und
10. März 2022
Gesellschaft

Digitalisierung und Zukunft: Virtuell, vernetzt, verloren

Der Fortschritt in der Digitalisierung soll unser Leben erleichtern und viele Probleme lösen. Manche davon schafft die Digitalisierung womöglich selbst. Die Erwartungen sind geteilt, zwischen Euphorie und Angst. Dabei hat die Zukunft längst begonnen. Wir zeigen Ihnen, wo und warum es nicht wehtut.

Digitalisierung Verkehr

Digitalisierung im Verkehr: Vernetzte Straßen und autonome Autos sollen in Hamburg schon 2030 Realität sein. // Foto: ©Greenbutterfly_Adobestock.com

Fliegende Autos, Roboter, Raumstationen, ein fast allwissender künstlicher Alltagsassistent – so ähnlich hat man sich bereits in den 1950er Jahren die Zukunft vorgestellt. Gehen Sie die Liste mal durch. So viel fehlt da gar nicht. Also, willkommen in der Zukunft, dank Digitalisierung. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den Zukunftsvisionen von damals und heute, ein entscheidender: Früher sahen die Visionen eher positiv aus. Ein weiterer Unterschied: Man dachte, dass Atomenergie viele unserer Probleme lösen würde, doch hat man damals einen gewaltigen Vertrauensvorschuss geleistet.

Warum brauchen wir die Digitalisierung?

Fortschritt verfolgt meist zwei Ansätze: Problemlösung und Bedürfnisbefriedigung. Nur bringen manche Lösungen auch neue Probleme. Die Antwort auf viele Bedürfnisse und Schwierigkeiten von heute und morgen soll Digitalisierung lauten.

Digitalisierung vernetzt
Die Digitalisierung vernetzt die verschiedensten Lebensbereiche. Das macht vieles leichter. // Foto: Iconimage_Adobestock.com

Computer, Algorithmen und digitale Vernetzung sind schon längst Bestandteil unseres Alltags. Auch hier wird ein Vertrauensvorschuss geleistet und zurecht kann man fragen, was die Digitalisierung für die Menschen bringt und in welchen Bereichen sie ein Nachteil sein könnte. Hamburg ist ein Vorreiter in Sachen Digitalisierung. In der Hansestadt hat das Amt für IT und Digitalisierung (ITD) im Januar 2018 seine Arbeit aufgenommen. Hier geht es um die Digitalisierung der Stadt in allen Bereichen. Ziel ist es laut ITD, „die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern und die Attraktivität der Stadt für die Wirtschaft zu steigern.“ Auch die Bereiche Wohnen, Soziales, Sicherheit und Verkehr gehören zum Aufgabenbereich. Man bündelt und vernetzt die Kompetenzen aus anderen Teilen der Stadt, wie etwa die Behörde für Verkehr und Mobilitätswende oder die Behörde für Wirtschaft und Innovation.

Wir haben uns drei Bereiche angesehen, in denen Digitalisierung deutlich an Bedeutung gewonnen hat: Mobilität, Behörden und das Smarthome. Sie werden kaum erraten, welcher dieser drei Bereiche augenblicklich der spannendste im Bereich Digitalisierung ist.

Autonomer E-Bus
Der autonom fahrende E-Bus fuhr als Teil eines Pilotprojekts einige Monate durch Hamburg. // Foto: ©Hochbahn

Digitalisierung und Mobilität

Wie kann Digitalisierung im Bereich Mobilität helfen? Betrachten wir erst die Bedürfnisse. Menschen möchten gerne von A nach B. Es soll zügig, sicher und günstig geschehen. Nun zum Problem: Die Stadtbevölkerung wächst und sie will sich bewegen. Doch die Stadt bietet nicht in allen Bereichen genügend Platz, zumindest nicht bei herkömmlicher Nutzung wie bisher. Ein Beispiel ist hier die Elbchaussee. Bei ihrem Bau dachte noch niemand daran, dass abertausende Autos pro Stunde die Prachtstraße entlangdüsen. Die Verkehrsinfrastruktur ist ausgelastet. Fragt sich, wie presst man mehr Verkehr in eine überlastete Struktur? Durch intelligente Verkehrssysteme (ITS).

Hamburg hat eine eigene ITS-Strategie, die bereits 2016 beschlossen wurde. Diese hat fünf erklärte Ziele: Erhöhung der Verkehrssicherheit, Reduzierung der Umwelteinflüsse, Effizienz des Gesamtsystems, gute und sichere Informationsverteilung sowie Innovationsförderung.

