30. August 2024
Allgemein

Lotsin im Einsatz

Wer geschädigt aus einem Einsatz wiederkehrt, erhält bei der Bundeswehr Hilfe. Erste Anlaufstelle bei der Führungsakademie in Nienstedten ist Hauptfeldwebel Jennifer M. Sie ist Lotsin und unterstützt Soldaten in Not.

Hauptfeldwebel Jennifer M. betreut als Lotsin einsatzgeschädigte Soldaten am Standort der Führungsakademie der Bundeswehr. // Foto: Bundeswehr/Christian Gelhausen

Hauptfeldwebel Jennifer M. betreut als Lotsin einsatzgeschädigte Soldaten am Standort der Führungsakademie der Bundeswehr. // Foto: Bundeswehr/Christian Gelhausen

Bericht: Anna-Lena Walter – Soldaten, die in den Einsatz gehen, sind auf das Schlimmste vorbereitet. Sie haben für den Ernstfall lange trainiert, kennen Überlebensstrategien. Doch wenn es dann zum Ernstfall kommt, reagiert jeder Mensch anders. Einige kommen versehrt in die Heimat zurück, andere lassen die traumatischen Erlebnisse nicht mehr los. Das, was dann kommt, wird Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) genannt. Die Bundeswehr hat für betroffene Kameraden deshalb das „Netzwerk der Hilfe“ gegründet. Ein Teil davon ist Hauptfeldwebel Jennifer M., sie ist seit zwei Jahren Lotsin im Standortbereich der Führungsakademie der Bundeswehr in Nienstedten.

Hauptfeldwebel Jennifer M.: „Oft kommen Traumata erst Jahre später zum Vorschein. Wir lassen niemanden zurück.“
Hauptfeldwebel Jennifer M.: „Oft kommen Traumata erst Jahre später zum Vorschein. Wir lassen niemanden zurück.“

Sie hat ein offenes Ohr für einsatzgeschädigte Soldaten und ist Anlaufstelle, wenn Betroffene Hilfe brauchen. „Ich vermittle Kameraden die Unterstützung, die sie benötigen. Sei es ein psychologisches Gespräch, ein Arzttermin oder eine Berufsberatung, weil die Person ihren Posten nicht mehr so ausfüllen kann, wie er oder sie das vielleicht möchte“, erklärt Jennifer M.

Hier darf man einfach nur Mensch sein.

Das Büro der Lotsin ist bewusst schlicht eingerichtet. Lediglich ein humorvolles Hundeposter ziert die Wand. Durch das Zimmerfenster sind grüne Baumkronen zu sehen. Ein Sofa, ein Couchtisch, ein Schälchen mit Süßigkeiten darin durchbrechen das Bild der starren Bundeswehrstruktur. Hier darf man einfach nur Mensch sein. Der Raum strahlt genauso viel Ruhe aus, wie die Lotsin selbst. „Ich wurde bewusst für diese Stelle ausgewählt. Ich kann gut zuhören, reagiere intuitiv richtig auf überraschende Situationen, beispielsweise, wenn ein Kamerad eine Panikattacke hat. Mir ist ein sensibler Umgang mit Menschen, Situationen und Informationen wichtig.“

„Man kommt nach Hause und bemerkt oft gar nicht, dass etwas nicht stimmt.“

Jennifer M. durchlief ein Ausbildungsprogramm für Lotsen in ganz Deutschland und bildet sich stets weiter. „Es ist wichtig zu verstehen, wie sich ein Mensch mit PTBS fühlt, aber ich kann keinen Psychologen ersetzen, deswegen zeige ich Wege auf, welche Stellen optimale Unterstützung bieten können.“
Frau Hauptfeldwebel war in zwei Auslandseinsätzen in Afrika und kennt die Belastung, die solch ein Einsatz mit sich bringt. „Man kommt nach Hause und bemerkt oft gar nicht, dass etwas nicht stimmt. Oft richten sich deshalb auch Angehörige an mich und bitten um Hilfe.“

Zunächst führt Jennifer M. ein erstes Gespräch mit der betroffenen Person – oft auch außerhalb der Kaserne. „Manche können die Uniform nicht mehr anziehen, weil sie ein Trigger ist. Häufig treffe ich mich dann fernab der Kaserne, zum Beispiel zu einem Spaziergang, oder ich besuche den Kameraden zu Hause.“

Hauptfeldwebel Jennifer M.: „Ich vermittle Hilfe, damit Betroffene wieder Frieden finden.

Die Lotsin hat viele Freiheiten, um ihren Beruf ausüben zu können. „Man bringt mir hier viel Vertrauen entgegen.“ Zutrauen brauchen auch die Versehrten. Sie müssen sich öffnen und berichten, was sie belastet. Ihr Alltag ist überschattet von den Erlebnissen in der Fremde, einige kämpfen sogar mit Suizidgedanken. „Ich weiß, sich öffnen ist nicht einfach, aber reden ist so wichtig.“ Durch ein weites Netzwerk weiß die Lotsin schnell Rat und vermittelt erste Gespäche mit Militärseelsorgern, Truppenpsychologen, Truppenärzten, dem Sozialdienst oder anderen Anlaufstellen der Bundeswehr. „Wir sind wirklich bestens aufgestellt. Ich bin im regelmäßigen Austausch mit den Ansprechpartnern und lerne viel von ihnen.“

Da Jennifer M. nicht der Schweigepflicht unterliegt, kann sie auch das Gespräch mit den Vorgesetzten der Kameraden suchen. „Hier bin ich häufig einfach Mittlerin und unterstütze beide Seiten dabei, den richtigen Weg zu finden.“
Der Lotsin ist wichtig, dass sich ihr Angebot auch an ehemalige Soldaten richtet. „Oft kommen Traumata erst Jahre später zum Vorschein. Wir lassen niemanden zurück.“

Zur Person

Hauptfeldwebel Jennifer M. ist gelernte Industriekauffrau. Seit 2012 ist sie bei der Bundeswehr. Ausbildung im Bereich militärische Sicherheit im Taktischen Luftwaffengeschwader 73. Von 2014 bis 2022 war sie im Bereich militärische Sicherheit tätig. Einsätze: 2017 bis 2018 in Mali und von 2021 bis 2022 in Niger. Seit Oktober 2022 Lotsin für einsatzgeschädigte Soldaten bei der Bundeswehr. Zum Abschalten geht sie gern mit ihren Hunden spazieren.

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