1. Juni 2018
Magazin

„Ich mag Dich, so wie Du bist“

Tod, Demenz und Einsamkeit 

Henning Scherf in der Elbschlossresidenz: „Man muss aufeinander achten und sich in den anderen reindenken.“

Henning Scherf lebt seit 30 Jahren in einer Wohngemeinschaft gemeinsam mit mehreren Generationen. Mit dem Alter hat er sich in mehreren Büchern beschäftigt.

Herr Scherf, es ist zu lesen, dass Sie jedem, auch größeren Gruppen, zur Begrüßung die Hand geben. Hat das eine tiefere Bedeutung?
Das habe ich meinem Vater abgeguckt. Der hatte die Angwohnheit, jeden per Handschlag zu begrüßen. Gesehen habe ich das auch bei Pastoren, die an der Kirchentür standen und jeden begrüßten.Sie sprechen heute hier in der Elbschlossresidenz zum Thema Demenz. Ein anderes Thema Ihrer Vortragsreisen ist der Tod. Ist das heute noch ein Tabuthema?

Im Internet gibt es immerhin rund zwei Millionen Fundstellen dazu. Dabei kommt es darauf an, in welchen Milieus man sich bewegt. In einigen Milieus überlässt man das Thema den Profis. Es gibt aber heute tatsächlich ganz, ganz viele Menschen, die sich mit dem Thema beschäftigen. Ich denke hier besonders an die Hospizbewegung. Da gibt es nach unendlich langem Schweigen einen Aufbruch.

Was ist bei dem Thema Tod elementar?

Ganz wichtig finde ich, dass der Betroffene Menschen um sich hat, mit denen er vertraut ist. Er sollte eine Struktur um sich bilden, die ihn bis zum Ende seines Lebens begleitet.

Da sind wir beim Thema Einsamkeit. Ein wachsendes Phänomen. Was raten Sie, mit Ihren 30 Jahren Wohngemeimschafts-Erfahrung?

Es gibt heute viele Menschen, die mit dem Thema unterwegs sind, die letzte Lebensphase gemeinsam zu bewältigen. Es kommt dabei darauf an, aufeinander zu achten und sich in den anderen reinzudenken. Die Kinder, auch die Enkel, sollten dabei sein. So wohnen in unserer Wohngemeinschaft mehrere Generationen.

Gibt es einen Zusammenhang von Demenz und Einsamkeit?

Da rätseln die Ärzte. Bisher weiß niemand, woher die Demenz kommt. Es gibt jede Menge Theorien und Spekulationen. Keine davon ist tragfähig. Deshalb sind die Ärzte auch bei der Therapie aufgeschmissen. Wenn sie die Ursache für diese Krankheit nicht kennen, können sie keine Therapie anbieten.

Wie ist Ihre Definition von Demenz?

Für mich als Laien ist es eine besonders dramatische Form des Alterns. Der Kopf altert schneller als der Körper. So entstehen Spannungen im Körper. Der will sich bewegen, doch der Kopf macht nicht mehr mit. Da braucht es Menschen, die helfen.

Nun gibt es auch den umgekehrten Fall. Der Kopf ist bis ins hohe Alter fit. Der Körper macht schlapp.

Diese Menschen müssen ein hohes Maß an Frustrationstoleranz ertragen. Sie merken ganz genau, was sie nicht mehr können. Auch sie brauchen Menschen, die ihnen helfen. Die sagen: Ich mag Dich, so wie Du bist. Die mäkeln nicht rum, nehmen den Menschen, so wie er ist.

Was ist die Botschaft, die Sie heute Abend Ihren Zuhöreren mitgeben?

Das hängt auch von meiner Co-Referentin ab. Sie ist eine noch größere Expertin als ich. Sie bearbeitet das Thema als Wissenschaftlerin. Ich bin Jurist.

Haben nicht schon früher mehrere Generationen unter einem Dach zusammengelebt?

Das gemeinsame Leben der Familien damals war nicht Friede-Freude-Eierkuchen. Das war manchmal die Hölle. Spätestens, wenn es um das Erbe ging. Man muss also historisch genau hinsehen.

Was kann der Einzelne tun, um hilfsbedürftigen, alten Menschen gerecht zu werden?

Da sein, da bleiben. Aufmerksam sein, wo Handreichungen gefragt sind. Es ist also eine Herausforderung an die ganze Gesellschaft. Denn wir haben immer mehr Demenzerkrankte zwischen uns. Die müssen in unserer Gesellschaft leben. Wir dürfen vor dieser Herausforderung nicht weglaufen. Die verbliebene Bereitschaft der Demenzerkrankten müssen wir nutzen.

Ein letzter Satz zum Thema Demenz!
Das Herz wird nicht dement.

Herr Scherf, der KLÖNSCHNACK dankt für das Gespräch.

Das Gespräch führten:
helmut.schwalbach(at)kloenschnack.de und louisa.heyder(at)kloenschnack.de

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