Frau Storm, Sie sind jetzt seit gut einem Monat Landesvorsitzende. War das ein aufregender Monat für Sie?
Auf jeden Fall. Es war aber schon im Vorfeld sehr spannend, denn für mich war es ein großer Sprung – auch wenn ich bereits die letzten zwei Jahre im Landesvorstand der Partei war. Ich habe vorher sehr gerne am DESY gearbeitet. Diese Stelle ruht nun. Die Entscheidung, mich stattdessen ganz auf meine politische Karriere zu konzentrieren, war daher schon nicht einfach. Ich freue mich aber sehr auf die neue Aufgabe. Es ist eine tolle Herausforderung.
Was haben Sie sich als Landesvorsitzende vorgenommen?
Zum einen wollen wir noch besser in die Stadt wirken, zum Beispiel, indem wir unsere Mitglieder zu Botschafterinnen und Botschaftern für grüne Themen weiterbilden. So wollen wir wieder mehr Menschen von grünen Inhalten überzeugen. Mit unserem stark gewachsenen Landesverband haben wir hier eine große Chance. Zum anderen haben wir uns nach den Wahlen personell und thematisch neu aufgestellt. Der Klimaschutz bleibt das zentrale Zukunftsthema. Darüber hinaus geht es darum, mehr soziale Gerechtigkeit im Blick zu behalten – Stichwort bezahlbares Wohnen.
Was wird sich mit der neuen Regierung in Hamburg ändern?
Auch durch Katharina Fegebanks Wechsel in die Umweltbehörde (BUKEA) werden wir unser grünes Kernthema, den Umwelt- und Klimaschutz, weiter vorantreiben. Da wir in den vergangenen zehn Jahren sehr erfolgreich regiert haben, bedeutet ein stabiles„weiter so“ für uns gar nichts negatives. Das gilt etwa für Maryam Blumenthal, mit der wir eine ausgezeichnete neue Senatorin in der Behörde für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung haben. Und auch Anjes Tjarks, der ein besonders dickes Brett zu bohren hat, wird die Mobilitätswende weiter vorantreiben.
„Wir sollten wieder mehr auf die Alltagssorgen der Menschen eingehen.“
Das Grünen-Bashing hat auch in Hamburg zugenommen, und mit Blick auf den Bundestrend hatten manche erwartet, dass die Grünen auch in Hamburg an Einfluss verlieren. Danach sieht es aber nicht aus, oder?
Alle etablierten Parteien leiden darunter, dass die Rechten sehr stark geworden sind. Auch die SPD hat, wie wir, bei der Bürgerschaftswahl sechs Prozent verloren. Dass sich dann im Verhältnis nichts ändert, ist nur logisch. Jetzt hoffe ich, dass sich das politische Klima etwas entspannt. Sicher sollten wir aber wieder mehr auf die Alltagssorgen der Menschen eingehen, zum Beispiel Bezahlbarkeit noch mehr in den Mittelpunkt stellen und weiterhin klare Kante gegen Demokratiefeinde und Rechtsextremisten zeigen.
Sie setzen sich seit Jahren für eine nachhaltige Wissenschaftsstadt Hamburg ein. Was bedeutet in diesem Zusammenhang für Sie „Nachhaltigkeit“?
Zum einen geht es darum, wie wir in der Wissenschaft wirtschaften. Das beginnt bei der Art, wie wir Dienstreisen durchführen. Es geht weiter mit der Begrünung von Hochschuldächern, Solarflächen und der Müllvermeidung in Laboren. Sehr wichtig ist hier außerdem der Hochschulbau, den wir in Hamburg stark vorantreiben. Wir wollen nachhaltig bauen, mit hohen Standards, aber ohne extreme Kostensteigerungen. Hier braucht es eine gute Balance. Das ist die „technische Seite“. Auf der Bildungsseite geht es darum, noch besser zu erforschen und zu vermitteln, was Nachhaltigkeit ist. Die Universität Hamburg ist hier bereits sehr erfolgreich – sie gilt im Rahmen des Exzellenzprogramms als Nachhaltigkeitsuniversität. Darüber hinaus brauchen wir weiterhin starke Forschung in Zukunftstechnologien: Wasserstoff, nachhaltige Energiespeicher, Medizintechnik.

Wie sich das DESY positiv auf die Wirtschaft auswirken kann
Als Forscherin des DESY haben Sie den Insiderblick. Was kann Hamburg bei der Förderung wissenschaftlicher Einrichtungen noch besser machen?
Man muss sagen: Katharina Fegebank und ihre Staatsrätin in der Wissenschaftsbehörde, Eva Gümbel, haben bereits großartige Arbeit geleistet. Zum Beispiel haben sie an der Uni Hamburg die Tarifsteigerungen ausgeglichen. Verbessern können wir noch die Beschäftigungsbedingungen: Es gibt den Code of Conduct, um prekäre Beschäftigung zu reduzieren. Diskutiert wird gerade, ob wir – ähnlich wie in Bremen – neue Stellenkategorien wie „Senior Lecturer“ oder „Senior Researcher“ einführen, um leichter dauerhafte wissenschaftliche Karrieren außerhalb der Professur zu ermöglichen, was ich unterstütze.
