27. November 2022
Interviews

Interview – Senator Jens Kerstan zur Energiekrise

In Jens Kerstans Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrar ist Dringlichkeit ein Dauerzustand. Zwischen Krieg und Krisen werden klimapolitische Rückschritte in Kauf genommen und trotzdem geht es voran.

Jens Kerstan kämpfte bereits vor der Energiekrise für die Erneuerbaren. Das brachte ihm viel Kritik ein. Doch nun dreht sich der Wind. // Foto: O. Hoffmann

Jens Kerstan kämpfte bereits vor der Energiekrise für die Erneuerbaren. Das brachte ihm viel Kritik ein. Doch nun dreht sich der Wind. // Foto: O. Hoffmann

Herr Kerstan, Sie sagten der Hamburger Morgenpost kürzlich, dass die Energiekrise zu überraschenden Entwicklungen geführt hat. Welche Entwicklungen sind das und warum kamen die so überraschend? 

Es ist wichtig, dass wir die Lasten, die wir bewältigen müssen, als das sehen, was sie sind: Durch den Krieg in der Ukraine verursacht und nicht durch eine Politik, die falsche Weichen stellt.  Diese Krise ist so gravierend, hat uns in eine solche Notsituation gebracht, dass wir auch zu ungewöhnlichen Maßnahmen greifen  müssen, selbst wenn sie im Kontrast zu unseren langfristigen Zielen stehen. Es geht darum, dass bei uns die Lichter nicht ausgehen und die Wohnungen nicht kalt werden. Darum müssen wir klimapolitisch an manchen Stellen durchaus Rückschritte oder umstrittene Maßnahmen ergreifen, um die Versorgungssicherheit aufrecht zu erhalten. Das führt auch zu der absurden Situation, dass hier ein grüner Umweltsenator für ein LNG-Terminal in Hamburg wirbt, während der zuständige Wirtschaftssenator sich dagegen ausspricht. 

Anfang November hat der Klimabeirat der Stadt Hamburg, ein wissenschaftliches Gremium, Kritik an den bisherigen Bemühungen Hamburgs geäußert. Sie haben da ein paar Versäumnisse eingeräumt. Was ist schiefgelaufen und warum?

Wir haben in Hamburg einen sehr ehrgeizigen Klimaplan beschlossen und zwar am Ende eines Doppelhaushaltes, wo für die vorgesehenen umfassenden Maßnahmen noch gar keine Haushaltsmittel bereitstanden. Wir hatten insbesondere vereinbart, dass nicht länger nur die Umweltbehörde für Klimaschutz zuständig sei, sondern alle Behörden ihre Verantwortung übernehmen müssen. Es war ein holpriger Start, könnte man sagen. Alle mussten ihre neue Rolle annehmen und erlernen. Da sind wir jetzt ein ganzes Stück weiter.

Nachdem das erledigt war, wie ging es da weiter?

Wir sind  zum Beispiel mit der energetischen Sanierung städtischer Gebäude, hohen Energiestandards bei öffentlichen Neubauten, begrünten Dächern sowie Solaranlagen nur langsam vorangekommen. Jetzt sind wir so weit, dass unsere Tochtergesellschaft ‚Hamburg Energie Solar‘ auf den Dächern der öffentlichen Gebäude für Solaranlagen sorgen wird und zwar ohne jedes einzelne Projekt bundesweit ausschreiben zu müssen. Und natürlich hat es – in der Pandemie – Zeit gebraucht, den Klimaplan verlässlich zu finanzieren. In den vergangenen Jahren musste ich das Geld dort „zusammenkratzen“ wo es möglich war. Es gab wenig Planungssicherheit. Diese wird erst mit dem nächsten Doppelhaushalt geschaffen.

Wie will Hamburg das aufholen?

Praktisch zeitgleich mit der Kritik des Klimabeirates wurden vom Senat die Klimaziele verschärft. Was will Hamburg nun unternehmen, um Versäumtes aufzuholen und gelichzeitig schneller zum Ziel zu kommen?

Wir mussten Hamburg in den vergangenen Jahren erstmal in die Lage versetzen, wirksam Klimaschutz betreiben zu können. Wir haben Anfang des Jahrtausends den Fehler gemacht, unsere Energieunternehmen zu privatisieren. Erst vor etwa zwei Jahren hatten wir diese zentralen Unternehmen in ihrer Gesamtheit, die Hamburger Energiewerke, Stromnetz Hamburg und Gasnetz Hamburg, wieder in eigener Regie und konnten dadurch eigenständig Politik machen, ohne jedes Mal mit privatwirtschaftlichen Unternehmen in langwierige Verhandlungen einzusteigen oder große Gesetzesvorhaben zu starten.  Nun haben wir das Fundament gelegt und können mit voller Kraft durchstarten. Im Haushalt sind wir, wie bereits erwähnt, mittlerweile gut aufgestellt. Mein Personal wurde gerade aufgestockt, sodass wir in Zukunft Genehmigungsverfahren schneller vorantreiben können. Daher werden wir jetzt nicht nur das bisher Geplante schneller umsetzen können, sondern auch die notwendigen Verschärfungen der Ziele.

