Aufatmen in Hotels, Restaurants, Bühnen und auch bei der Hamburg Tourismus GmbH. Geschäftsführer Michael Otremba ist optimistisch gestimmt. Der Einbruch bei den Übernachtungszahlen während der Corona-Pandemie fiel naturgemäß heftig aus, aber nun sind die Zeichen der Erholung überdeutlich. Im August wurde bekannt: Die Corona-Schwäche ist mehr als kompensiert. Bereits im ersten Halbjahr 2023 zählte die Stadt 7,6 Millionen Übernachtungen: ein Rekord. „Hamburg hat sich zu einem absoluten Sehnsuchtsort entwickelt“, sagte Otremba dem NDR nach Bekanntgabe der Zahlen.
Musicals, Elbphilharmonie, Reeperbahn, Hafengeburtstag und andere Highlights lockten Gäste aus aller Welt an die Elbe. An der Spitze standen Besucher aus der Schweiz (153.400 Übernachtungen), danach kamen Dänemark (143.600), Österreich (134.800), Großbritannien (132.100) und die USA (108.100). Kleiner Wermutstropfen: Das Miniaturwunderland ist nicht mehr auf Platz eins der beliebtesten Touristenattraktionen in Deutschland. Der Europa-Park in Rust lag nach Angabe der Deutschen Zentrale für Tourismus bei den Bewertungen vorne. Die absoluten Zahlen sind aber nach wie vor gewaltig. Die weltweit größte Modelleisenbahn zählt nach wie vor bis zu 4.000 Besucher pro Tag.
14,5 Millionen Besucherinnen und Besucher im Vorzeigehaus
Auch die Elbphilharmonie ist nach der Pandemie wieder eine Massenattraktion: Seit Eröffnung besuchten 14,5 Millionen Menschen hier Konzerte.
In diesen Zahlen ist sicherlich ein gewisser Nachholeffekt nach der Pandemie enthalten. Er hat sich an der Elbe aber stärker ausgewirkt, als in anderen deutschen Städten wie zum Beispiel Berlin. Im ersten Halbjahr 2023 zählte die Tourismusgesellschaft Visit Berlin 5,7 Millionen Besucher. Hochrechnungen zufolge ist die Stadt damit noch nicht auf Vor-Corona-Niveau angekommen.
Hamburger können diese Zahlen mit Sportsgeist goutieren, aber tatsächlich sind die Tourismusdaten wirtschaftlich existenziell wichtig für die Stadt. Der durchschnittliche Tourist gibt in Hamburg etwa 95 Euro pro Tag aus – Spitzenwert in Deutschland. Der „touristische Gesamtkonsum“ betrug 2019, dem letzten normalen Jahr vor der Pandemie, 9,6 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die HHLA wies im selben Jahr einen Umsatz von 1,383 Milliarden aus.
Konkurrenz zwischen Hafenwirtschaft und Tourismus
Tatsächlich wird eine direkte Konkurrenz zwischen Hafenwirtschaft und Tourismus in diesen Tagen deutlicher denn je. Neben dem soliden Aufwärtstrend im Fremdenverkehr steht die Stagnation der maritimen Wirtschaft aus konjunkturellen Gründen, vor allem aber aus schwer lösbaren Problemen bei Lage und Infrastruktur. Der Städteforscher Thomas Sevcik beging daher im August ein kleines Sakrileg. Dem „Hamburger Abendblatt“ erklärte er: „Der Hamburger Hafen ist wirtschaftlich wichtig für Hamburg, er ist aber nicht ökonomisch existenziell.“ Der Schweizer empfiehlt nicht weniger als den Rückbau, die mittelfristige Stilllegung von Hafenbetrieben und die Umwidmung der entstehenden Freiflächen mit Wohnungen und Zukunftsindustrien.
Hamburgs Vorteil gegen Italien
Stichwort Zukunft: Es mehren sich Stimmen, die das ortstypische Mistwetter langfristig als Vorteil sehen. Den Auftakt machte Gesundheitsminister Karl Lauterbach via Twitter aus Italien: „Die Hitzewelle ist spektakulär hier. Wenn es so weiter geht, werden diese Urlaubsziele langfristig keine Zukunft haben. Der Klimawandel zerstört den Süden Europas. Eine Ära geht zu Ende.“
Tatsächlich litt gerade Italien in den letzten drei Monaten unter mehreren Hitzewellen mit Temperaturen nahe der 40 Grad. Sardinien erreichte Spitzenwerte von 48 Grad. Aber nicht nur Hitze, sondern auch Waldbrände und Wassermangel dominierten die Berichterstattung über die europäischen Tourismus-Hochburgen Italien, Spanien und Griechenland.
