Frau Dr. Weisel, wie funktioniert die Immuntherapie in der Krebsbekämpfung?
„Immuntherapie“ ist ein Oberbegriff für viele innovative Krebstherapien, die gezielt das Immunsystem aktivieren. Das Besondere an Immuntherapien ist, dass sie oft nicht nur gegen eine Krebsart einsetzbar sind, sondern ein Ansatz Wirkung gegen mehrere Arten zeigen kann. Der große Durchbruch für Immuntherapien in der Behandlung von Tumorerkrankungen gelang schon vor etwa zehn Jahren mit den sogenannten „Checkpoint-Inhibitoren“. Das sind Eiweißstoffe, die menschlichen Abwehrstoffen nachempfunden sind. Sie aktivieren das Immunsystem des Patienten so, dass es die Tumorzelle erkennen und dann zerstören kann. Die Therapie reißt sozusagen der Tumorzelle die Maske herunter.
„Der Patient trägt quasi sein eigenes Immunmedikament im Körper mit sich.“
Wie haben sich die Immuntherapien seither weiterentwickelt?
In den vergangenen Jahren kamen weitere Prinzipien hinzu. Es gibt zum Beispiel komplexe Konstruktionen aus Abwehrstoffen gegen Tumorzellen, an die ein Medikament gekoppelt werden kann. Diese Komplexe können dann direkt an die erkrankte Zelle gelangen. Diese Methode nennt man „Antikörperkonjugate“.
Ein anderes Prinzip basiert darauf, dass ein Abwehrstoff sowohl die Immunzelle, als auch die Tumorzelle erkennt. Der Abwehrstoff bringt dann die Immunzelle direkt an die Tumorzelle heran. Man kann aber auch die Immunzellen des Patienten gewinnen und so verändern, dass sie die Tumorzellen erkennen. Werden diese angepassten Immunzellen dann dem Patienten zurückgegeben, trägt er quasi sein eigenes Immunmedikament im Körper mit sich. Solange das wirkt, benötigt er in der Regel keine weitere Therapie.
Eine weitere Entwicklung sind die mRNA Impfstoffe, die bereits ursprünglich für die Krebstherapie entwickelt wurden, aber dann glücklicherweise in der Pandemie auch als wirksame Impfung gegen SARS-CoV2 fortentwickelt und weltweit eingesetzt werden konnten.
Welche weiteren Vorteile hat die Immuntherapie neben der breiten Einsetzbarkeit?
Die klassischen Nebenwirkungen der Chemotherapie fehlen in der Regel: So kommt es meist nicht zu Haarausfall oder Übelkeit – Nebenwirkungen, die sehr belastend und auch stigmatisierend sein können.
Aber auch Immuntherapien können zu schweren und schwersten Nebenwirkungen führen, so zum Beispiel, wenn das eigene Immunsystem überschießend reagiert. Dies rasch zu erkennen und richtig zu behandeln, ist ebenfalls eine wesentliche Herausforderung.
Immuntherapie statt Chemotherapie?
Kann eine Immuntherapie eine Bestrahlung oder Chemotherapie ersetzen oder wird sie nur ergänzen können?
Das kommt auf die individuelle Situation an: Bei manchen Tumorarten, in manchen Indikationen und bei manchen Formen der Tumorerkrankungen, etwa mit spezifischen genetischen Veränderungen, kommt man bereits jetzt mit einer reinen Immuntherapie als Behandlung aus. Aber auch die Kombination mit einer Chemotherapie und einer Bestrahlung kann der Weg sein, der zu einem optimalen Ergebnis führt. Hierbei summieren sich nicht nur die einzelnen Methoden, sondern entfalten auch positive Wechselwirkungen. So kann eine begleitende Bestrahlung das Erkennen des Tumors durch die Immuntherapie noch verstärken.
Herr Dr. Alsdorf, ist die Immuntherapie bei jeder Krebsart einsetzbar?
Leider nicht. Mittlerweile gibt es viele verschiedene Möglichkeiten, das Immunsystem in der Tumortherapie zu nutzen oder zu unterstützen. Bei einigen Krebsarten zeigen die bislang verfügbaren Methoden wie zum Beispiel die Checkpoint-Inhibitoren eine sehr gute Wirkung. Bei anderen Tumorerkrankungen sind jedoch andere Ansätze notwendig. Mit weiterer Forschung ist davon auszugehen, dass man mit einer Immuntherapie in Zukunft noch deutlich mehr Tumorarten behandeln kann.
Welche Krebsarten sprechen gut und welche schlecht auf die Immuntherapie an?
Krebsarten, deren Erkennungsmoleküle sich nicht ändern und unverwechselbar sind oder die besonders viele genetische Veränderungen zeigen, sprechen in der Regel gut auf Immuntherapien an. Manchen Krebsarten fehlen allerdings diese Merkmale gänzlich. Zudem gibt es Krebsformen, die sehr oft dazu führen, dass die körpereigene Immunantwort sich stark abschwächt.
Für wen die Immuntherapie infrage kommt
Gibt es Patientengruppen, die für eine Immuntherapie ausscheiden?
Patientinnen und Patienten, bei denen Autoimmunerkrankungen vorliegen oder bei denen zuvor eine Organtransplantation durchgeführt wurde, können oft nicht mit Immuntherapien versorgt werden, aber sie sind auch nicht generell davon ausgeschlossen. Hier müssen sehr individuelle Entscheidungen vorgenommen werden.
Welche weiteren Möglichkeiten eröffnet die mRNA-Technologie?