Ihnen steht erstmals der minimale Haushalt zur Verfügung, mit dem Sie „klarkommen“ können. Welche Maßnahmen können Sie sich noch nicht leisten? 

Bisher standen im Haushalt nur neun Millionen Euro für zentrale Förderprogramme im Klimaschutz zur Verfügung, obwohl wir jährlich 50 bis 100 Millionen Euro brauchten. Das heißt, ich musste in jedem Jahr viele Millionen Euro zusammenbringen, die im Haushalt nicht eingeplant waren. Das wird jetzt geändert. Aber es bleibt an der unteren Spanne dessen, was benötigt wird, um unsere Ziele realistischer Weise zu erreichen. In der Tat fehlt uns auch der Personalkörper, um andere Behörden stärker zu unterstützen und zu beraten. Mit unseren Projekten und unseren öffentlichen Unternehmen sind wir sehr gut unterwegs. Aber in der Unterstützung der Hamburgerinnen und Hamburger in der Energiekriese hätte ich mir eine deutliche Aufstockung unserer Beratungs- und Hilfsangebote gewünscht. Das ist mir bislang noch nicht zugestanden worden.

Von AKWs und Windrädern

Jens Kerstan (Grüne), war bereits Umweltsenator in Olaf Scholz' letztem Senat. Seine Meinung ist auch in der Bundesregierung gefragt. : F. Besser
Jens Kerstan (Grüne), war bereits Umweltsenator in Olaf Scholz‘ letztem Senat. Seine Meinung ist auch in der Bundesregierung gefragt.// Foto: F. Besser

Das Thema Gebäudesanierung ist für die Wärmewende zentral. Ihre Behörde befindet sich im selben Gebäude, wie die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen. Können Sie sich quasi über den Flur zuwerfen, was man als Nächstes tun wird und Synergien schaffen?

Wir nennen das den Geist von Wilhelmsburg. Wir haben damals die Behörden räumlich nicht getrennt, das heißt, die Kolleginnen und Kollegen sitzen immer noch durcheinander auf den Fluren und Stockwerken. Daher gibt es da einen engen Zusammenhang und wir können auch mal auf dem kurzen Dienstweg etwas klären. Aber in der Tat haben wir jetzt mit der Studie zur energetischen Gebäudesanierung eine gute Grundlage gelegt und ein gemeinsames Verständnis geschaffen, was wir machen und wie wir es machen. Das hat leider ein bisschen länger gedauert als gewünscht. Aber auch hier können wir im nächsten Jahr schneller voranschreiten. Dass wir unter einem Dach sitzen, stärkt die Schlagkraft in dem Moment, wo die Führung sich geeint hat. Und das haben wir jetzt mehr oder weniger erreicht. 

Kommen wir zum Energiethema. Die Bundesregierung hat im November die Laufzeitverlängerung für die drei verbliebenen AKWs beschlossen. Sie sprachen von einem annehmbaren Kompromiss, sagten aber auch, dass diese drei Kraftwerke keinen nennenswerten Beitrag leisten. Worin besteht dann der Kompromiss?

Es gibt Szenarien der Übertragungsnetzbetreiber, dass bei einer Verkettung sehr, sehr unwahrscheinlicher Rahmenbedingungen in bestimmten Bereichen des Stromnetzes für wenige Stunden eine Unterdeckung auftreten könnte. Wenn man dann nicht reagieren würde, könnte es in begrenzten Zeiten zu geplanten und vorher angekündigten Abschaltungen in bestimmten Regionen kommen. Es kann durchaus sein, dass man in Extremsituationen 8,6 Gigawatt in einem anderen Szenario 5,4 Gigawatt bräuchte. Die Atomkraftwerke lösen dieses Problem nicht, auch wenn in der öffentlichen Debatte und gerade von der Opposition so getan wurde, als müsse man nur diese Kraftwerke weiterlaufen lassen und das Problem sei gelöst. Das ist keinesfalls so.

