11. April 2023
Magazin-Tipp

Tims Thesen: Wer will noch Tourist sein?

An dieser Stelle erscheint jeden Monat Tim Holzhäusers Glosse mit einer gewagten These. Diesen Monat geht es um den Massentourismus.

Autor Tims Thesen

Redaktionsleiter Tim Holzhäuser

Nach ein paar Tagen auf Malta (kritischer Bericht auf S. 55 dieser Ausgabe) kam ich nicht umhin, über das Phänomen Massentourismus nachzudenken, und stellte mir die Frage: Wo wird das alles enden?

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich bin nicht mehr länger in der Lage, die Ausprägungen des Massentourismus als Normalität wahrzunehmen. Nehmen wir das Beispiel Kreuzfahrtschiff. Da legt ein schwimmendes Hotel im Hafen von Lissabon oder eben Valletta an und 3.000 Menschen machen sich auf, um „Land und Leute zu erkunden“. Die lokale Tourismuswirtschaft hat sich drauf eingestellt und das Areal rund ums Kreuzfahrtterminal in eine Simulation des örtlichen Lebens verwandelt. Der Geruch chinesischer Produktionsstätten weht durch die Gassen gefolgt vom afrikanischen Sonnenbrillenverkäufer. Hier und da sichtet man tatsächlich einen genervten Einheimischen. Die Vorstellung, in diesem Szenario etwas über Land und Leute zu lernen, erscheint mir hochgradig absurd. Es scheint eher so, als hätten wir uns stillschweigend geeinigt, den Ausflug als Theater zu sehen, wie eine TV-Serie oder eben ein Bühnenstück.

 

Da ist nur noch wenig Neugier …

Das hat natürlich fatale Folgen. Schreibt man die derzeitge Entwicklung fort, sagen wir um 20 Jahre, dann werden sich eher mittelgroße Städte wie Valletta, Lissabon oder Venedig in eine Art Disneyland mit lokaler Färbung verwandelt haben. Natürlich nur, wenn die jeweiligen Bürger und Regierungen das auch zulassen. Von Natur aus Optimist fühle ich hier eher Pessimismus. Die Einnahmen durch globalen Tourismus sind derartig gewaltig, dass man sie schwer abklemmen kann. Auch Hamburg mit seinen Musicals ist dafür ein Paradebeispiel.

Ich könnte mir aber vorstellen, dass es immer mehr Menschen gibt, denen das Theater irgendwann zu stumpf wird. Man sieht das schon jetzt an dem abgeklärten Sarkasmus, den viele Touristen in überlaufenen Fußgängerzogen zeigen. Es wird vorausgesetzt, dass der Nippes am Straßenrand chinesischer Schrott ist und das Menü vor dem Restaurant ein auf Deutsche, Briten und Franzosen gemünztes Einerlei. Da ist nur noch wenig Neugier, sondern ein Seufzen, bevor man auf dem Smartphone bei TripAdvisor guckt, ob das Zeug wenigstens satt macht. Der Urlaub wird zu einer TV-Serie, deren Ablauf jeder genau kennt, bei der man ganze Dialoge auswendig weiß.

Ich könnte mir daher vorstellen, dass der klassische Urlaub in einem anderen Land an Nimbus und Attraktion verliert. Vielleicht wieder analog zum Fernsehen. Das war in den 50ern eine Sensation, ein Straßenfeger und ist heute so aufregend wie Surfen im Wellenbad.

Was kommt dann? Künstliche Realität, die im Jahr 2035 vielleicht sogar virtuelle Zeitreisen erlaubt? Mondflüge als Urlaubsvergnügen? Nemos „Nautilus“ als reale Option oder eben auch nur als Simulation? Ich würde mir eine Prog­nose hier nicht anmaßen, habe aber das deutliche Gefühl, dass die Veränderungen drastisch werden.

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