Sozialhilfe ist kein einfaches Thema, völlig egal, ob man sie Hartz IV nennt oder Bürgergeld. Es handelt sich um eine Alimentierung ohne Gegenleistung; und die stumme Frage dahinter lautet stets: Wer kann nicht arbeiten, wer will nicht?
Als jemand, der durchaus mal in der Nachbarschaftskneipe sitzt, kenne auch ich Menschen, die nicht wollen. Nähert sich ein Job, sind sie zu erstaunlich kompetenten und sportlichen Ausweichmanövern in der Lage. Sie agieren dabei mit dem Wissen, dass es keine Sanktionen mehr gibt.
Angesichts knapper Kassen und rund 700.000 offener Stellen in Deutschland werden nun Rufe laut, das zu ändern. Künftig könnten Bürgergeldbezieher eine unschöne Null auf ihrem Kontoauszug sehen – nämlich dann, wenn sie grundsätzlich zur Arbeit in der Lage sind, aber Angebote verweigern. Der Kneipenbesucher, der am nächsten Morgen aufsteht und arbeitet, fühlt bei solchen Debatten immer ein warmes Gefühl in der Magengegend, samtig und kraftspendend wie alter Rum. Endlich müssen auch die Gammler ran!
Wie soll man das verhindern?
Aber wird es wirklich so weit kommen? Werden Bürgergeldbezieher künftig in einem nennenswerten Ausmaß sanktioniert, also in einer volkswirtschaflich relevanten Größenordnung?
These hierzu: Nein. Die Forderung ist populistisch, da praktisch nicht umsetzbar. Würde man sie regelrecht exekutieren, dann wäre unsere Gesellschaft eine andere. Wer partout nicht arbeiten will, der wird Mittel und Wege finden, beziehungsweise sich ein Attest beschaffen. Wie soll man das verhindern?
Noch in den 90er-Jahren war Burn-out als Grund einer Krankschreibung undenkbar, ebenso Migräne oder ein bisschen „Rücken“. Das hat sich fundamental geändert. Die Psyche zählt. Folgerichtig sehen wir psychische Erkrankungen auf Platz drei bei den Hauptursachen einer Krankschreibung. Auf Platz zwei rangieren Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems, eben besagter „Rücken“. Im Vergleich zu Infekten des Atmungssystems (Platz eins) sind diese Bereiche diffus, die Aussage des Patienten kann Basis der Diagnose sein.
Rückenschmerzen hat der Simulant, Burn-out der Lügner, Migräne die Mimose.
Ein Staat nun, der vor diesem Hintergrund Bürgergeldbezieher sanktionieren will, muss Prozeduren aus der Kaiserzeit wiederbeleben. Vorstellen beim Amtsarzt um 8 Uhr morgens! Untersuchung dann wie 1914. Alles, was sich nicht messen oder röntgen lässt, zählt nicht. Rückenschmerzen hat der Simulant, Burn-out der Lügner, Migräne die Mimose.
Machen wir uns keine Illusionen: Ein solcher Umgang mit Menschen würde auch in andere Bereiche abstrahlen, würde die Gesellschaft intoleranter und rüpelhafter werden lassen. Mit entsprechenden Schäden, die dann wer bezahlen muss?
Die Allgemeinheit oder besser: die Bürger, die jetzt Sanktionen fordern.