Die drei AKWs liefern etwa 0,5 Terrawattstunden, das klingt erst mal wenig, ist aber viel Energie und es leistet einen Beitrag in einer Situation, in der wir nicht wissen, ob wir genügend Energie aus dem Ausland bekommen könnten. Denn die Atomkraftwerke in Frankreich laufen nicht und im Winter haben wir normalerweise aus Norwegen durch Wasserkraft produzierten Strom bekommen. Dort sind allerdings durch die große Dürrewelle in diesem Sommer die Wasserspeicher nur zu 40 % gefüllt. Das heißt, wir werden von dort keinen Strom bekommen. Und das gleiche gilt für die Wasserkraft aus den Alpenregionen. Insofern ist es vertretbar und dann eben auch nötig, eine vorhandene Quelle zu nutzen.

Es hat allerdings den Anschein, dass hinter dieser Laufzeitverlängerung mehr steckt.

Was im Raum stand war, dauerhaft wieder in die Atomkraft einzusteigen. Das wollten auch unsere Koalitionspartner im Bund, die FDP und Teile der Opposition wie auch der Wirtschaft. Das ist jetzt eindeutig im Sinne der Grünen und der Energiewende entschieden worden. Es werden keine neuen Brennelemente gekauft, sondern die alten werden bis April genutzt. Dann erfolgt die endgültige Abschaltung. Insofern ist das insgesamt ein vertretbarer Kompromiss. Aber ohne den Atomausstieg hätten wir die Solarenergie und die Windenergie nicht weltmarktfähig entwickelt. Diese Arten der Stromerzeugung liefern jetzt einen entscheidenden Beitrag dafür, dass wir überhaupt aus fossilen Energien aussteigen können.

Seit einiger Zeit habe Sie mit der Hamburg Port Authority (HPA) über Windenergieanlagen in deren Liegenschaften gesprochen.  Wie sieht es da aktuell aus?

Es sieht besser aus als vor wenigen Monaten. Hamburg ist das einzige Bundesland, in dem sogar in Industriegebieten Windanlagen aufgestellt wurden, unter anderem im Hafen. Aber für viele Standorte bekamen wir die Auskunft der HPA, dass sie für Windenergie nicht zur Verfügung stehen. Aktuell sprechen wir darüber, dass die HPA zusammen mit den Hamburger Energiewerken eine Firma gründet, die dann den Eigenstrom für die Hafenwirtschaft, für die HPA und die Hafenunternehmen per Windkraft im Hafen bewerkstelligen soll. Und dadurch sind eine ganze Reihe von Standorten wieder ernsthaft im Gespräch, von denen vor Kurzem noch gesagt wurde, es sei völlig ausgeschlossen, sie für Windkraft zu nutzen, weil sie für Hafenzwecke benötigt werden. Wir haben vom Gesetzgeber die Aufgabe bekommen, einen Teil unserer Flächen für Windkraft zur Verfügung zu stellen. Und ohne den Löwenanteil im Hafen ist das kaum zu schaffen.

Von der Krise zum Fortschritt

Sie haben in einem Interview angedeutet, dass es schade sei, dass erst eine Krise kommen müsse, um solche Veränderungen zu ermöglichen. Gibt es noch andere Beispiele neben der HPA, wo das Thema nachhaltige Energie auf einmal Fahrt aufnimmt? 

Da gibt es zwei Bereiche: Die Industrie ist jetzt mit Hochdruck dabei, gemeinsam mit uns am grünen Wasserstoff in Hamburg zu arbeiten, um zu dekarbonisieren (Reduzierung von Kohlendioxidemissionen, Anm. d. Redk.). Wir werden in den nächsten sechs Jahren zusammen mit der Bundesregierung und mit privaten Unternehmen gut 2 Milliarden Euro für Wasserstoffprojekte entlang der gesamten Wertschöpfungskette in Hamburg ausgeben. Aber auch im privaten Bereich tut sich einiges. Wir haben im vergangenen Sommer eine Anteilspflicht von 15 Prozent Erneuerbarer Energien eingeführt, wenn man die Heizung tauscht. Damals gab es noch eine ganze Reihe empörter Stimmen. Jetzt sieht das anders aus. Die Menschen wollen sofort raus aus Gas und Öl, und zwar am liebsten schon gestern.

Wenn man in Hamburg aus dem Fenster schaut, dann ist nicht so ganz klar, wo unser Strom eigentlich überall herkommt.

Der Strom in Hamburg kommt nicht aus dem Stadtgebiet. Das ist eigentlich in keiner Großstadt dieser Welt so. Er kommt wesentlich aus dem norddeutschen Raum. Da sind wir mit sehr vielen erneuerbaren Energien gesegnet, insbesondere Windkraft.

