Herr Lau, sind Sie der Ansicht, dass die Straßenverkehrsordnung (StVO) Autofahrer bevorzugt?
Die Novellierung der StVO im Jahr 2024 geht in die richtige Richtung, was die Gleichberechtigung aller Verkehrsarten angeht. Aber insgesamt muss sie weiterhin angepasst werden. Historisch wurde die StVO für den Autoverkehr geschrieben. Die Bedürfnisse von Rad- und Fußverkehr spielten keine wirkliche Rolle.
Das merkt man bis heute an vielen Stellen, auch an der Wortwahl. Ein Beispiel: Wenn heute vom „Verkehrsfluss“ gesprochen wird, ist fast immer nur der Autoverkehr gemeint.
Die Diskussion um Tempo 30 innerorts ist ein anderes Beispiel?
Ja, denn nicht nur in Hamburg denkt man darüber nach, in Städten die Regelgeschwindigkeit innerorts auf 30 km/h zu senken. Das würde für Fahrradfahrer und Fußgänger viel Sicherheit bringen. Aber Autofahrer sehen die Tempobegrenzung meist als Nachteil – obwohl Studien zeigen, dass Tempo 30 den Kfz-Verkehrsfluss sogar verbessern und Staus reduzieren kann. Die durchschnittliche Geschwindigkeit in Hamburg liegt ohnehin bereits unter 30 km/h. Den Kraftfahrzeugen wird hier also der Vorrang gegeben und das nicht einmal zu ihrem eigenen Vorteil.
Welche Maßnahmen ergreift die Stadt, um einen sicheren und gleichberechtigten Verkehr für alle zu ermöglichen?
Da sind wir gerade etwas ratlos und frustriert. Der neue Hamburger Koalitionsvertrag legt viele Projekte der Mobilitätswende auf Eis, auch laufende Planungen wie an der Rellinger Straße. Es wird gewartet, bis der „Masterplan Parken“ vorliegt – aber hier ist, soweit wir wissen, noch kein Wort geschrieben.
Wo sehen Sie die größte Herausforderung für Hamburgs Radinfrastruktur?
Die größte Herausforderung ist es, hamburgweit sichere und durchgängige Radwege zu schaffen – und überhaupt sichere Verkehrsbedingungen herzustellen.
Radfahrer gegen Autofahrer
Immer wieder heißt es, Radwege würden auf Kosten von Parkplätzen entstehen. Ist an diesem Vorwurf etwas dran?
Natürlich fallen bei Umbauten auch mal Parkplätze weg – genauso wie manchmal Bäume oder Radwege. Der Raum in der Stadt ist halt begrenzt. Aber die Frage ist: In welcher Stadt wollen wir leben? Wie können alle Menschen sicher mobil sein?
Der scheinbare oder vorgeworfene Parkplatzmangel schürt Frustration und das wohl zulasten der Fahrradfahrenden.
Mehr als ein Drittel der Straßenfläche in typischen Wohnstraßen ist bereits von parkenden Autos belegt. Das größte Interesse sollte sein, Leben zu schützen – also für weniger Tote und Verletzte zu sorgen. Und ja, dafür müssen auch manche Parkplätze weg. Andererseits kann man nicht überall Radwege bauen, dafür braucht es dann andere Lösungen für ein gutes Miteinander im Straßenverkehr, etwa Anpassung der Geschwindigkeiten und eine allgemeine Verkehrsberuhigung, sprich weniger Autoverkehr.
Sind wir bereit für den Lastenrad-Trend?
Sind Hamburgs Radwege für die inzwischen rund 40.000 Lastenräder ausgelegt?
Nein, in keiner Weise. Die derzeitige Verkehrsplanung berücksichtigt den Boom bei Lastenrädern nicht. Durch Förderprogramme der BUKEA gab es einen zusätzlichen Schub bei diesen Rädern in den vergangenen Jahren. Auch auf neuen Radwegen wie dem „Kopenhagener“ auf der Elbchaussee ist schon das Überholen mit normalen Rädern untereinander schwierig – Lastenräder sind dort überhaupt nicht mitgedacht. Mehr und auch schnellerer Radverkehr braucht aber mehr Platz.
Den Hamburg jedoch nicht hat …
Vorausschauendes Planen, das die steigenden Zahlen von Radfahrenden im Blick hat, sucht man in dieser Hinsicht in Hamburg meist vergebens – die langen Planungs- und Genehmigungsverfahren sind auch nicht förderlich. Die Louise-Schröder-Straße ist hier eine lobenswerte Ausnahme – aber auch dort gibt es Schwächen, etwa bei der Anbindung an die Unzerstraße.
Zu wenig Platz an allen Ecken und Enden
Mancherorts teilen sich Rad- und Fußverkehr einen Weg. Angesichts der Größe und Geschwindigkeit eines E-Bikes, scheint das sehr gefährlich zu sein.
