3. März 2022
Gesellschaft

Rechtsruck in Deutschland – Gefühl oder Realität?

Ende Januar trat der AfD-Politiker Jörg Meuthen aus seiner Partei aus. Der Ex-Vorsitzende begründete dies mit demokratiefeindlichen Tendenzen in der AfD und mit der Entwicklung von einer Protestpartei hin zur Politsekte, die künftig allenfalls in Ostdeutschland noch regionale Bedeutung haben werde. Das ist für viele Deutsche eine positive Nachricht, die eine nähere Betrachtung verdient.

Rechtsruck durch Pegida?

Pegida-Proteste und andere Demos schaffen immer wieder den Eindruck einer rechtspopulistischen Massenbewegung. Aber gibt es wirklich einen Rechtsruck?

Die AfD sitzt im Bundestag und gibt in jeder Talkshow ihren Senf zu allen Themen, dazu spazieren Querdenker durch die Straßen. Ein Rechtsruck in Deutschland oder eine laute, aber kleine Minderheit?

Die Geschichte der AfD ist nicht neu. Sie ähnelt dem Werdegang der DVU, der Republikaner und anderer rechtsextremer Parteien. Sie alle konnten in ihren Anfangsjahren noch auf mehr oder weniger bürgerliche Führungsfiguren zurückgreifen und auf ein bürgerliches Reservoir an Wählern.

Radikalisierung rechter Parteien

Rechtsruck in der AfD
Jörg Meuthen ist die AfD zu demokratiefeindlich geworden. // Foto: ©Robin Krahl

Schon damals aber war eine Art „analoger Algorithmus“ am Werk und sorgte für eine fortschreitende Radikalisierung. Je härter der Slogan, desto größer die Zugewinne bei der rechten Wählerschaft. Heute funktioniert dieser Mechanismus ungleich schneller. Whistleblower haben berichtet, dass etwa Facebook radikale Inhalte mit hohen Zugriffszahlen belohnt.

Wir erinnern uns: Teile der AfD-Wählerschaft hat es so zur Überzeugung gebracht, der Staat würde versuchen, sie während Demonstrationen zwangsweise zu impfen. Unter anderem aus Gullydeckeln … Radikale haben mit den sozialen Medien somit ein wirksames Verbreitungsmittel – das gleichzeitig den Grad der Radikalisierung hochschraubt. Die Partei wird in weiten Teilen der bürgerlichen Gesellschaft unwählbar und dann beginnt der Abstieg.

Rechtsruck in Deutschland?

„In weiten Teilen“ ist allerdings eine weiche Formulierung, die mit Zahlen untermauert werden sollte. In Zeitungsredaktionen gibt es eine Faustregel, nach der zehn Prozent der Deutschen anfällig sind für rechte Parolen. Untersuchungen wie die des US-Instituts PEW sind präziser. Eine europaweite Umfrage ergab bereits 2017 – also noch unter dem Eindruck der Flüchtlingskrise 2015/2016 – sinkende Zustimmungswerte für rechte Positionen. 83 Prozent der Befragten lehnten die AfD ab; 11 Prozent äußerten eine positive Sicht auf die Partei. Nur sechs Prozent der Befragten rechneten sich selbst dem rechten Spektrum zu. Als Teilergebnis hielt die Studie fest, dass nirgendwo in Europa rechtspopulistische Positionen auf so wenig Resonanz stoßen, wie in Deutschland.

Rechtsruck? Extremisten
Die Gesamtzahl der staatlich registrierten Rechtsextremisten hat seit 1999 abgenommen – die Zahl der Gewaltbereiten hingegen ist angestiegen.

Noch ausführlicher sind die Ergebnisse einer Studie der Universität Bielefeld von 2021. Gefragt wurde unter anderem nach folgenden Positionen: Befürwortung einer Diktatur – 2,2 Prozent Zustimmung. Verharmlosung des Nationalsozialismus – 1,4 Prozent Zustimmung. Fremdenfeindlichkeit – 4,5 Prozent Zustimmung. Antisemitismus: 1,7 Prozent. Manifest rechtsextremes Weltbild – 1,7 Prozent.

