25. August 2024
Magazin-Tipp

Elke Heidenreich im Interview: „Glück ist keine unentwegte Herrlichkeit“

Mit ihrem neuen Buch „Altern“ feiert Elke Heidenreich erneut große Erfolge. Im Interview verrät die Autorin, warum sie das Buch zunächst nicht schreiben wollte und wie es zu ihrer Lesung in Blankenese kam.

Elke Heidenreich steht aktuell auf Platz 1 der Bestsellerlisten in Deutschland, Österreich und der Schweiz mit ihrem Buch "Altern". // Foto: Stephan Pick

Elke Heidenreich steht aktuell auf Platz 1 der Bestsellerlisten in Deutschland, Österreich und der Schweiz mit ihrem Buch "Altern". // Foto: Stephan Pick

Frau Heidenreich, Ihr neues Buch „Altern“ steht auf Platz eins der Buchcharts in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ein Medium schreibt sogar, es sei der Bestseller Ihres Lebens. Sehen Sie das auch so?
Nein, das ist mir zu theatralisch. Ein Besteller bedeutet für mich auch nicht so viel. Wenn man aber über den Bestseller meines Lebens sprechen wollte, dann war es mit Sicherheit „Nero Corleone“, mein Kinderbuch über eine Katze. Das wurde über 1 Million Mal verkauft und in 33 Sprachen übersetzt.

 

„Ich wäre von allein nie auf die Idee gekommen.“

Im Vorspann von „Altern“ zitieren Sie Cicero so: „Das Schreiben dieses Buches hat mir das Alter behaglich und angenehm gemacht.“ Wie ging diese Behaglichkeit los?
Das Buch war ein Auftrag meines Verlages. Er macht eine zehnteilige Reihe. Die heißt „Leben lesen“ und da geht es um alles, was in unserem Leben stattfindet: schlafen, reisen, lieben, streiten, wohnen und halt auch altern. Jedes Buch ist ein Essay mit so plus minus 100 Seiten und man hat mich eben gefragt, „Altern“ zu schreiben. Ich wäre von allein nie auf die Idee gekommen.

Ging dann die große Sinnsuche los oder kam Ihnen doch ganz schnell eine Idee, was Sie schreiben könnten?
Ich habe sofort abgesagt. Ich sagte meinem Verlag: „Altern“ interessiert mich überhaupt nicht. Ich bin 23 Mal umgezogen, in acht verschiedenen Städten. Lasst mich „Wohnen“ schreiben, sagte ich. Aber dann meinte der Verlag: „Nein, das schreibt schon Doris Dörrie. Du musst ‚Altern‘ machen.“ (lacht) Eigentlich war mir das zu langweilig. Dann lag ich abends im Bett und dachte mit damals 80 Jahren: Wer, wenn nicht ich? Ich weiß, wie es ist, alt zu werden. Und ich habe noch nie darüber nachgedacht: Was bringt das mit sich? Wie werden andere alt? Warum war meine Mutter schon mit 50 alt, und ich bin es mit 80 gefühlt immer noch nicht? Also rief ich beim Verlag an und sagte, ich mach es doch.

„Die Gelassenheit nimmt zu.“

Neulich in einem Interview sagten Sie, dass Ihnen beim Schreiben dieses Buches so einiges über das Alter klar geworden ist. Was zum Beispiel?
Dass man das Alter immer als belastend ansieht, dass es nur aus Defiziten bestehe und alles abnehme. Natürlich nimmt einiges ab. Die Kraft nimmt ab. Manche Möglichkeiten, die man im Leben hatte, sind nicht mehr da – schnell hinter dem Bus herrennen oder was weiß ich. Aber es nimmt doch eben auch vieles zu. Die Gelassenheit nimmt zu. Man ist nicht mehr für alles verantwortlich. Man kann jetzt ein bisschen die Ernte einfahren und etwas ruhiger auf die Dinge blicken. Das finde ich sehr angenehm.

 

Hat die Gelassenheit wirklich Ihre frühere Unruhe ersetzt, von der Sie im Buch schreiben?
Naja, so ganz gelassen ist jemand wie ich nie. Aber die Fragen, was man im Leben will, die sind im Alter alle beantwortet:
Wie und wo will ich leben? Will ich festangestellt sein oder frei arbeiten? Kinder oder nicht …? Man muss da nichts mehr groß entscheiden. Ich kann einfach sitzen bleiben, Zeitung lesen und ein schönes Leben haben. Aber ich habe das Glück, immer noch arbeiten zu können und zu wollen und auch gebraucht zu werden. Ich finde, man kann dem Alter, als geschenkte Zeit, etwas Schönes abgewinnen. Und dafür gibt es doch viele Möglichkeiten. Ich jedenfalls bin sehr dankbar für diese Zeit.

 

Das Talent zum Glück

Sie sagen gelegentlich, Sie hätten das Talent zum Glück. Dürfen wir mehr über dieses Talent erfahren?
Man muss sich bemühen, die Dinge positiv zu sehen. Darum habe ich zwei Versionen meines Lebens an den Anfang des Buchs gestellt. Version eins: Ich habe mein Leben mit all den Niederlagen in den Sand gesetzt und Version zwei: Ich habe ein wunderbares Leben, mit allem, was mir so gelungen ist. Aus beidem zusammen setzt sich ein „Nicht-Verpasstes-Leben“ zusammen – wie ich es immer nenne. Es ist wichtig, dass man beides sieht: Die Niederlagen und die Tiefs braucht man, um die Hochs, die Freude und das Glück besser genießen zu können. Man darf nur nicht zu der einen oder anderen Seite neigen. Zu optimistisch zu sein, das ist dumm und zu pessimistisch zu sein, das ist auch falsch. Die Mischung macht‘s und das habe ich im Laufe meines Lebens gelernt.