Auch ein „Bio-Bike“ ohne Motor lässt sich schnell fahren und birgt insofern bei höheren, nicht der Situation angepasster Geschwindigkeit auch höhere Risiken, auf beiden Seiten. Ich frage mich oft, warum einige Fahrradfahrer in der Stadt auch auf unübersichtlichen Strecken unbedingt schnell überholen müssen, etwa auf der Straße An der Alster mit ihrem bekanntermaßen katastrophalem Radweg. Da wünsche ich mir mitunter mehr Gelassenheit bei Radfahrer:innen, die Strecke eignet sich derzeit leider nicht zum Rennradfahren.
Was kann man hier tun?
Wichtig ist vor allem: Rad- und Fußverkehr müssen voneinander getrennt werden. Es ist ein Armutszeugnis für die Mobilitätswende in Hamburg, dass Rad- und Fußverkehr oft auf engem Raum wie An der Alster zusammengedrängt werden.
Wir brauchen eine Infrastruktur, die individuelle Fehler berücksichtigt und verzeiht. Das geht nur über eine neue, gerechte Vertellung des Straßenraums zugunsten von Rad- und Fußverkehr.
Wie viel bringen Sharrows wirklich?
Auf der Elbchaussee wurden gestrichelte Linien durch Sharrows ersetzt, da die Strichellinie regelmäßig überfahren wurden. Nun werden auch die neuen Markierungen überfahren – was durch die StVO gedeckt ist. Dient das der Sicherheit der Radfahrer oder eher der rechtlichen Absicherung?
Die Sharrows sind in meinen Augen eine Verschlechterung. Ich werde dort jetzt enger überholt als noch eine gestrichelte Linie („Schutzstreifen“) vorhanden war. Der gesetzlich vorgeschriebene Sicherheitsabstand beim Überholen von Radfahrerinnen und -Fahrer von mindestens 1,50 Metern gilt aber unabhängig von jeder Markierung oder Verkehrsanlage, egal welcher Art. In der Praxis halten Autofahrer diesen Abstand oft nicht ein.
Die auf dem Asphalt aufgemalten Sharrows sind nur ein symbolischer Hinweis – „Achtung, hier fahren auch Radfahrende“. Die Begründung der Polizei für diese Maßnahme, dort sei es zu eng für eine Radverkehrsanlage, ist aus unserer Sicht vorgeschoben, tatsächlich geht es ihr auch hier wieder nicht um Verkehrssicherheit für Radfahrende, sondern um den Kfz-Verkehrsfluss. Mit derselben Logik müsste sie fast alle Schutzstreifen in Hamburg abschaffen.
Wie sieht die Alternative aus?
Wirksamer wäre eine Reduzierung und Beruhigung des Autoverkehrs, vor allem des Schwerlastverkehrs, auf der Elbchaussee. Es braucht eine Entlastung – durch echte Alternativen.
Der bisherige Umbau hat keine wirkliche Verbesserung für Radfahrende oder Fußgängerinnen und Fußgänger oder der Verkehrssicherheit gebracht. Der Kopenhagener Radweg etwa, ist an vielen Stellen viel zu schmal und auch gefährlich, etwa wegen Laub oder durch abrupt endende Abschnitte, an denen man plötzlich in den Autoverkehr oder auf Busspuren geleitet wird.
Die Sanierung der Elbchaussee war keine Maßnahme der Radverkehrsförderung – hier wurde lediglich im Rahmen einer ohnehin anstehenden Grundinstandsetzung und Sanierung der Versorgungsleitung auch etwas für den Radverkehr getan.
Warum ist Radverkehrs auf der Elbchaussee noch erlaubt?
Viele empfinden die Elbchaussee als zu gefährlich für Radfahrer. Warum ist der Radverkehr hier trotz der Enge weiterhin erlaubt? Wäre eine Sperrung zugunsten von Alternativen wie der Veloroute 1 oder dem Elberadweg denkbar?
Ich bin früher selbst auf der Elbchaussee gependelt. Für mich war das der direkte Weg – ich hatte keine Zeit und Lust, jeden Tag durch Nienstedten zu „gurken“. Dort gibt es viele Querungen, Grundstücksausfahrten, Kfz-Parkplätze und Abbiegesituationen, was ich persönlich anstrengender finde als das Fahren auf der Elbchaussee.
Und ganz grundsätzlich: Warum sollen so schöne Straßen nur für den Autoverkehr optimiert werden?
Ich persönlich finde die Veloroute 1 unfallträchtiger als die Elbchaussee. Aber das ist natürlich subjektiv. Ich verstehe, wenn andere das nicht so empfinden. Doch: Die Elbchaussee ist einfach die schnellere Verbindung.
Die gefährlichsten Stellen für Radfahrende
Wo sehen Sie die gefährlichsten oder kuriosesten Stellen für Radfahrer in den Elbvororten?