Vor allem ermöglicht sie die schnelle, flexible und effektive Herstellung von Impfstoffen, die individuell auf Tumore abgestimmt werden können. Bei der Behandlung des schwarzen Hautkrebs konnte bereits in klinischen Studien gezeigt werden, dass ein solcher individualisierter Ansatz mit einem mRNA-Impfstoff wirksam ist.
Parallel dazu konnte in einer kleinen Patientengruppe auch bei Bauchspeicheldrüsenkrebs erstmals gezeigt werden, dass eine individuell abgestimmte mRNA-Impfung auch bei dieser Erkrankung Immunantworten und eine längere Tumorkontrolle ermöglichen kann. Außerdem sind mRNA-Therapeutika in der Krebstherapie gut verträglich und sicher. Grundsätzlich eröffnen sich zahlreiche Kombinationsmöglichkeiten mit anderen Immuntherapeutika, wodurch eine entscheidende Verbesserung der Therapie bei einigen Krebsarten möglich werden könnte.
Frau Weisel, eine Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs gibt es bereits seit Langem. Warum sind bislang keine Impfungen gegen andere Krebsarten auf dem Markt?
Die hocheffektive Vorbeugung von Gebärmutterhalskrebs durch die frühzeitige Impfung von Kindern und Jugendlichen gegen das HPV-Virus liegt daran, dass der Krebs direkt durch das Virus ausgelöst wird und dass es umgekehrt keinen Gebärmutterhalskrebs ohne eine Infektion mit dem HPV Virus gibt. Andere Krebsarten – und das gilt für die meisten – werden nicht direkt durch eine Virusinfektion ausgelöst. Ein anderes Beispiel für die Verhinderung eines Tumors durch eine Impfung ist die Impfung gegen Hepatitis B. Viele Fälle, wenn auch nicht alle, von Leberzellkrebs könnten verhindert werden, wenn es gelänge, das Virus durch konsequente Impfungen auszulöschen.
Ist die Impfung gegen Krebs greifbar?
Mit der mRNA-Methode steht die Impfung nun auch für Krebsarten zur Diskussion, die nicht durch ein Virus ausgelöst werden. Wie nah oder fern ist die Impfung gegen solche Krebsarten, etwa gegen Leukämie?
Da sind wir momentan noch recht weit weg, weil die Auslöser vieler Krebsarten nicht durch eine Impfung angegangen werden können. Aber je besser wir Auslöser und ausgelöste Veränderungen an der Zelle, die dann zur bösartigen Umwandlung führen, aufdecken und verstehen, umso näher kommen wir auch dazu, diese Mechanismen zielgenau angehen zu können. Das ist ein kontinuierlicher, aber auch langwieriger Prozess.
Auch der mRNA-Riese Biontech arbeitet an Krebs-Therapien. Die Firma konnte Ende vergangenen Jahres bereits Erfolge vorweisen. Man vermutet, dass mit dieser Methode bis zu 90 Prozent aller Lungenkrebsfälle vermieden werden könnte. Ist das ein realistisches Szenario?
Lungenkrebs ist eine der fünf häufigsten Krebserkrankungen. Meist wird die Erkrankung erst im metastasierten Stadium diagnostiziert, also dann, wenn in der Regel keine Heilung mehr erzielt werden kann. Auch wenn gerade beim Lungenkrebs in den vergangenen Jahren durch die genetische Aufschlüsselung jedes einzelnen Tumors ein beispielloser Fortschritt durch den Einsatz von zielgerichteten Therapien, auch Immuntherapien, erzielt wurde, bedeutet für viele Patienten die Diagnose leider immer noch, an der Erkrankung versterben zu müssen. Jeder signifikante Prozentsatz, mit dem sich die Erkrankung verhindern ließe, wäre ein ganz immenser Fortschritt. Wie hoch der Prozentsatz sein kann oder sein wird, ist derzeit aus unserer Sicht noch nicht sicher abzusehen.
Die aktuellen Studien
Wie gestalten sich Ihre aktuellen Studien?
Am UCCH (Universitäres Cancer Center Hamburg) führen wir vielfältige Immuntherapien in Studien durch, sowohl bei Blut- und Knochenmarkskrebserkrankungen als auch bei verschiedenen weiteren Tumorerkrankungen, darunter sehr seltener Tumoren, wie Keimzelltumoren oder Bindegewebstumoren. Manche Behandlungen in den Studien werden erstmalig beim Menschen eingesetzt. Darunter sind auch solche, bei denen international an vielen Zentren in großen Studien der letzte Schritt bis zur endgültigen Zulassung des Immuntherapeutikums durch die Arzneimittelbehörden gegangen wird. Jede einzelne dieser Studien ist von immanent wichtiger Bedeutung, damit mit größtmöglicher Sicherheit, aber auch Geschwindigkeit, die neuen Medikamente die Patientinnen und Patienten erreichen, die diese benötigen.
Die Immuntherapien sind ein wesentlicher Meilenstein auf diesem Weg. Das Ziel gilt es im Blick zu behalten, denn wir haben es noch lange nicht erreicht.
Wir danken Ihnen für das Gespräch.
Zu den Personen
Prof. Dr. med. Katja Weisel, ist stellvertretende Direktorin der II. Medizinischen Klinik und Poliklinik sowie stellvertretende Direktorin Universitäres Cancer Center Hamburg (UCCH)
Dr. med. Winfried Alsdorf, ist Oberarzt an der II. Medizinischen Klinik/Onkologische Studienzentrale Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf