Sie haben über 100 Bücher veröffentlicht, zahlreiche Preise gewonnen, Schulen sind nach Ihnen benannt. Zu Ihrem 75. Geburtstag gibt es in Hamburg ein Festival. Was macht das mit Ihnen?
Ich freue mich! Ich freue mich wirklich sehr!
Sie behandeln die unterschiedlichsten Themen, fallen Ihnen manche leichter als andere?
Ich fange ja immer erst an zu schreiben, wenn ich das Gefühl habe: Das könnte ein Buch werden! Und insofern fallen mir dann die verschiedenen Themen auch alle gleich leicht. Manchmal muss ich allerdings dann doch wieder aufhören, weil ich merke: So wird das eben doch keine Geschichte. Daher liegen bei mir auch viele Manuskripte im Schrank – unfertig. Aber ich hoffe dann, dass vielleicht doch noch einmal ein Buch daraus werden könnte, dass ich irgendwann die Lösung finde.
Sind Ihnen manche persönlich besonders wichtig?
Eigentlich nicht. Zum Zeitpunkt des Entstehens ist mit tatsächlich jede Geschichte wichtig – sogar die kleinen „King-Kong“-Geschichten.
Gibt es Charaktere, die Ihnen besonders am Herzen liegen?
Eigentlich sind sie mir alle nahe. Vielleicht sind die aus den Büchern, die in der Zeit meiner Kindheit spielen, ein bisschen näher.
Gibt es welche, die schlecht altern und die Sie heute anders anlegen würden?
Nein!
Zur Person:
Kirsten Boie
feiert am 19. März ihren 75. Geburtstag. Vor über vier Jahrzehnten, nach der Adoption des ersten Kindes musste sie auf Verlangen des vermittelnden Jugendamtes die Lehrerinnentätigkeit aufgeben und schrieb daraufhin ihr erstes Kinderbuch – und landete direkt einen großen Erfolg. Inzwischen sind von ihr mehr als 100 Bücher erschienen und in zahlreiche Sprachen übersetzt worden. Für diese sowie für ihr Engagement in der Leseförderung wurde die Hamburgerin oft ausgezeichnet.

Ihr erfolgreichstes Buch ist „Wir Kinder aus dem Möwenweg“. Haben Sie damit beim Schreiben gerechnet?
Nein, damit habe ich überhaupt nicht gerechnet! Das genau ist ja das Schöne beim Schreiben: Die Bücher überraschen mich immer wieder!
Sie schreiben ausschließlich Bücher für Kinder und Jugendliche. Was macht Ihnen daran Freude, auch nach all den Jahren? Haben Sie mal drüber nachgedacht, für Erwachsene zu schreiben?
Erstaunlicherweise macht mir das Schreiben noch ebenso viel Spaß wie am Anfang. Das hätte ich selbst nicht gedacht! Manchmal habe ich schon überlegt, ob ich nicht vielleicht auch für Erwachsene schreiben sollte – aber tatsächlich kommen dann immer wieder Ideen für Kinder und Jugendliche, und das Buch für Erwachsene wird nicht geschrieben. Aber wer weiß? Vielleicht in Zukunft dann doch noch? 75 ist ja noch nicht das Ende!
Wie lange schreiben Sie an einem Buch?
Das ist ganz unterschiedlich – je nach Alter der Leser und je nach Thematik des Buches. Es gibt Bücher, die in höchstens zwei Wochen entstehen, andere brauchen ein halbes Jahr. Das hängt ab vom Alter der Kinder und von der Komplexität der Geschichte.
„Die Bücher überraschen mich immer wieder“
Schreiben Sie täglich?
So gut wie! Während ich ein Buch schreibe, kommen mir meistens schon die Ideen für das nächste Buch, und nach einer kleinen Pause zum Luftholen kann ich dann weiterschreiben.
Wo schreiben Sie?
Ich habe ein Arbeitszimmer, und dafür bin ich dankbar. In den ersten zehn Jahren habe ich in der Küche geschrieben, da geht es mir doch jetzt viel besser!
Wie oft überarbeiten Sie Texte?
Wenn ich fertig bin mit einem Text, lese ich ihn noch einmal sorgfältig durch. Aber schon beim Schreiben lese ich jeden Tag, bevor ich weitermache, noch einmal den Text vom Vortag. Und auch da gibt es dann schon Änderungen.
Woran merken Sie, dass ein Text fertig ist?
Wenn ich anfange zu schreiben, habe ich das ganze Buch im Kopf. Jetzt, nach vierzig Jahren, weiß ich allerdings, dass sich beim Schreiben noch einiges ändern wird. Oft auch das Ende!
Ist Ihnen von Beginn an klar, welche Bücher zu einer Serie werden und welche nicht?
