10. August 2025
Magazin-Tipp

Tims Thesen: Schaffen wir das?

An dieser Stelle erscheint jeden Monat Tim Holzhäusers Glosse mit einer gewagten These. In diesem Monat geht es um die Frage, die schon Angela Merkel stellte.

Autor Tims Thesen

Redaktionsleiter Tim Holzhäuser

Tims Thesen im August 2025:

Neulich im Halbschlaf wieder auf Instagram. Soll man ja nicht machen, weil schlecht fürs Karma. Dann kam eine Seite, die interesting facts präsentierte: Before 1913, the USA had no income tax – but still roads, rail-roads, schools and military.“ Stoßrichtung war klar: Eine Gruppe Radikaler, die in den USA die Einkommensteuer abschaffen will. Stimmt die Behauptung?

Ja. Die USA hatten erstmalig 1913 eine Einkommensteuer von bis zu sieben Prozent und eine Armee. Wer Freude an simplen Weltbildern hat, der könnte folgern: Die Einkommensteuer ist eine unnötige Plünderung der Bevölkerung. Was der Beitrag geflissentlich unterschlägt ist unter anderem dies: Der Lebensstandard in den USA im Jahr 1913 betrug ein Bruchteil des heutigen. Ein Sozialhilfeempfänger heute lebt im Vergleich zu 1913 wie ein König. Und die US-Army? Sie bestand 1913 aus etwa 98.000 Soldaten und null Panzern …

Wer sich nun freut, dass zwischen diesem Stuss und uns ein Atlantik liegt, der ist etwas voreilig. Szenenwechsel: Berlin, 18. Juli, Bundespressekonferenz mit Friedrich Merz, der seine Bewertung der Flüchtlingskrise und Migrationspolitik in Deutschland abgibt: „Wir haben es offenkundig nicht geschafft.“

Merz auf Instagram-Niveau

Die Aussage ist ungefähr auf dem Niveau des Instagram-Posts und zwar aus folgenden Gründen: Natürlich haben wir es nicht geschafft, und wir werden es auch nicht schaffen. Die Erfahrung der letzten 30.000 Jahren zeigt, dass höchstwahrscheinlich die nächste und übernächste Generation es schaffen wird. Einwanderung ist ein komplexes Phänomen, das braucht Zeit. Auch die deutschen Schimanskis kamen mal aus Polen und natürlich gab es da auch große Bedenken. Wir können davon ausgehen, dass bereits Phönizier, Babylonier und Gallier hier und da das Gefühl hatten: Schaffen wir nicht!

Denn Einwanderung ist eine Grundkonstante menschlicher Zivilisation, die stets temporäre Probleme verursacht hat. Mehr Menschen bedeuten mehr Kriminalität, mehr Sozialfälle – alles andere wäre ein Wunder. Die Erwartung, 1,8 Millionen Menschen ließen sich in zehn Jahren integrieren, ist realitätsfremd. Nehmen wir das Beispiel Solidaritätsbeitrag, der dabei helfen sollte, die Lebensumstände in Ost- und Westdeutschland anzugleichen. Wie lange gibt‘s den schon? 34 Jahre. Und hat er die Lebensumstände angeglichen. Nein. Das braucht wohl nochmal 34 Jahre. Wie lange hat es gedauert, in Berlin einen blöden Flughafen zu bauen? 14 Jahre. Wie lange dauerte Planung und Bau der Elbphilharmonie? 15 Jahre.

Nun zur These: Die Einwanderungswelle der Jahre 2015 bis 2017, während der 1,8 Millionen Menschen nach Deutschland kamen, wird unseren Enkeln nicht den Schlaf rauben. Sie wird als historisches Ereignis gelten, über das außerhalb des Geschichtsunterrichts kaum jemand spricht.

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