20. Juli 2023
Magazin-Tipp

Kommt das Grundeinkommen?

An dieser Stelle erscheint jeden Monat Tim Holzhäusers Glosse mit einer gewagten These. Diesen Monat geht es um die Themen Einkommen und Zuschüsse.

Autor Tims Thesen

Redaktionsleiter Tim Holzhäuser

Auch in diesem Monat geht es um die Veränderung der Arbeitswelt, ausgelöst durch die technischen Neuerungen der künstlichen Intelligenz. Einen Bericht zum derzeitigen Arbeitsmarkt finden Sie ab Seite 16 dieser Ausgabe. Ein Aspekt war mir aber zu spekulativ.

Stichwort Grundeinkommen. Die Idee zirkuliert seit Jahrzehnten und gewinnt an Dynamik. Ein bedingungsloses Grundeinkommen, bei dem jeder Bürger den gleichen Betrag erhält, widerspricht aber der zentralen Dok­trin unseres Wirtschaftssystems. Wer es einführen will, scheitert unweigerlich an ideologisch motiviertem Widerstand. Wie solch ein Scheitern aussieht, kann man in den USA beobachten. Dort wird noch der leiseste Versuch, die desolate Situation der Krankenversicherung zu lösen, als „communism“ diffamiert und ist damit so tot wie Karl Marx persönlich.
Die Vorstellung nun, dass wir in 20 Jahren ein anderes Wirtschaftssystem haben, das nicht mehr der kapitalistischen Logik gehorcht, erscheint mir utopisch. Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte daher nur in Gestalt eines Trojanischen Pferds auftauchen.

Bereits heute gibt es einen ganzen Strauß an sogenannten Transferleistungen, bei denen also Staatshilfe ohne Gegenleistung erbracht wird, in Form von Zahlungen, Sachleistungen, Vergünstigungen etc. Dazu gehört die Sozialhilfe ebenso wie das Kindergeld und auch das BAföG (nicht aber beitragspflichtige Leistungen wie die Rente). Die Gesamthöhe all dieser Transfers ist gewaltig und beträgt nach Berechnung der Bundesregierung über 1,1 Billionen Euro pro Jahr. Misst man die gesamte Wirtschaftskraft des Landes am Bruttoinlandsprodukt (3,87 Billionen), dann wird die Dimension klar.

Der große Mythos vom Profit durch Transferleistungen

Es ist übrigens ein Mythos, dass nur die armen Schichten von Transferleistungen profitieren. Wer hat, dem wird gegeben – das gilt auch hier, wie die Süddeutsche Zeitung bereits 2020 ausrechnete. Ein Modellsingle mit einem Jahresbruttoeinkommen von 50.000 Euro erhielt demnach rund 9.100 Euro vom Staat. Hier machen die Transfers also bereits fast 20 Prozent des Einkommens aus.

Meine These ist nun, dass die Summe dieser Transfers zunächst weiter zunimmt und die Anzahl einzelner Leistungen ebenso. Denken wir an Heizkostenzuschüsse der Bundesregierung, also an Zuschüsse als Antwort auf aktuelle Krisen. Was, wenn sich so eine Krise verfestigt? Dann könnten auch die entsprechenden Zuschüsse dauerhaft werden. Bereits heute können all diese Transfers im Einzelfall ein Niveau erreichen, das die Bezeichnung Grundeinkommen rechtfertigen würde. Ich könnte mir also gut vorstellen, dass sich das ideologisch so vehement bekämpfte Schreckgespenst als Transfer getarnt einschleicht. Ob das Gespenst dann seinen richtigen Namen erhält, wird in der Folge keine große Rolle mehr spielen.

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