Deutlich wird also, dass die „gefühlten zehn Prozent“ des Lokaljournalisten nicht mehr zeitgemäß sind. Ein Rechtsruck ist nicht zu erkennen.

Rechtsextreme Straftaten

Wie aber passen hierzu die Angaben von Behörden etwa über rechtsextreme Straftaten? Auf der Grafik  wird ein Trend sichtbar, der mit den Krawallen rund um das Flüchtlingsheim in Hoyerswerda im September 1991 begann. Seitdem sind deutliche Steigerungen zu sehen – jedoch nicht parallel zur Anzahl potenzieller Straftäter. Zwar haben die Behörden seit 2018 einen neuen Anstieg bei den registrierten Rechtsextremen gemeldet, die Zahl der Gewaltbereiten stagniert jedoch. Analog zur Radikalisierung der AfD, bei gleichzeitig schwindendem Wählerpotenzial, wird also auch hier eine eher kleine Anzahl immer gewalttätiger.

Rechtsruck? Straftaten
Die Anzahl der staatlich registrierten rechtsextremen Straftaten ist seit 1990 stark angestiegen.

Rechtsruck in Hamburg?

Dr. Alexander Wolf
Dr. Alexander Wolf, einer der Fraktionsvorsitzenden der AfD in Hamburg // Foto: ©Steffen Proessdorf

Ein Blick ins Lokale: Die Hamburger AfD unter den Fraktionsvorsitzenden Dirk Nockemann und Dr. Alexander Wolf hält sich mit rechtsradikalen Ausfällen zurück. Spekulationen über afrikanische Fortpflanzungsgewohnheiten und Holocaust-Relativierungen überlässt man den Kollegen in Thüringen. Die Vielzahl der Pressemitteilungen der Hamburger Fraktion bilden jedoch das gesamte Spektrum der AfD-Themen ab – und wirken an der Elbe völlig realitätsfern. Keines der Themen, das die Stadt wirklich bewegt – Mieten, Verkehr, Neubau, Wirtschaft – wird glaubwürdig behandelt. Stattdessen regnet es Pressemitteilungen, die sich gegen die Förderung eines feministischen Films richtet oder gegen illegalen Welpenhandel. Zwischendurch dann immer wieder die rechtspopulistische Königsdisziplin: der kriminelle Ausländer. Eine Figur, die in Hamburg durchaus bekannt ist. Das aber als Teil einer Kriminalitätsstatistik, die 2020 auf den niedrigsten Stand seit 1979 gefallen ist …

Dirk Nockemann und Alexander Wolf sind Juristen und demnach ebenso fähig zu klarem Denken wie Bernd Lucke, Frauke Petri und eben Jörg Meuthen. Sie werden erkannt haben, dass jede AfD-gerechte Position in einer Stadt wie Hamburg zu einem weiteren Verlust bei der bürgerlichen Mehrheit führt und gleichzeitig zu mehr Radikalen in den eigenen Linien. Konservative Positionen ohne rechtspopulistische Anklänge sind hingegen bei der CDU besser aufgehoben.

Es wird also deutlich, dass sich die bürgerlichen Akteure rechtspopulistischer Parteien in einer Zwickmühle befinden. Egal was sie tun, sie schwächen ihre eigene Position in einer Gesellschaft, die sich in großer Mehrheit abwendet von den Höckes und Gaulands. Irgendwann werden sich auch Wolf und Nockemann fragen müssen, was man eher wegwirft: Selbstachtung oder Parteibuch.

 

Überblick:
Drei rechtspopulistische Parteien in Deutschland

Die Republikaner 1983 gegründet, vereinzelte Wahlerfolge, vor allem in Bayern, seit 2001 nur noch in Kommunalparlamenten vertreten.
NPD Gegründet 1964 und zwischen 1966 und 1972 in sieben Landesparlamenten vertreten. Seitdem Verlust aller Mandate.
FAP Gegründet 1979 als militante Neonazi-Organisation und schon in den Anfangstagen zu radikal für Wahlerfolge. 1995 aufgelöst.

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