Die Situation an der Bundesstraße (B431) ist katastrophal – gerade für Radfahrer aus Osdorf. Hier wird und wird nicht saniert. Die Reventlowstraße finde ich hingegen gut gelungen. Es ist zu begrüßen, dass Frau von Berg hier Rückgrat bewiesen und sich gegen populistische Forderungen durchgesetzt hat.
Dooring und die Helmpflicht
Allgemein scheinen Unfälle durch sogenannte Dooring, also unachtsam geöffnete Autotüren, zuzunehmen. Der ADFC hat den sogenannten Holländischen Griff empfohlen. Können Sie hierzu etwas sagen?
Wenn Autofahrende den „Holländischen Griff“ anwenden, also die Autotür mit der Tür abgewandten, innenliegenden Hand öffnen, und dabei den Schulterblick nach hinten machen, sehen sie von hinten herannahende Radfahrende. Es gibt keinen „toten Winkel“. Wer zum Schulterblick nicht fähig ist, sollte kein Kfz führen.
Um aber auch Dooring-Unfällen nachhaltig vorzubeugen, sind sichere Wege, die dem Radverkehr mehr Platz und ausreichend Abstand zum ruhenden und fließenden Autoverkehr geben, am effektivsten.
Auch eine Helmpflicht wird nun wieder diskutiert. Warum ist die eigentlich nicht schon längst da?
Mit einer allgemeinen Helmpflicht lösen wir die Probleme und Unfallursachen im Hamburger Straßenverkehr nicht. Wir brauchen eine wirksame Beruhigung des Kfz-Verkehrs in Hamburg durch Tempolimits, Abbau von Kfz-Parkständen und eine Umverteilung des Straßenraums im Sinne einer konsequenten Verkehrswende.
Wie könnte das aussehen?
Breite, geschützte Radwege an allen mehrstreifigen Hauptverkehrsstraßen, Sicherheitsabstände zu geparkten Pkw, Verpflichtung von Autofahrenden zum „Holländischen Griff“ sowie elektronische Warn-Assistenzsysteme in den Fahrzeugen sind weitere Maßnahmen und Mittel wirksamer Unfallprävention.
Ablehnung zur Helmpflicht
Wie steht der ADFC konkret zur Helmpflicht?
Wir setzen auf das freiwillige Helmtragen. Es kann unter Umständen helfen, den Kopf bei einem Sturz vor Verletzungen zu schützen. Dazu gibt es einen Konsens unter den relevanten Expertinnen und Experten. Auch Bundesverkehrsminister Schnieder hat sich im Juni klar für das freiwillige Helmtragen ausgesprochen. Wir sprechen über das, was politisch getan werden muss: Die Verbesserung der Radwege und die Mäßigung des Verkehrstempos. Wer sich mit Helm auf dem Rad sicherer fühlt, sollte unsere Hinweise beachten: https://www.adfc.de/artikel/wissenswertes-zu-fahrradhelmen
Heißt das, der ADFC ist gegen eine Helmpflicht?
Wenn es eine Helmpflicht gäbe, wäre die Hemmschwelle zum Radfahren größer. Viele würden natürlich trotzdem mit Helm fahren. Aber es gibt eine nennenswerte Zahl von Menschen, die das dann nicht oder seltener tun würden. Die wären dann zum Beispiel mit dem Auto unterwegs. Daraus ergibt sich wiederum eine Zunahme der Gefahrenquellen für die übrigen Radfahrenden, eine erhöhte Wahrscheinlichkeit schwerer Unfälle und so weiter. In der Gesamtbetrachtung wäre dann eine Helmplicht kein Gewinn für die Verkehrssicherheit.
Was war Ihre persönlich gefährlichste oder skurrilste Erfahrung als Radfahrer?
Zunächst: Autofahrer, die mitten auf der Straße abrupt anhalten, um mir etwas zu sagen – das ist leider immer noch Alltag. Noch gefährlicher ist es, wenn Autofahrer beim Überholen mit hohem Tempo in den Gegenverkehr ziehen, meine Vorfahrt ignorieren und mich von der Fahrbahn drängen. Ausstellflächen vor Ampeln helfen hier sehr, insbesondere zur Vermeidung von Unfällen mit abbiegenden LKWs.
Herr Lau, wir danken Ihnen für da Gespräch.
Zur Person

Dirk Lau ist Pressesprecher des ADFC Hamburg. Er kritisiert unter andere die Radwegebenutzungspflichten als „illegal“, wenn sie auf schlechte oder schmale Wege zwingen.
Außerdem setzt er sich für den Ausbau von sicheren Radwegen in Hamburg ein: Er fordert etwa geschützte Radstreifen („Protected Bike Lanes“) und einen verstärkten Ausbau mobiler Infrastruktur für Radfahrende.