier eine Schlüsselrolle.

Die aktuellen Grabungen in Hamburg

Grabung bei St. Trinitatis // Foto: Archäologisches Museum Hamburg
Grabung bei St. Trinitatis // Foto: Archäologisches Museum Hamburg

Aktuell finden gleich mehrere außergewöhnliche Grabungen statt. Eine bei St. Trinitatis in Altona, eine am Rödingsmarkt, die Grabung zur Rönneburg und die Suche nach Festungsresten am Kanalplatz in Harburg. Eine größere Grabung, wie die zur Neuen Burg am Hopfenmarkt, kostet etwa eine Million Euro pro Jahr. Bedenkt man, welcher Aufwand getrieben werden muss, ist die Summe nur allzu verständlich. Jede kleinste Spur verdient Beachtung, ob es eine Münze ist, ein Pfahl oder ganze Gebäudereste.

Die Grabung bei St. Trinitatis hat diese Glasgegenstände zutage gebracht. Durch die Hitze der Bombenexplosionen im Zweiten Weltkrieg, wurden die Gegenstände verformt oder miteinander verschmolzen. // Foto: Archäologisches Museum Hamburg
Die Grabung bei St. Trinitatis hat diese Glasgegenstände zutage gebracht. Durch die Hitze der Bombenexplosionen im Zweiten Weltkrieg, wurden die Gegenstände verformt oder miteinander verschmolzen. // Foto: Archäologisches Museum Hamburg

Die Grabung bei St. Trinitatis ist besonders interessant. Wie Suchowa erklärt, sind hier Informationen aus dem 16. Jahrhundert bis 1946 zu finden. Es ergeben sich Einblicke in die Siedlungs- und die Sozialgeschichte. Berührend ist hier, dass der Zweite Weltkrieg die Spuren verändert hat.  Es finden sich Flaschen und andere Objekte aus Glas, die durch die Hitze der Bomben verformt oder zusammengeschmolzen wurden.

Gräber aus der Kaiserzeit unter einer Tankstelle

Neben den erwartbaren Funden gibt es die zufälligen und dann auch noch die bereits bekannten. Nicht selten werden Bodendenkmale gesichtet, dokumentiert und wieder überbaut. Man kann schlicht nicht alles ausgraben, konservieren oder ein Museum errichten. Ein Beispiel überrascht besonders: An der Elbchaussee in Blankenese liegt unter dem Gelände der ehemaligen Esso-Tankstelle ein Gräberfeld der römischen Kaiserzeit (0–375 n. Chr. Geburt). Hier soll ein Abriss erfolgen. Doch das heißt, bevor hier neu gebaut werden darf, muss alles fachgerecht freigelegt und für die Neubebauung vorbereitet werden. Bevor das Archäologische Museum sein OK gibt, wird hier überhaupt nichts passieren.

Es ist nicht der einzige ungewöhnliche Fall im Hamburger Westen, wie Grabungsleiter Suchowa berichtet: In Dockenhuden, unter der Führungsakademie der Bundeswehr, verbirgt sich vermutlich eine kleine Burg. Alte Karten und andere Dokumente legen den Verdacht nahe. Es sind längst nicht die ältesten historisch interessanten Orte. In Sülldorf finden sich Hügelgräber nahe der Straßen Op’n Hainholt und Fuhlendorfweg. Sie stammen aus der Zeit von 1.500 bis 1.000 vor Christus. Eine Tafel weist auf diese alte Grabstelle hin. Der Name Sülldorf geht wohl auf die Wasserlöcher der ehemaligen Siedlungen, die Suhlen, zurück.

Die Forschung führt die Forschenden auch an unerwartete Orte

Es rücken auch Denkmäler und Orte der jüngeren Geschichte, besonders aus dem 2. Weltkrieg, zunehmend in den Fokus der Bodendenkmalpflege, so auch das Konzentrationslager Neuengamme. In Zusammenhang mit dem Aufbau der Gedenkstätte wurden durch Ausgrabungen 2003 bis 2005 die genaue Lage der einzelnen Lagerbauten aus der NS-Zeit erfasst. Auf diese Weise hat die Archäologie einen wertvollen Beitrag zur Dokumentation und authentischen Vermittlung der Geschichte des Konzentrationslagers geleistet.

Ausgrabungen in der KZ- Gedenkstätte Neuengamme. Dieser Befund weist auf eine weitere Baracke hin und könnte Aufschluss über die tatsächliche Größe des Lagers und die Anzahl der Opfer geben. // Foto: Archäologisches Museum Hamburg
Ausgrabungen in der KZ- Gedenkstätte Neuengamme. Dieser Befund weist auf eine weitere Baracke hin und könnte Aufschluss über die tatsächliche Größe des Lagers und die Anzahl der Opfer geben. // Foto: Archäologisches Museum Hamburg

Suchowa erklärt, warum jüngere Funde so anders sind, nicht nur, was Material, Form und Funktion angeht: „Die Funde aus jüngster Vergangenheit gehen uns Menschen näher, weil wir einen engeren Bezug zu ihnen haben. Ein Beispiel: Wenn ich Pfahlreste finde, kann ich eine abgesetzte braune Schicht im Erdreich zeigen. Mir sagt das viel, aber anderen … Wenn ich jedoch im KZ Neuengamme ein Spielzeug finde …“, Suchowa stockt.

Ein Schatz zu unseren Füßen

„Es hat auch etwas Tröstliches.” Es klingt irritierend, aber er erklärt weiter: „Wenn jemand in dieser Hölle, nach einem Tag härtester Zwangsarbeit noch die Kraft findet, aus Blechresten ein Spielzeug herzustellen, dann zeigt das doch, wie unverwüstlich der Mensch ist.” Die Archäologie schlägt uns ein Buch auf, das ohne sie niemals geöffnet werden könnte, vielleicht sogar nicht mal bekannt wäre. Wir können daraus lernen, nicht nur über die Vergangenheit, sondern auch für die Zukunft. Dieses Buch liegt uns zu Füßen, ein Schatz, im Hamburg unter Hamburg.

 

ZUR SACHE:

Archäologie

Das Archäologische Museum Hamburg bietet eine Vielzahl interessanter Ausstellungen zu Hamburgs archäologischen Schätzen. Seit Kurzem steht mit dem Archäomobil auch ein „mobiler Zweig“ des Museums parat, der Schulen besucht und an Veranstaltungen wie dem Hafengeburtstag Lust auf Archäologie macht. Derzeit dauern verschiedene Grabungen in Hamburg an. Weitere sind geplant.

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