10. Dezember 2024
Magazin-Tipp

Tims Thesen: Mehr Bescheide, mehr Ehrlichkeit

An dieser Stelle erscheint jeden Monat Tim Holzhäusers Glosse mit einer gewagten These. Diesen Monat geht es um die Idee des selbst auferlegte Klimabescheids.

Autor Tims Thesen

Redaktionsleiter Tim Holzhäuser

Tims Thesen im Dezember 2024: Letzens habe ich erst den jährlichen Rentenbescheid bekommen, dann den Steuerbescheid. Später kamen Wohngeldabrechnung, Abwasserkram, Energieverbrauch etc. Alles nicht unbedingt erfreulich, aber immerhin, man weiß, woran man ist. All diese regelmäßigen Bescheide und Rechnungen sind eine Art Zwischenbilanz, die aufklärt: Das haben Sie angerichtet, das müssen Sie noch anrichten und das müssen Sie bezahlen, um mit der Sie umgebenden Gesellschaft wieder einigermaßen quitt zu sein.

Beim Lesen der Zahlen fiel mir ein, dass ich mir vor etwa einem Jahr selbst einen Klimabescheid gebastelt hatte. Genauer: Ich hatte meinen persönlichen CO2-Fußabdruck auf der Homepage des WWF ausrechnen lassen. Sie müssen da einen Haufen Fragen über Ihre Lebensgewohnheiten beantworten und bekommen dann höchstwahrscheinlich zu hören: drei Erden. So viel kostet der Lebensstil eines durchschnittlichen Deutschen.

Auf meiner persönlichen Rechnung standen aber nur 1,2 Erden. Breites Grinsen bei mir, große Skepsis in der Familie. Ich hatte nämlich die Fleischfresserei genauso eingeräumt, wie die Urlaubsreisen und das Leben in einer Altbauwohnung. Offenbar aber hatte das fehlende Auto einen großen Effekt und auch die moderate Anschaffung neuer Kleidung. Dazu noch ein paar andere unbedeutende Mäßigungen, die mir nicht einmal aufgefallen waren und schon: 1,2 Erden. Noch ein bisschen Nachsteuern und schon könnte ich als Nichtklimaschädling durch die Gegend laufen. Als Vater zweier Kinder kann ich Ihnen ganz unironisch versichern: Hat mich sehr gefreut und bestärkt. Das blöde Auto hat eh genervt und die Rahmengenähten halten auch noch mal zehn Jahre durch. Kann man alles so lassen.

„Der Einzelne würde nicht mehr in der Masse verschwinden.“

Was wäre nun, wenn jede und jeder diesen Klimabericht für sich persönlich erstellt, so wie die Steuererklärung? Jahr für Jahr. Es sollte kein Zwang sein, aber es könnte Anreize geben, Vorteile. Vielleicht eine Steuererleichterung, oder ein Deutschlandticket oder ein paar Gutscheine für öffentliche Einrichtungen. Meine These lautet, dass wir eine positive Wirkung sehen würden. Der Einzelne würde nicht mehr im heutigen Maß in der Masse verschwinden. Er würde seine eigene Bilanz vor Augen haben. Und alle mit ein bisschen Lebenserfahrung ahnen: Das Selbstbild wächst durch Ehrlichkeit. Nicht durch Flucht, Ignoranz oder dem Verstecken hinter unseriösem Gequatsche. Wir würden uns wahrscheinlich nicht in Vorzeigeökos verwandeln, aber hier und da würden Menschen umschwenken.

Der Grund ist einfach: Unsere Spezies mag nicht superhelle sein, aber wir mögen es, wenn wir hin und wieder bestätigt bekommen, dass wir keine Wildschweine sind, keine Putins und Trumps, sondern okay.

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