Sie haben das Thema Heizen bereits erwähnt. Bislang zeigt sich die Hamburger Regierung optimistisch, dass wir warm durch den Winter kommen. Woher kommt diese Zuversicht?

Es ist uns gelungen, die Gasspeicher zu 100 Prozent zu füllen und Ersatzquellen für das russische Gas zu erschließen. Deshalb rechnen wir nicht mit einer akuten Gasmangellage. Wir befinden uns allerdings nach wie vor in einer schwierigen Lage durch die extrem hohen Gaspreise und es wird eine gemeinsame Kraftanstrengung vonnöten sein von Politik, Industrie, Wirtschaft und von allen Hamburgerinnen und Hamburgern. Denn wir müssen trotz voller Gasspeicher Energie sparen, um über diese Krise hinwegzukommen.

Selbst in dem unwahrscheinlichen Fall einer Gasmangellage gehe ich fest davon aus, dass niemand in Hamburg wird frieren müssen. Die Haushaltskunden sind nach EU-Recht geschützte Kunden. Wenn nötig wird also zuerst in der Industrie und der Wirtschaft rationiert. Aber auch dort wird niemandem das Gas komplett abgedreht. Erst wenn alle Stricke reißen, würde auch bei den Haushaltskunden rationiert. Aber das sehe ich zurzeit nicht. Ich kann nur an alle Hamburgerinnen und Hamburger appellieren, den Energieverbrauch zu reduzieren und wenn möglich, monatlich einen Betrag zurückzulegen, um sich auf die Jahresabrechnungen im Energiebereich vorzubereiten.

Im August haben Sie die Baustelle des neuen Fernwärmetunnels eröffnet. Der dient auch für Wärme aus dem Gas- und Dampfturbinen Werk an der Dradenau. Könnte man dieses Werk nach aktuellem Stand überhaupt betreiben, da es mit Gas läuft?

Das Kraftwerk ist so konzipiert, dass es 30 Prozent Wasserstoff verbrennen kann. Wenn mehr grüner Wasserstoff zur Verfügung stünde, könnte man durch einen Austausch der Brenner einfach und kostengünstig zu 100 Prozent auf Wasserstoff umstellen. Leider steht grüner Wasserstoff derzeit nur in sehr kleinen Mengen zur Verfügung, sodass dies noch nicht möglich ist. Wir müssen jetzt das russische Gas ersetzen. Dass wir jetzt allerdings neben Atomkraft und Kohleausstieg auch gleichzeitig vollständig aus dem Gas aussteigen, halte ich nicht für machbar. Wir werden also noch eine Zeit lang Gaskraftwerke brauchen. Das angesprochene Kraftwerk wird gebraucht, um erneuerbare Energien auf hohe Temperaturen zu heizen, die unser Netz braucht. Und daneben soll es nur zur Abdeckung der Spitzen- und Mittellast eingesetzt werden und wird deshalb nicht so viele Stunden laufen. Es ist einfach eine sinnvolle Ergänzung zu den erneuerbaren Quellen wie auch der vorhandenen Abwärme aus Industrie und Müllverbrennungsanlagen.

Wird Hamburg zur Wasserstoff-Metropole?

Sie erwähnten grünen Wasserstoff, also komme ich zum Green Hydrogen Hub in Moorburg. 2025 soll es dort losgehen. 

Da sind wir sehr gut im Zeitplan. Wir werden dort mit einem Konsortium aus privaten Firmen und unseren Hamburger Energiewerken einen 100 Megawatt Elektrolyseur (Produktionsstätte für Wasserstoff, Anm. d. Redk.) errichten. Die Verhandlungen mit Vattenfall, das Grundstück zu erwerben, laufen gerade. Wenn das abgeschlossen ist, planen wir dort einen weiteren Elektrolyseur in der Größenordnung von 700 MW. Das zeigt, wie schnell die Entwicklung vorangeht: Der erste Elektrolyseur ist schon der größte, der in Europa im Moment geplant wird und wir sind eigentlich kurz davor, einen weiteren mit wesentlich größerer Kapazität anzuschieben.

Hamburg will mit dem Green Hydrogen Hub eine Vorreiterrolle einnehmen. Die Rede ist von der Wasserstoffmetropole Hamburg. Wollen Sie das Projekt kurz für unsere Leserinnen und Leser einordnen? 

