3. August 2015
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Gib’ Gas!

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Führerschein mit 18 

Noch vor zehn Jahren war er obligatorisch. Wer 18 Jahre alt wurde, machte den Führerschein. Seitdem hat sich viel verändert. Medien berichten über Jugendliche, denen der „Lappen“ nicht mehr wichtig ist. Der KLÖNSCHNACK hat sich im Hamburger Westen bei Fahrlehrern und jungen Erwachsenen umgehört.

Das Dokument fühlte sich an wie Pemmikan, war gezeichnet von Schweiß und Abrieb und erschreckte beim arglosen Blättern mit dem Schwarzweißfoto eines todkranken oder zumindest miserabel getroffenen jungen Menschen. Trotz dieser verheerenden Optik und Haptik, sah sich das Dokument imstande, seinen Träger sofort nach Erhalt aufzuwerten. Es verhalf zu Autonomie, Prestige, Potenz und zwei Meter Rückbank um selbige zu erproben.
Laut Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände legen heute in Großstädten wie Hamburg nur noch rund 20 Prozent eines Jahrgangs die Führerscheinprüfung mit 18 ab.
Vergangenheitsform denn: 2005 absolvierten tatsächlich rund 90 Prozent eines Jahrgangs kurz vor oder kurz nach dem 18. Geburtstag die Führerscheinprüfung. Heute liegt der Anteil in Großstädten bei nur noch 20 Prozent. Nachgezählt hat die Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände, die Angabe erscheint also verlässlich.
Gründe für diese Entwicklung lassen sich spekulativ leicht finden: Der öffentliche Nahverkehr wurde in den letzten Jahren stark ausgebaut, der unsägliche Nachtbus ist nicht mehr alternativlos. Parallel dazu steigt der Stress beim Autofahren: Der Verkehr nimmt zu, das demografische Alter der Verkehrsteilnehmer ebenfalls. Hinzu kommt ein gerüttelter Anteil Geisteskranker, die um jeden Preis, selbst wenn das Totalschaden, Knochenbrüche, Schädelspalten bedeutet, beim Linksabbiegen noch Kurznachrichten tippen müssen: Komme pünktlich!!!!111elfeins
Der Verkehr auf Autobahnen und in der Stadt hat zugenommen. Auch die Anforderungen an den Fahranfänger sind hoch.
Letztlich, so die Vermutung, schreckt der hohe Preis ab. Nach wie vor ist der Führerschein ein teures Unterfangen. Laut Statistik müssen Fahranfänger in den deutschen Großstädten durchschnittlich 1.445 Euro investieren. Erhebungen zeigen, dass die Preise erheblich differieren. Die billigsten finden sich in Berlin, die teuersten hier in Hamburg. Laut dem Portal www.fahrschulvergleich. de sind selbst innerhalb einer Stadt Preisunterschiede von mehreren hundert Euro möglich. Für Hamburg hat der ADAC einen Durchschnittspreis von 1.660 Euro ermittelt. Deutscher Spitzenreiter ist München mit 2.091 Euro.
Die teuersten Komponenten sind die Fahrstunden, von denen im dichten Berliner und Hamburger Verkehr naturgemäß mehr anfallen, als in etwa in der brandenburgischen Pampa (ca. 1.300 Euro, Quelle www.fuehrerschein24.de).
Wie ist es nun in den Elbvororten? Vollzieht sich auch hier der Trend weg vom Auto.
„Nein“, sagt Lorenz Möhlmann, Inhaber der Fahrschule Blankenese. Der Fahrlehrer hält die Zahlen, bezogen auf ganz Hamburg für plausibel, betont aber die Sonderrolle der Elbvororte. „Die Kaufkraft der Eltern ist hier besonders hoch.“ Der typische Fahrschüler, der seine Fahrschule in der Dockenhudener Straße betritt, ist kurz vor der Volljährigkeit und kommt in Begleitung von Mama oder Papa.
„In anderen Stadtteilen sieht es aber komplett anders aus“, bestätigt Möhlmann. Bereits in Bahrenfeld können Kollegen den eingangs geschilderten Trend bestätigen: Fahrschüler werden älter und müssen den Führerschein häufig selbst bezahlen.
Auch Christian Brügge von der gleichnamigen Fahrschule an der Blankeneser Landstraße berichtet von einem Gros junger Fahrschüler, beobachtet aber eine gewisse Verschiebung. Fahrschüler Mitte 20 sind bei ihm keine Exoten mehr.
Den totalen Führerscheinverweigerer kennen beide Fahrlehrer nicht, der kommt eben nicht in die Fahrschule – aber auch in freier Wildbahn ist es nicht leicht, junge Menschen zu finden, die dem Thema völlig ablehnend gegenüberstehen.
Roxana etwa, 24 Jahre alt, bummelt am Strandweg entlang, wohnt in Blankenese, kommt aber ursprünglich „vom Dorf“. Derart traumatisiert hat sie den Führerschein mit 21 gemacht und hält ihn auf dem Land für unverzichtbar. In der Stadt gelte das Gegenteil. „Ein Auto wäre hier Quatsch – viel zu teuer. Ich bin Studentin und habe ein Semesterticket.“

