Am 1. August begann Christian Wildt seine Reise in die Ukraine. Von Hamburg ging es mit der Bahn nach Warschau und dann weiter nach Kyiv. „Ich blieb etwa vier Tage dort. Der Krieg war allgegenwärtig – in den Gesprächen, dem Treiben der Menschen, den Nachrichten. Teils war die Verständigung etwas schwierig, aber dank Handy-App und gutem Willen gelang es“, so der Hamburger.
Von Kyiv reiste er weiter nach Kharkiv. „Natürlich war mir klar, dass es kein gewöhnlicher Urlaub wird. Das sollte er auch nicht sein. Mit der Entwicklung, die dann alles nahm, rechnete ich dennoch nicht“, berichtet Wildt und wirkt selbst heute noch überrascht.
Ungeplanter Einsatz: Wie aus einer Reise echte Ukrainehilfe wurde

In der Stadt im Osten des Landes, nahe der Front, änderten sich seine ursprünglichen Pläne abrupt: „Eigentlich wollte ich nur zwei Tage in Kharkiv bleiben. Dann traf ich auf die Hilfsorganisation ‚Chervona Kalyna‘. Man fragte mich, ob ich ein wenig mithelfen würde. Ich sagte Ja und blieb bis zu meiner Abreise rund drei Wochen später. Ich teilte Essen und Kleidung aus oder machte Besorgungen. Außerdem betreuten wir Kinder. Sie konnten bei uns für ein paar Stunden spielen, Süßigkeiten essen … einfach mal wieder Kind sein. Das waren auch für mich Glücksmomente.“
Christian Wildt beschreibt dies alles mit großer Ruhe, und doch merkt man ihm an, dass ihn die Ereignisse mitgenommen haben: „Am bedrückendsten waren die Momente, in denen ältere Menschen vor mir standen, mit nichts außer ein paar Plastikschüsseln, in die wir ihnen Essen für die nächsten paar Tage füllten. Dass diese Menschen nach einem langen, arbeitsreichen Leben in dieser Lage waren, das konnte ich nicht zusammenbringen mit dem Leben hier in Hamburg. Dieser Gegensatz ist surreal und beschämend.“
Die Frage nach glücklichen Momenten beantwortet Wildt mit folgender Erinnerung: „Ich lernte ein paar Männer kennen, die sich vor der Einberufung verstecken. Soldaten sagten mir, dass man diese Leute auch nicht unbedingt neben sich im Einsatz wolle, weil sie nicht dafür geschaffen seien. Hin und wieder trank ich mit diesen Männern ein Bier und wir grillten. Um uns herum sah man Gebäude, die Spuren von schwerem Beschuss zeigten. Es war schräg, ein Stück Normalität zwischen den Trümmern zu finden.“
Ukrainehilfe im Kriegsalltag: Begegnungen, Belastungen und Hoffnung
Diese „Normalität“ war unbeständig: „Einmal wachte ich nachts von einem Knall auf. In der Nähe war eine Rakete eingeschlagen. Am nächsten Tag erfuhr ich, sie hatte ein Gebäude, nur einige Kilometer von meinem Hostel entfernt, getroffen. Dort war ich erst am Vortag für ein paar Einkäufe gewesen. Ich kann das Gefühl nicht beschreiben, das ich hatte, als ich es erfuhr. Den Krieg sah ich zwar stets um mich herum, aber er blieb immer noch irgendwie auf Distanz. Das änderte sich in diesem Moment.“
Der 33-Jährige half bis zu seiner Abreise Ende August weiter. Rund zwei Tage brauchte er bis Hamburg. „Das gab mir etwas Zeit für den ‚Übergang‘. Es fühlte sich unwirklich an, wieder in Hamburg zu sein. Schon am nächsten Morgen begann ein einfacher Arbeitstag.“ So ganz zurück ist er auch heute nicht. Wildt nennt ein Beispiel: „Noch immer ist es für mich seltsam, eine Drohne zu hören. Dieses Sirren verknüpfe ich nach wie vor mit dem Krieg. Drohnen sind dort allgegenwärtig, zur Aufklärung und als Träger für Sprengladungen.“
Geblieben sind ihm jedoch auch zahllose positive Erinnerungen – etwa an die anderen Ehrenamtlichen und die vielen Bekanntschaften, die Christian Wildt auch jetzt noch pflegt. Noch vor Ort in der Ukraine startete er eine GoFundMe-Kampagne für die Organisation „Chervona Kalyna“. Eine weitere Spendenkampagne ist nun angelaufen. Im nächsten Jahr möchte Wildt wieder nach Kharkiv, um zu helfen – dann vom ersten Tag an.
Zur Person:
Christian Wildt
verbrachte rund 20 Tage als ehrenamtlicher Helfer in Kharkiv bei der Hilfsorganisation „Chervona Kalyna“.
Sie können Christian Wildts Spenden-Kampagne hier unterstützen:
https://www.gofundme.com/f/humanitare-hilfe-fur-vertiebene-in-kharkiv