13. März 2023
Magazin-Tipp

Tims Thesen: Ein Depp kauft teuer

An dieser Stelle erscheint jeden Monat Tim Holzhäusers Glosse mit einer gewagten These. Diesen Monat geht es um hohe Preise – unberechtigterweise.

Autor Tims Thesen

Redaktionsleiter Tim Holzhäuser

Tims Thesen im März 2023: Neulich hatte ich Appetit auf eine Quiche mit Lachs. Zufällig ging ich gerade an einem komplett gentrifizierten Supermarkt vorbei. In einem schwachen Moment dachte ich dann: Muss nicht immer frisch sein, TK-Ware reicht heute, merkt keiner.

Im Supermarkt die Überraschung: 150 Gramm TK-Lachs 9,99 Euro. Kilopreis also um die 60 Euro. Dafür bekommen Sie beim Fischhändler ein Kilo frischen Wildlachs aus Schottland, handgeangelt, plus Salat.

Danach zum komplett gentrifizierten Gemüsehändler. Blasse Tomaten mit einem altdeutschen Namen, 16,00 Euro das Kilo. Geschmacklich durchaus okay, aber kein großer Unterschied zu denen für 6 Euro pro Kilo, die letztens in der Provinz auf dem Tisch standen.

Abends dann ins komplett gentrifizierte Restaurant. Hauptgericht für 35 Euro, was ich in Ordnung finde. Ist ja ein Haufen Arbeit, der mit Präzision und Know-how geleistet werden muss. Das „Hochgewächs“ auf der Weinkarte kannte ich allerdings aus der Metro, wo man es mit Gewerbeschein für unter fünf Euro die Flasche rausschleppen kann.

Nun lässt sich argumentieren, dass Lachs, Tomaten und „Hochgewächs“ die Ukraine passieren mussten – was derzeit bekanntlich schwierig ist und entsprechend bezahlt werden muss. Außerdem ist da ja die galoppierende Inflation!

Ich bin mir aber sicher, dass Lachs, Tomate und Hochgewächs nicht aus Kriegsgebieten kommen und die Inflation auch nicht der Grund für derartige Preistreiber ist. All diese Produkte gibt es ja außerhalb der gentrifizierten Gebiete für ein Drittel weniger, oft für die Hälfte. Was ist also der Grund für Preise, die nicht zu unserem Wertempfinden passen?

Unser Preisbewusstsein existiert nicht mehr

These: Deppensteuer. Unser Werteempfinden existiert nämlich nicht mehr. Wir Städter sind abgekoppelt von Nahrungserzeugung, vom Handel und damit leichte Beute. Während der Typ vom Fischgroßmarkt über 60 Kilo für TK-Lachs grinst und der Winzer über die Bezeichnung „Hochgewächs“, denken viele von uns, dass gerade der Preis in Kombination mit diesen wundervollen Vokabeln GARANT ist für Qualität und Wohlleben!

Verstehen Sie mich nicht falsch: Mir geht es nicht um billige Lebensmittel. Wenn jemand seine Hühner anständig aufwachsen lässt, mit Körnern füttert und dann viermal so viel haben will wie der Nachbar, der konventionelle Haltung betreibt, dann zahle ich das ohne Murren. Gerade die Doppelverdiener mit kleiner Kinderschar werden schon nicht bankrott gehen, wenn Essen teuer ist.

Nein, ich wehre mich dagegen, als Depp ausgeplündert zu werden. Man stelle sich vor: Marketing-Sitzung, Werber mit Vollbärten. Einer sagt: „Diese Schokolade darf eben nicht ein bisschen teuer sein, sondern richtig übertrieben! Man muss denken, verdammt, was ist denn da DRIN?! Wenn wir dann noch ‚vintage‘ draufschreiben und ‚Hochgewächs‘, dann kommt so ein Depp wie der Holzhäuser und kauft es!“

Nein, tut er nicht!

 

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