25. Oktober 2022
Magazin-Tipp

Tims Thesen: Kommt die Viertagewoche?

An dieser Stelle erscheint jeden Monat Tim Holzhäusers Glosse mit einer gewagten These. Diesen Monat geht es um Homeoffice, Autofahren und Mobilität.

Autor Tims Thesen

Redaktionsleiter Tim Holzhäuser

Tims Thesen im Oktober 2022: Meine kleine Tochter (9) setzt sich nach einer missglückten Mathearbeit für ein verlängertes Wochenende von drei Tagen ein, weil sie der Ansicht ist, fünf Tage Schule pro Woche seien „einer zu viel“.

Ich kann das nicht wirklich beurteilen und habe daher schön die Klappe gehalten. Außerdem genieße ich bereits eine Viertagewoche und das gefühlt seit dem späten 18. Jahrhundert. Damals war die Entscheidung exotisch, heute ist sie normal. Um mich herum wimmelt es geradezu von Eltern, bei denen beide um die 32 Stunden arbeiten und so einen funktionierenden und erfreulichen Alltag schaffen. Andere haben auf 28 Stunden umgestellt; wieder andere ackern mit Wonne über 40 Stunden pro Woche. Es ist reiner Zufall, wenn sich bei einer Gruppe von Berufstätigen zwei Modelle decken.

Vier oder fünf Tage?

Gleichzeitig lesen wir, dass immer mehr Stimmen die Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich fordern – analog zu 1967, als die Sechstagewoche in Deutschland endete. Die Argumente klingen nicht unplausibel. Die Arbeit nehme durch die Digitalisierung ab; die Produktivität leide Untersuchungen zufolge nicht, Leute ließen sich leichter anwerben etc. Selbst Handwerksbetriebe, bisher bekannt für Zero-Tolerance Arbeitsmodelle (7 bis 16 Uhr, fünf Tage, Maul halten), schwenken um, weil die Leute fehlen. Schnitzelzulage allein zieht nicht mehr.

Gegner der Viertagewoche haben ebenfalls plausible Argumente. Die Digitalisierung führte nicht zu weniger Arbeit, sondern lediglich zu anderen Formen. Weiterhin wird bezweifelt, dass man jene Studienergebnisse, nach denen die Produktivität gleich bleibt, auf alle Branchen übertragen kann. Der Friseur schneidet in 32 Stunden so viel Haar wie in 40? Schwer vorstellbar. Insofern, wie gesagt, plausible Argumente von beiden Seiten.

Ganz egal!

Nun der Schwenk zur These. Ich und andere beobachten, dass die Vier- oder Fünftagewoche eine andere ist, als noch ein paar Jahre zuvor. Wer sich seine Arbeit selbst organisieren kann, macht sie, wenn sie anfällt – völlig egal, ob das Stundenkonto voll oder leer ist. Es gibt Kollegen, bei denen habe ich vergessen, ob sie nun Voll- oder Teilzeit arbeiten. Denn es spielt keine Rolle. Es wird ein Produkt in definierter Qualität zu einem definierten Zeitpunkt geliefert und nicht über Stunden geschwafelt.

Meine These ist daher, dass sich weder die Viertagewoche durchsetzen wird, noch die Fünftagewoche bestehen bleibt. Langfristig werden sich diese Modelle auflösen. Dann entscheidet jede Branche selbst, jeder Betrieb, jedes Team und letztlich jeder Beschäftigte, wieviel Zeit er für wie viel Geld verkauft.

Für eloquente, gefragte Leute gliche das einem Paradies. Eher bitter könnte es werden für Arbeitnehmer, die am unteren Ende der Qualifikationskette stehen und sich um Stellen jenseits des Fachkräftemangels bewerben. Die könnten sich eine Sekunde nach Unterschreiben des Arbeitsvertrags im Jahr 1966 wiederfinden.

 

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