 

„War mein Leben denn jetzt schön oder nicht?“

Diesen Einstieg fand ich übrigens großartig.
Ich auch. Der fiel mir abends im Bett ein. Ich dachte, wie schreibe ich denn jetzt über das Altern? War mein Leben denn jetzt schön oder nicht? Und dann habe ich gedacht, es war beides. Glück heißt nicht unentwegte Herrlichkeit, sondern Glück heißt Erfüllung.

 

Ich habe „Altern“ auch ein bisschen als Liebeserklärung an die Literatur gelesen.
Das stimmt natürlich. Die Bücher haben mich schon in meiner einsamen Kindheit gerettet. Ich habe immer viel gelesen. Und das merkt man. Durch mein ganzes Buch ziehen sich Zitate und Dinge, die ich gelesen habe. Ein Buch heilt zwar keine Krankheiten und keinen Liebeskummer, aber man ist ein paar Stunden weggetaucht in eine Geschichte und diese Geschichte rettet einen, gibt einem Kraft und dann kann man wieder weitermachen. Die Literatur lehrt uns einfach, die Menschen besser zu verstehen und unser eigenes Leben einzuordnen. Alle Menschen haben die gleichen Sehnsüchte, Wünsche und Sorgen. Wir sind einander doch sehr ähnlich, egal wo auf der Welt. Und das andere ist die Musik, die mich ganz unmittelbar erreicht. Die Musik fließt einfach in einen hinein und ist etwas ganz wunderbar Heilendes.

 

„Ich konnte hier die Ernte meines langen Leselebens einfahren.“

Waren Ihnen die vielen Zitate einfach so präsent oder brauchte es dafür eine intensive Recherche?
Nein, ich bin nicht an meinem Bücherregal entlanggerannt und schaute, wo jetzt etwas über das Altern steht. Es fiel mir alles beim Schreiben ein. So in etwa: Ach Mensch, der alte André Gorz hat doch an seine Frau noch einen Liebesbrief geschrieben; Joan Didion hat doch in dem Jahr, in dem sie ihren Mann und ihre Tochter verlor übers Altwerden geschrieben; Julian Green, der so alt wurde hat doch … Dann brauchte ich nur noch in die Bücher zu schauen, um es richtig zitieren zu können. Das heißt, ich habe mich gar nicht groß angestrengt. Ich konnte hier die Ernte meines langen Leselebens einfahren.

 

Sie sind jetzt schon eine Weile auf Lesereise mit „Altern“. Verändert sich der Text mit der Zeit? Lesen Sie den Text inzwischen anders?
… kluge Frage. Der Text bleibt natürlich so, wie er im Buch ist, aber ich habe ihn einstreichen müssen. Ich kann ja nicht die ganzen 110 Seiten vorlesen. Ich nehme immer andere Teile, weil ich inzwischen merke, wie die Leute auf etwas reagieren. Und ich gucke auch, was ist das für ein Publikum: Ein älteres? Ein jüngeres? Es kommen übrigens auch sehr viel junge Leute. Je nachdem lese ich dann ein bisschen forscher oder ein bisschen zurückhaltender. Meine Einstellung zum Text ändert sich in etwa so: Der Text bleibt gleich, aber ich bin immer wieder an anderen Stellen unterwegs.

 

„Als die Anfrage aus Blankenese kam, dachte ich, das passt …“

Sie kommen im August auch zur Herbstlese Blankenese. Wie kam es dazu?
Ich mache einmal im Jahr bei Pelikan in Hannover eine Benefizlesung für ein Kinderkrankenhaus. Das ist schon eine kleine Tradition. Als die Anfrage aus Blankenese kam, dachte ich, das passt und ich kann vorher noch im Literaturhaus in Hamburg lesen. Das sind also drei Lesungen hintereinander im Norden, und ich werde sicher auf jeder ein bisschen etwas anderes lesen.

 

Kennen Sie Blankenese bereits?
Kaum. Ich habe zwar in Hamburg ein Semester studiert, aber damals hielt ich mich eher im Univiertel auf. Daher kenne ich Blankenese noch nicht. Auf einer Lesereise lernt man die Orte ehrlich gesagt auch nicht wirklich kennen. Man müsste immer einen Tag dranhängen, doch dazu reicht die Zeit im Moment nicht. Aber ich freue mich auf die Lesung in Blankenese.

 

Frau Heidenreich, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Zur Person

Elke Heidenreich wurde 1943 in Korbach (Hessen) geboren. Bekannt wurde sie durch ihre Arbeit in Rundfunk und Fernsehen, unter anderem als Kabarrett-Figur Else Stratmann und mit ihrer Literatursendung „Lesen!“. Als Autorin und Herausgeberin hat sie über 30 Werke veröffentlicht, darunter auch den Klassiker „Nero Corleone.“ Heidenreich lebt in Köln, schreibt weiterhin Bücher und Kolumnen, ist als Moderatorin präsent, betreibt einen Podcast, neuerdings auch einen Instagramkanal, rezensiert Bücher und befindet sich auf Lesereise mit ihrem Bestseller „Altern“. Ihre Lesung in Blankenese ist bereits ausverkauft.

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