Wasserstoff ist ein wichtiger Baustein, damit wir uns so schnell wie möglich aus der Abhängigkeit fossiler Brennstoffe verabschieden, unsere Klimaziele erreichen und unsere Stadt, unser Land zukunftsfähig machen. Gerade für die Industrie, aber auch für Teile des Verkehrsbereichs ist Wasserstoff ein zentraler Energieträger, um CO2 einzusparen. In vielen Bereichen der industriellen Produktion ist dies sogar die einzige Möglichkeit zur Dekarbonisierung. Wir planen im Hafengebiet auf dem Gelände des ehemaligen Kraftwerks Moorburg bis 2025 einen der weltweit größten Elektrolyseure mit einer geplanten Leistung von 100 Megawatt. Die Kosten für diesen Green Hydrogen Hub belaufen sich auf rund 700 Millionen Euro. Das ist aber nur ein Teil der Wasserstoffstrategie des Senats. Wir haben eine Vielzahl von Projekten. So setzt z.B. auch unser städtisches Unternehmen Gasnetz ein Wasserstoff-Industrienetz um.

Kommt das LNG-Terinal?

Neben Wasserstoff hat LNG, also verflüssigtes Erdgas, an Bedeutung gewonnen. Für Sie ist es aber nur eine Übergangslösung.

Es ist kein Geheimnis, dass ich kein Fan von LNG bin. Wir müssen uns von fossilen Energieträgern unabhängig machen und die Erneuerbaren Energien ausbauen. Das zeigt uns der Angriffskrieg auf die Ukraine und die damit verbundenen Erpressungsversuche von Putin. Um aber durch diese Krise ohne Gasmangellage zu kommen, müssen wir auch in saure Äpfel beißen. Denn wenn es nicht gelingt, mehr Gas ins Netz zu speisen, werden die exorbitanten Energiepreise bestehen bleiben und die Wirtschaft erhebliche Probleme bekommen. Deshalb planen wir auch nur einen temporären LNG-Terminal und setzen für die Zukunft auf grünen Ammoniak und grünen Wasserstoff.

Sie haben schon angemerkt, dass Sie sich nie hätten vorstellen können, für ein LNG-Terminal zu sein und haben das gegen Senator Westhagemann auch so verteidigt. Warum haben Sie dem LNG-Terminal letztlich zugestimmt? 

Der Bund hat uns in Hamburg aus Gründen der nationalen Sicherheit gebeten, einen temporären LNG-Terminal bei uns zu prüfen. Und das tun wir. Denn wir sind uns der kritischen Lage bewusst, in der sich das ganze Land, ganz Europa befindet. Es gilt Schaden abzuwenden vor allem auch in der Wirtschaft, in der Industrie.

Wem würde das Terminal in Hamburg vor allem nutzen?

Sollte dieses LNG-Terminal in Hamburg in Betrieb gehen können, wird das dort eingespeiste Gas ganz Deutschland zugutekommen.

Das zuständige Wasserschifffahrtsamt hat Bedenken geäußert und eine vorläufige Absage für ein Terminal in Hamburg erteilt. Ist das LNG-Terminal in Hamburg endgültig vom Tisch?

Wir warten auf die letzten Ergebnisse der umfangreichen Prüfung. 

Die ehrgeizigen Ziele im Bereiche Wärme, Energie- und Klimawende (WEK-Wende) hängen alle zusammenhängen. Wo sehen sie den größten Knackpunkt?

Ein großer Bereich ist natürlich der Verkehr. Wir in Hamburg arbeiten zügig an der Mobilitätswende, um in diesem Bereich die CO2-Immissionen zu verringern. Aber auch die energetische Sanierung von Gebäuden ist ein wichtiger Faktor. Da müssen wir energischer werden. Ansonsten ist das Zusammenspiel von Politik, Wirtschaft, Verbänden und Wissenschaft eine zwingende Voraussetzung für das Gelingen der Energiewende. Mit der Dekarbonisierung der Industrie kommen wir einen sehr großen Schritt voran.

Sie sind nach eigener Aussage ein Optimist. Also, warum schaffen wir die WEK-Wende?

So schwierig die Aufgabe auch erscheint, ich bin und bleibe Optimist und glaube, dass wir es schaffen werden. Am Ende des Tages halte ich es mit Luther: Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch ein Apfelbaum pflanzen.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Zur Person:

Jens Kerstan (56) wuchs in Bergedorf auf, wo er auch heute wieder mit seiner Familie lebt. Nach langer Tätikeit im Bereich Naturschutz wurde er im April 2015 Hamburgs Umweltsenator, zunächst im Senat Scholz II, dann im Senat Tschentscher I und am 10. Juni 2020 im Senat Tschentscher II. Der studierte Volkswirt ist seit 1998 Mitglied der Grünen. Kerstans Behörde ist eine der Hamburger „Superbehörden“: Sie versammelt die Ressorts Umwelt, Klima, Energie und Agrar. In der aktuellen Krisenlage ist die Behörde mehr gefragt denn je.

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