Das ist wirklich eine gute Frage! Nein, in der Regel fange ich ein Buch einfach an und denke nicht daran, dass es noch Fortsetzungen geben könnte. Das passiert dann in der Regel, wenn das Buch fertig ist und Leserpost kommt: Fragen, Vorschläge, wie es weitergehen könnte. So war das tatsächlich bei allen Fortsetzungen, „Ritter Trenk“, „Seeräubermoses“, „Skogland“, „Sommerby“…
Eine einzige Ausnahme gibt es: das sind die „Thabo“-Krimis. Hier hatte ich schon früh die Idee für die Fortsetzungen.
„Ich habe keine Ahnung, woher die Ideen kommen“
Woher nehmen Sie Ihre Ideen?
Ich habe keine Ahnung, woher die Ideen kommen! Sie sind einfach da. Ein Beispiel ist die Geschichte von „Seeräubermoses“: Ich stand mit dem Auto im Stau, als ich plötzlich die Idee hatte. Ich bin schnell nach Hause gefahren und habe mir Notizen gemacht.
Wie kamen Sie überhaupt zum Schreiben?
Nach der Adoption unseres ersten Kindes habe ich „Paule ist ein Glücksgriff“ geschrieben, ein Buch über Adoption. Und weil ich dachte, vielleicht will das ja doch kein Verlag nehmen, habe ich zuerst sogar nur drei Kapitel geschrieben. Aber dann wollten gleich zwei Verlage das Buch machen. Einer davon war der Oetinger-Verlag, bei dem ich dann bis heute – vierzig Jahre später! – mit wenigen Ausnahmen geblieben bin.
Was war das kurioseste Erlebnis in Ihrer Karriere?
Ach du je! Ich glaube, da würden wir bei fast jeder Lesung etwas finden! Die Reaktionen oder Fragen der Kinder sind tatsächlich oft kurios. Aber diese Kuriositäten verrate ich nicht. Ich finde, die Kinder haben ein Recht, zu sagen, was ihnen wichtig ist; und genauso ernst sollten wir es dann nehmen.
Kirsten Boie bald im Kino

„Dunkelnacht“ und die „Sommerby“-Reihe werden/wurden verfilmt. Sind Sie da stark involviert?
Ich halte mich ein bisschen zurück. Natürlich bin ich gespannt – aber ich weiß ja inzwischen, dass ein Film ganz anderen Gesetzen folgt als ein Buch. Meine Vorschläge mache ich natürlich trotzdem!
Ihre Bücher begleiten viele Menschen durch ihre Kindheit und Jugend. Welche Geschichten haben Sie damals begleitet und welche begleiten Sie heute?
Als Kind habe ich Astrid Lindgren geliebt, und tatsächlich liebe ich ihre Bücher – und die Figuren darin! – noch immer. Heute sind mir natürlich Bücher für Erwachsene näher, und da ändern sich meine Vorlieben dann, je nachdem, was ich gerade lese!
Wieviel lesen Sie und haben Sie als Kind gelesen?
Ich lese viel! Das hängt natürlich auch davon ab, wieviel Zeit ich habe. Zum Beispiel lese ich sehr, sehr viel in der Bahn, wenn ich zu Lesungen fahre, und als Kind habe ich vermutlich noch mehr gelesen: Einmal die Woche bin ich in Hamburg in die Öffentliche Bücherhalle gegangen und bin dann mit den Büchern in der Einkaufstasche meiner Mutter zurückgekommen. Ich glaube ja bis heute, man muss viel lesen, um dann später schreiben zu können.
Wie wichtig finden Sie lesen in der Kindheit, gerade in der Zeit von Smartphones und sozialen Medien?
Immer noch sehr wichtig. Vieles lässt sich tatsächlich mit Smartphone etc. regeln – aber um komplexe Zusammenhänge zu verstehen, wie sie auch später in der Schule eine Rolle spielen und das in praktisch allen Fächern, braucht man dann schon auch schriftliche Texte.
Was braucht es Ihrer Meinung nach, um Bücher auch für kommende Generationen als spannend und spaßig zu erhalten?
Oh je! Natürlich verändert sich die Wirklichkeit, schon heute ist vieles anders als vor fünf oder zehn Jahren. Das heißt, auch die Bücher müssen sich ständig verändern. Aber manches bleibt eben doch gleich, wir sind bereit, auch Geschichten aus einer anderen Zeit zu lesen – man denke (wieder!) an Astrid Lindgren. Aber ich bin sicher, dass kommende Autoren das schon hinkriegen und Bücher schreiben werden, die ihrer Zeit entsprechen!
Vielen Dank für das Gespräch!
Festival zu Ehren von Kirsten Boie
„Jedes Kind muss lesen lernen!“, forderte Kirsten Boie in ihrer 2018 veröffentlichten „Hamburger Erklärung“ und so steht die kreative Leseförderung im Mittelpunkt der vielen Veranstaltungen rund um ihren Geburtstag. Auf der Webseite vom Hamburger Verein Seiteneinsteiger gibt es eine Übersicht über alle Veranstaltungen, die im März und April zum Geburtstag von Kirsten Boie stattfinden.