Ihre Partei stellte im Wahlkampf klar, dass die Wissenschaft vor Ort auch ein stärkerer Wirtschaftsfaktor werden soll, auch um neben dem Hafen breiter aufgestellt zu sein. Wie soll das gelingen?
Wir sind da auf einem guten Weg. Ein Beispiel für Innovations- und Kooperationsfreude ist der Innovationspark Altona mit dem Tech-Hub und dem entstehenden Innovations- und Gründungszentrum. Dort sollen zum Beispiel Start-ups Labore nutzen können. Aber der Transfer muss schneller gelingen – wissenschaftliche Erkenntnisse müssen also noch zügiger in die praktische Umsetzung kommen. Dafür haben wir in Hamburg gerade einen großen Erfolg mit den „Impossible Founders“ gefeiert. Das ist ein Zusammenschluss von Hochschulen, DESY, Wirtschaft und Stiftungen. Sie haben 40 Millionen Euro gesammelt, plus 10 Millionen vom Bund – um Ideen aus dem Labor in die Anwendungen zu bringen. Dass sich nun im Zusammenhang Unternehmen ansiedeln, ist in der aktuellen Wirtschaftslage nicht ganz einfach, aber wenn wir etwas Geduld haben, denke ich schon, dass sich der Erfolg bald einstellt.
Haben Sie noch ein konkretes Beispiel für den Transfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft?
Das beste Beispiel wird hier in Zukunft PETRA IV sein, eine Röntgenlichtquelle am DESY, die die beste ihrer Art weltweit sein wird. Hier bieten sich Anwendungen für viele Bereiche, zum Beispiel in der Entwicklung neuer Computerchips. Das zweite ist die Science City Bahrenfeld. Dort verbinden sich Leben und Wohnen, Wissenschaft und Wirtschaft. Das gibt es so nirgendwo anders in Europa – auch weil es mitten in der Stadt liegt und sich positiv auswirken wird, etwa auf den Nahverkehr, der entsprechend ausgebaut werden muss.
„Anerkennungsverfahren müssen schneller werden.“
Wir sprachen über die Rahmenbedingungen, kommen wir zu den Menschen, die in diesem Rahmen arbeiten. Was möchten die GRÜNENin Hamburg gegen den Fachkräftemangel tun?
Wir kommen hier ohne Zuwanderung nicht aus. Das vorangestellt, ist Integration durch Arbeit das Stichwort. In unserem Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass wir noch mehr in Sprachkurse investieren und Bleibeperspektiven weiter stärken, wie mit dem 3+2-Programm, das für drei Jahre Ausbildung plus zwei Jahre Arbeit steht. Hieraus ergeben sich dann neue Perspektiven für das Bleiberecht. Außerdem müssen wir mit den Qualifikationen der Menschen, die bereits hier sind, besser umgehen. Die Anerkennungsverfahren müssen schneller werden – Hamburg plant acht Wochen, aber das ist noch ein Weg dorthin. Die Stadt Hamburg arbeitet hier mit Nachdruck daran, die Digitalisierung und den Bürokratieabbau voranzutreiben, um das Ziel schnell zu erreichen.
Wie steht es um das Thema Ausbildungsplätze?
Dem geht einiges voraus, was Ausbildungsberufe attraktiver machen kann. Ein großes Thema ist bezahlbarer Wohnraum: Von einem Azubi-Gehalt findet man in Hamburg kaum ein Zimmer. Unser Ziel: 3.000 Azubi-Wohnheimplätze bis 2030. Zudem wollen wir zeigen: Nach der Ausbildung ist nicht Schluss – Weiterbildung bis zum Bachelor, auch ohne Abitur, das wollen wir stärken. Trotzdem: Wir brauchen auch Fachkräfte aus dem Ausland.
Wie wollen die GRÜNEN Wohlstand, Industrie und Nachhaltigkeit zusammenbringen?
Wir müssen investieren, um nicht den Anschluss zu verlieren – zum Beispiel in die erneuerbaren Energien. Stichwort grüner Wasserstoff: Hamburg hat einen Wasserstoff-Hub mit viel Potenzial, aber Investoren ziehen sich zurück, weil auf Bundesebene leider wieder mehr auf fossiles Gas gesetzt wird. Das ist teuer, macht uns abhängig und ist nicht innovativ. Wir brauchen Ausbau der erneuerbaren Energien, Speichertechnologien und Unabhängigkeit von Importen.
Zur Person
Dr. Selina Storm ist seit dem 12. Juli 2025 Landesvorsitzende der GRÜNEN Hamburg. Sie lebt mit ihrer Familie in Lurup.
Storm studierte Physik in Kiel. Nach ihrer Promotion lebte sie mit ihrer Familie in der Nähe von Oxford und arbeitete dort als Wissenschaftlerin. Aktuell ist sie wissenschaftliche Projektmanagerin beim Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) – diese Stelle ruht.