Selbstfahrende Autos und schlaue Baustellen

Diese Ziele werden in sechs sogenannten Handlungsfeldern verfolgt: Daten und Information, Intelligente Verkehrssteuerung und -lenkung, Intelligente Infrastruktur, Intelligentes Parken, Mobilität als Service, Automatisierte und Vernetzte Mobilität. Das bedeutet konkret: Bis 2030 sollen alle notwendigen Daten erfasst und bereitgestellt werden. Intelligente Ampelschaltungen und direkte Kommunikation zwischen Infrastruktur und Verkehrsteilnehmenden wie auch autonomes Fahren wird möglich gemacht. Der ÖPNV wird hier zur treibenden Kraft. Auch Parken soll einfacher werden. Alle Mobilitäts-Services, also alles, was sie voranbringt – ob Fahrrad oder Bahn, Carsharing oder Bus – kooperieren dann und sind auf einer Plattform einsehbar.

Nehmen wir das Beispiel U-Bahn: Die U5 wird Hamburgs erste autonom fahrende Bahn. Die Digitalisierung ermöglicht hier einen 90-Sekunden-Takt. Die U5 ist natürlich eine neue Linie, aber die Digitalisierung bestehender Netze ist nur eine Frage der Zeit.

Digitalisierung Baustelle
Intelligente Absperrungssysteme berechnen automatisch, wie viel Fläche wegfällt. // Foto: ©lsbg

Hamburg hat 172 ITS-relevante Projekte auf den Weg gebracht. Davon sind 90 aktiv und bereits 55 beendet. 42 Projekte werden als Ankerprojekte bezeichnet. Sie stellen Meilensteine zum Erreichen der Mobilitätsziele dar. Die Beispiele hier lesen sich wie Science-Fiction. Etwa: Fahrradzählung, Quantencomputing, intelligente Baustellen-Absperrungen und Ampelschaltungen, digitale S-Bahnen und vieles mehr. Ein Schlüsselprinzip ist, dass Fahrzeuge mehr mit den Verkehrswegen kommunizieren und der Verkehr so besser gesteuert werden kann. So kann der „Durchsatz“ bestehender Wege erhöht werden. Gleichzeitig könnte der Verkehr sicherer werden, etwa wenn Fahrräder und Autos oder Busse und Baustellen sich „abstimmen“.

Digitale Behörden

Wer in letzter Zeit ein Konto neu eröffnet, einen Personalausweis beantragt oder einen Mietwagen gemietet hat, wird festgestellt haben: Geht eigentlich alles online. Identifizieren geht ganz leicht per Videocall, Formulare können online ausgefüllt und eingereicht werden. Alles, was mit Corona, der Kontaktverfolgung, Testergebnissen und ähnlichem zu tun hat, ist sowieso schon komplett digital.

Das Bedürfnis ist klar: Wie gerne gehen Sie in eine Behörde, ziehen eine Nummer und warten eine gefühlte Ewigkeit? Und erstaunlicherweise ist es für die Mitarbeitenden auch einfacher und angenehmer, alle nötigen Unterlagen in einem Dokument online zu haben.

Gesetz regelt Digitalisierung

Digitalisierung Krankschreibung
Rund 600 behördliche Leistungen werden digitalisiert. // Foto: ©MPIX-Foto_Adobestock.com

Dafür verantwortlich, dass das alles einfacher geworden ist, ist das Onlinezugangsgesetz (OZG). Dieses Gesetz verpflichtet alle Länder und Kommunen dazu, bis Ende dieses Jahres alle Verwaltungsleistungen auch digital anzubieten – und das sind immerhin 600 Leistungen, die es zu digitalisieren gilt. Dabei orientiert sich das Gesetz nicht an behördlichen Zuständigkeiten, sondern an der Nutzerperspektive von Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen. Bürgerinnen und Bürger sollen dadurch zukünftig den überwiegenden Teil aller Behördenangelegenheiten digital erledigen können.

Aber was heißt hier digital? Sicher, es geht am Computer oder Tablet. Aber was bringt es konkret? Die Pandemie hat vieles aufgezeigt. Zum Beispiel, dass die besten Ämter nichts nützen, wenn man sie nicht erreicht. Das kann die Digitalisierung ändern. Aber mal ehrlich, besonders intuitiv ist der bürokratische Apparat für Bürgerinnen und Bürger nicht. Das Gebot der Stunde ist, die Dinge auch gleich einfacher zu machen, anstatt sie nur zu digitalisieren. Der Bund hat daher die Vereinfachung als Zielforderung des OZG aufgenommen.