Auch für Cara, 16 Jahre alt, zu Besuch aus Luxemburg, ist klar: „Ich mache den Führerschein so schnell wie möglich. Ich bin ohne Bus und Bahn flexibler.“ Der Führerschein sei in Luxemburg ähnlich teuer wie in Deutschland; Cara, verlässt sich jedoch ebenfalls auf ihre Eltern: „Die werden wohl zahlen.“
Ähnlich sei die Situation bei ihren Freundinnen. Führerscheintotalverweigerer kennt sie nicht. Ein Vertreter dieser seltenen Spezies ist Caspar aus Nienstedten. Der 22-Jährige würde den Führerschein von Papa bezahlt bekommen – aber er will nicht. Bus, SBahn, dazu ein schnelles Rad: Wozu dann noch ein Auto?
Gespräche mit Fahrlehrern und jungen Erwachsenen fördern ein weiteres unerwartetes Detail zutage: die Wahl des Fahrschulautos. Laut Klischee lieben alle Blankeneser SUVs. In der Fahrschule ist der Mutti-Panzer aber nicht das große Thema.
„VW Golf“, sagt Fahrlehrer Möhlmann. Die meisten Eltern, die ihre Sprösslinge anmeldeten, hätten selbst mit einem Golf fahren gelernt und bewerteten diesen daher auch als vernünftige Wahl.
Zu Besuch aus Auckland, Neuseeland. Christian, rechts, hat eine „Learners Licence“, die ihm zum Autofahren mit einer Begleitperson berechtigt. Auch Tansy will den neuseeländischen Führerschein so schnell wie möglich machen. Im Vergleich zu Deutschland ist der spottbillig.
Zu Besuch aus Auckland, Neuseeland. Christian, rechts, hat eine „Learners Licence“, die ihm zum Autofahren mit einer Begleitperson berechtigt. Auch Tansy will den neuseeländischen Führerschein so schnell wie möglich machen. Im Vergleich zu Deutschland ist der spottbillig.
Cara, 16, aus Luxemburg, möchte den Führerschein mit 18 machen. Bezahlen werden die Eltern.
Cara, 16, aus Luxemburg, möchte den Führerschein mit 18 machen. Bezahlen werden die Eltern.
Roxana, 24, aus Blankenese, hat den Führerschein mit 21 gemacht, benutzt ihn heute aber kaum noch.
Roxana, 24, aus Blankenese, hat den Führerschein mit 21 gemacht, benutzt ihn heute aber kaum noch.

Allerdings: „Auch das ist in Stadtteilen wie Bahrenfeld anders“, erzählt Möhlmann. „Da darf es auch gerne der BMW sein.“ Fahrlehrer Brügge hingegen hört auch in Blankenese den Wunsch nach stärkerer Motorisierung. 50 Prozent seiner Schüler sei das Fahrzeug jedoch herzlich egal. Überhaupt sei das Auto für die Jungen nicht mehr das Statussymbol. Da habe sich etwas getan.
Fahrlehrer hören auch in Blankenese den Wunsch nach stärkerer Motorisierung. 50 Prozent der Schüler ist das Fahrzeug jedoch egal.
Generell hat sich das gesamte Verhalten des typischen Fahrschülers verändert. An dieser Stelle drucksen die Lehrer etwas herum, bitten um wohltemperiertes Zitieren. Unterm Strich: Viele Fahrschüler in den Elbvororten sind keine Überflieger. Taxenbetrieb „Mama“, gute Busverbindungen und weitgehender Verzicht aufs Fahrrad führen nicht gerade zu exzellenter Ortskenntnis und zum intuitiven Verständnis von Verkehrsregeln. Fahrlehrer berichten von Schülern, die nach einem ungewohnten Schlenker ihre eigene Straße nicht mehr erkennen …
Wer nun die Elbvororte verlässt und junge Erwachsene etwa in Uni-Nähe befragt, hat keinerlei Schwierigkeiten mehr, Führerscheinmuffel zu finden. „Führerschein? Unnötig!“ titelte selbst Spiegel Online Ende Juli und präsentierte eine ganze Auswahl junger Menschen, die mit völlig unideologischer Abgeklärtheit auf die Nachteile des Autos hinwiesen: teuer, schmutzig, Parkplatznot etc. Hinzu kommt eine exzessive Nutzung des Fahrrads, die in keinem Vergleich steht zu Stadtteilen wie Blankenese oder Nienstedten.
Zum Schluss noch eine nützliche Information für ältere Semester, die bis hierhin gelesen, aber noch nicht von der Lektüre profitiert haben:
Wenn Sie Ihren Führerschein verlieren sollten, kostet der Ersatz von Amts wegen 67 Euro. Wird Ihnen die Pappe geklaut, werden 36 Euro fällig.
Machen Sie etwas aus dieser Information.
Autor: tim.holzhaeuser(at)kloenschnack.de

www.hamburg.de/fuehrerschein

Landerziehungsheim Schule Marienau e. V.

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