14. November 2023
Magazin-Tipp

Zeitläufe: Das Gut Marienhöhe

Ist es nur ein weiteres schönes weißes Herrenhaus aus dem 19. Jahrhundert oder handelt es sich um ein besonderes Bauwerk, das Spaziergänger auf einer kleinen Anhöhe im Waldpark Marienhöhe überrascht?

Ein Sommertag auf dem Gutshof Marienhöhe im Jahr 1935. // Archivbild: Gisela Dulon

Ein Sommertag auf dem Gutshof Marienhöhe im Jahr 1935. // Archivbild: Gisela Dulon

Das Grundstück ist eingezäunt, das Tor verschlossen. Vier Briefkästen gibt es, ein Auto parkt links. So wie das Auto heute neben dem Haus parkt, so stand 1935 auf einer nach einem Foto angefertigten Zeichnung ebenfalls ein Fahrzeug. Und so wie das Gebüsch den Blick einschränkt, so unklar ist vielen die Geschichte des Hauses. „Heute trennt uns ein Dickicht von Nicht-Wissen und Verschweigen“, schreiben Gisela und Günter Dulon 2003 im Vorwort ihres Buches (siehe Kasten) über den ehemaligen Eigentümer des Hauses, den Unternehmer Julius Asch.

Es entstand ein Tageslandschulheim

Unter anderem durch die Gründung des „Vereins zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese“ 2003 wissen Blankeneser mittlerweile mehr über die Schicksale jüdischer Mitmenschen in der Nazizeit. So auch über den 1875 im heute polnischen Rawitsch bei Breslau geborenen Asch, der für eine kaufmännische Lehre bei Chs. Lavy & Co. nach Hamburg kam, hier sesshaft und reich wurde. 1919 erwarb er mehrere Grundstücke an der Elbe und bezog ein großes Haus an der Elbchaussee 557 (damals 30), das es noch heute gibt.

Von der Rostocker Bank kaufte er den Gutshof Marienhöhe mit Feldern, Wiesen und Wald. Ursprünglich hatte hier ein Heidehof gestanden, an dessen Stelle ein Vorbesitzer, Simon Heeren, 1871 das Gutshaus baute und versuchte, den kargen Sandboden zu kultivieren. Julius Asch wirtschaftete nicht erfolgreicher, das Gut trug sich nicht selbst. Aber er und seine Frau Erna kümmerten sich um Tiere und Landwirtschaft. Sie ließen Hütten bauen und organisierten eine Art „Tageslandschulheim“, wo sich durch den 1. Weltkrieg geschädigte Stadtinder unter Aufsicht jüdischer Erzieherinnen auf dem Land erholen konnten.

Scheunen, ein Gemüsegarten, ein ehemaliger Ententeich – Davon steht nichts mehr

„Erst als ich den Namen ‚Asch‘ hörte, erinnerte ich mich an die Sommertage auf dem Hof. Das war mir all die Jahrzehnte entfallen”, zitiert Gisela Dulon 1998 bei einem Treffen von Holocaust-Überlebenden in Blankenese. Im Juli 2010 beschreibt ein Artikel in der „DorfStadtZeitung“, wo sich Scheunen, ein Gemüsegarten, der ehemaligen Ententeich oder auch das Strohdachhaus befunden hatten, das Erna Asch nach dem Tod ihres Mannes bauen ließ und in dem sie bis zu ihrem Tod 1969 lebte. Andere Quellen berichten von einem Gehege für Fasanenzucht Bilder aus der Zeit zeigen Heuernte und Viehzucht.

Aschs Tod

Ab 1937 wurde in Hamburg die sogenannte „Entjudung der Innenstadt“ vorangetrieben. Davon blieb auch Asch nicht verschont. 1938 wird er enteignet. Bürokratische Hürden und einander ablösende Auflagen verhindern Aschs Abreise nach London per Schiff am 10.12.1938. Einige Wochen später sah er keinen anderen Ausweg mehr als den Freitod durch Ertrinken in der Elbe. Hans Ulbricht, der damals als 13-Jähriger den Toten fand, berichtet in Gisela Dulons Buch: „Ich habe mich gleich aus dem Staub gemacht; wir wohnten am Strandweg. Ob ich es meiner Mutter gleich erzählt habe, weiß ich nicht mehr. Den Lehrern bestimmt nicht. Das behielten wir für uns. Über Juden zu sprechen, war tabu.”

Die Marienhöhe heutzutage

Der Bremer Früchtehändler Gustav Scipio kaufte den Gutshof. Später zog die Reiter-SS mit ihren kranken Pferden in die Fachwerkhäuser am Gutshof ein, dann Flüchtlingsfamilien. Teile des Friedhofs, seit 1960 das Freibad, die Tennisplätze der SpVgg Blankenese, eine Kita mit 100 Plätzen, ein Spielplatz und eine Skaterbahn – alles, was heute auf dem Gebiet des damaligen Gutshofes errichtet wurde, habe bewusst einen sozialen Aspekt, stellt Dulon in ihrem Buch fest.

Kein Erinnern

Aber dem Haus selbst, 1997 unter Denkmalschutz gestellt, seit 2007 aufwendig wiederhergestellt und modernisiert, heute in Privatbesitz und jetzt – nach Aussage von Thomas Mueller vom Stadtteilarchiv Blankenese, wohl wieder zum Verkauf stehend – fehlt etwas: sei es die Rodung des Gestrüpps, etwas Pflege der Umgebung oder am besten eine Würdigung seines einstigen Besitzers – vielleicht in Form einer Gedenktafel. Oder ist alles gut so, wie es ist?

Zum Weiterlesen

Unter www.viermalleben.de können Sie Gisela Dulons 2003 im Eigenverlag erschienes Buch „Verschweig uns nicht – Nachdenken über Julius Asch in Blankenese“ lesen.
Weitere Forschungen zu den Elbvororten während der Nazizeit finden Sie auch unter: www.der-rissener.de/zeitreise-/der-nationalsozialismus-und-die-
elbgemeinden-12

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