Für mobilitätseingeschränkte und gestresste Menschen ein Segen. Besonders ältere Personen stehen dann aber vor Problemen: Wie soll das gehen, ohne Smartphone, Computer oder auch einfach ohne Internetanschluss? Hier wirft die Lösung neue Probleme auf. Schon länger fordern Interessengemeinschaften mehr freie Internetzugänge für ältere Menschen, etwa in Pflegeeinrichtungen. Die „digitale Behörde“ ist jedoch kein Zwang.  Behördengänge werden weiterhin auch live und in Farbe möglich sein. Niemand muss das neue Angebot nutzen, wenn er nicht möchte.

Wie smart kann ein Zuhause sein?

Bereits 3,3 Millionen Menschen in Deutschland nutzten 2020 smarte Haushaltsgeräte. Dazu zählten Kühlschränke, Kaffeemaschinen oder ein Saugroboter. Möglich macht es die Vernetzung von Geräten und Internet. Die Idee ist der Zugriff von überall und sogar die Anpassung der Geräte auf die Benutzer. Die Anwendungen reichen vom Energiemanagement über Sicherheitstechnik bis zu Unterhaltungselektronik. Vom eigentlichen Smarthome, das alle Lebensbereiche abdeckt, ist das natürlich noch weit entfernt, aber es ist schon recht smart, oder?

Ein Beispiel: Sie sitzen auf dem Sitzmöbel ihrer Wahl und ihnen fällt plötzlich ein, dass sie gerade Musik hören möchten, außerdem soll das Licht anders sein, der Inhalt des Kühlschranks gehört überprüft und ein Kommando an Siri, Alexa oder wie auch immer Ihre digitale Assistentin heißt, regelt das für Sie.

Gut, die genannten Beispiele sind eher Fragen des Lifestyles oder der Bequemlichkeit. Echte Probleme werden hier noch nicht gelöst. Doch ändern wir das Beispiel nur leicht. Sagen wir, sie haben ein Handicap und jede der genannten Handlungen würde viel Mühe oder eine andere Person benötigen. Hier könnte ein Smarthome eine Möglichkeit sein, den Alltag zu erleichtern und das selbstbestimmte Leben länger zu ermöglichen.

Die Zukunft ist jetzt

digitale Vernetzung
Bildung, Heizung steuern, Kühlschrank checken oder Licht dimmen – geht alles per App, auch von unterwegs. // Foto: Blue Planet Image_Adobestock.com

Doch ein interessanter Kniff des Smarthomes ist auch, dass es natürlich immer smart sein muss und kann. Wenn jemand zum Beispiel seine Wohnung verlässt, könnte ein smartes System die Heizung herunterregeln, Licht ausschalten und Rollläden steuern. Das wäre eine Möglichkeit, Energie zu sparen. Auch eventuell laufendes Wasser könnte abgestellt werden. Das nützt der Umwelt, dem Geldbeutel und vielleicht auch den Versicherungen. Lebensmittel könnten nicht nur rechtzeitig nachbestellt werden, sondern sie könnten durch ihren Kühlschrank auch daran erinnert werden, endlich das Obst zu essen, das nicht mehr lange frisch ist. Vielleicht sagt Ihnen der kluge Kühler sogar: „Ey, spar Dir die Bananen. Isst Du eh nicht. Nimm lieber mehr Äpfel.” Dann bestellt er selbst oder mailt ihnen eine Einkaufsliste.

„Aber dann haben die ja alle Daten von mir.“ Haben Sie ein Smartphone und Internet? Dann haben „die“ eh schon alle Daten von Ihnen. „Das ist bestimmt nicht sicher.“ Natürlich, wenn man Verteidigungsministerien hacken kann, warum dann nicht auch Smarthomes? Ganz ehrlich, wer sie unbedingt hacken will und es draufhat, der kann sie auch hacken. Letztlich ist es eine Frage der Bedürfnisse und Lösungen, womit wir wieder am Anfang sind. Was löst ihre Probleme und was wirft Neue auf? Manche Digitalisierungsmaßnahmen werden als Last empfunden, doch andere werden im Alltag schlicht nicht wahrgenommen. Vielleicht gehen Sie ja doch etwas positiver in die Zukunft von heute.

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