Und tatsächlich hörte man in Hamburgs Tourismus-Hotspots während der Sommermonate auch überall die Sprachen des Europäischen Südens. Es ist mehr als naheliegend, dass es mit dem Fortschreiten des Klimawandels langfristig eine Art Fluchttourismus ins Kühle geben könnte. Dies zeigen auch die Urlauberzahlen anderer nordeuropäischer Länder, wie zum Beispiel Dänemark. Bereits 2022 war dort ein Rekordjahr mit knapp 63 Millionen Übernachtungen.
15 Millionen Übernachtungen in Sicht
Wenn man sich nun die Zahlen der vergangenen Jahrzehnte ansieht, dann wird das gewaltige Wachstum der Tourismusbranche an der Elbe deutlich: Im Jahr 2000 zählte man 4,8 Millionen Übernachtungen, heute sind 15 Millionen in Sicht. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass auch an der Elbe immer wieder das Schlagwort „Overtourism“ fällt. Der Begriff benennt Tourismus in einer Größenordnung, die von Einheimischen als Belastung empfunden wird und im Extremfall Städte regelrecht zerstört.
Tourismusgegner haben trotz „Overtourism“ schweren Stand
Das Paradebeispiel ist Barcelona. Die Stadt hat 1,6 Millionen Einwohner und pro Jahr circa 24 Millionen Touristen. Amsterdam zählte 2019 bei rund 800.000 Einwohnern etwa 16,4 Millionen Übernachtungen. In beiden Städten wird Tourismus von weiten Teilen der Bewohner als enormes Problem betrachtet, da die negativen Folgen nicht mehr zu übersehen sind: Umweltschäden, steigende Preise, knapper Wohnraum, überlastete Infrastruktur. Immer wieder wird auch gefragt, ob wirklich die Stadt als Ganzes von Tourismus profitiert, oder nicht nur einzelne Schichten.
Hamburg bewegt sich mit 14,9 Millionen Übernachtungen 2023 (Hochrechnung) definitiv auf eine problematische Größenordnung zu. Die Umsätze sind, wie gezeigt, aber so gewaltig, dass Tourismusgegner einen schweren Stand haben. Naturgemäß ist der Organisationsgrad und die Beschwerdemacht von Firmen und Organisationen höher als die einzelner Nachbarschaften.
Aussichten für den Tourismus in Hamburg
Dennoch könnte sich das Wachstum in kommenden Jahren leicht abschwächen. Die Gründe sind ein Dreierlei aus gestiegenen Preisen, sich abschwächender Konjunktur und Personalmangel. Wie an dieser Stelle bereits geschildert, sucht nahezu jeder gastronomische Betrieb in Hamburg Personal. Nicht nur gering qualifizierte Positionen sind unbesetzt, es fehlen auch Fachleute. Insgesamt aber sind die Aussichten für den Tourismus in Hamburg gut, da sind sich Branchenvertreter einig.
Zur Sache
Streit um die Kultur- und Tourismustaxe
Nicht nur die Privatwirtschaft profitiert von Gästen, sondern auch die Stadt, typischerweise über Steuern. In Hamburg gibt es seit 2012 eine Kultur- und Tourismustaxe (KTT), deren Erlöse nach Angaben der Stadt zu fast 100 Prozent in touristische, kulturelle und sportliche Projekte investiert werden. Pro Übernachtung muss etwa ein Hotel zwischen 50 Cent und fünf Euro bezahlen (je nach Zimmerpreis).
Im Jahr 2025 soll nun eine „moderate“ Erhöhung kommen. Begründet wird dies vor allem mit der allgemeinen Teuerung. Kritiker halten entgegen, angesichts der Konjunktureintrübung sei dies ein falsches Signal. Eine Entscheidung stand zum Redaktionsschluss noch aus.