Herr Lieben-Seutter, wie stark trifft die Kulturkrise Elbphilharmonie und Laeiszhalle?
Die Lage beschäftigt alle Veranstalter, insbesondere die sogenannte Hochkultur, deren Publikum eher älter ist. Nicht alle sind bislang nach den Corona-Lockdowns zurückgekommen, dazu kommen Kriegsangst und Inflationsdruck. Die Elbphilharmonie ist davon deutlich weniger betroffen, wohl weil sie noch immer eine besondere Attraktivität ausstrahlt und das Publikum durchschnittlich jünger ist.
Welche Rolle spielt die Preisfrage?
Die Menschen schauen genauer aufs Geld. Wir merken, dass sich diejenigen Termine schneller verkaufen, die etwas günstiger sind. Und die Besucher greifen eher zu den Tickets in den niedrigeren Preiskategorien, es sei denn, es handelt sich um Konzerte von absoluten Stars. Die sind ungebrochen stark nachgefragt.
Sind die Ticketpreise in der Laeiszhalle und der Elbphilharmonie bislang stabil geblieben?
Bis jetzt ja. Die Konzerte, die jetzt im Angebot sind, wurden vor einem Jahr geplant und gingen vor einem halben Jahr in den Verkauf. Alle Veranstalter sehen sich jetzt mit wachsenden Kosten konfrontiert: Die Personalkosten steigen und besonders die Energiekosten werden sehr viel höher. Allerdings gibt es auch staatliche Entlastungen. Es ist noch nicht ganz klar, inwieweit sie sich in den Mietpreisen der Konzertsäle niederschlagen werden.
Sie haben die Energiekosten erwähnt. Die Kulturbehörde geht davon aus, dass sich diese für die Elbphilharmonie und die Laeiszhalle auf mindestens zwei Millionen Euro verteuern.
Ja, auch wir gehen davon aus. Der Großteil der Kosten entfällt auf die Elbphilharmonie.
Gibt es schon einen Plan, wie diese Kosten abgefangen werden können?
Das ist im Grunde dieselbe Diskussion wie bei der Industrie und den Privathaushalten. Im politischen Raum werden ja aktuell Instrumente wie die Gas- und Strompreisbremse diskutiert. Es ist zu erwarten, dass diese Bremse auch die Theater und Konzerthäuser entlasten wird, sodass die Energiepreissteigerung nicht voll durchschlägt.
Was wird unternommen, um Energie zu sparen?
Wir haben bereits im Juli diverse Änderungen an unserem Energiekonzept vorgenommen und damit deutliche Einsparungen erreicht. Etwa bei der Foyerbeleuchtung und vor allem bei der Gebäudekühlung, die aufgrund der großen Glasfassade essenziell ist. Ich bekomme aktuell Anfragen, warum wir in Zeiten wie diesen den Saal so stark heizen, dabei kühlen wir nur weniger als früher. Unser Ziel ist es, den jährlichen Energiebedarf um 20 Prozent zu reduzieren.
Neben den Energiekosten sind auch die Personalkosten gestiegen, zuletzt durch den erhöhten Mindestlohn. Betrifft das auch die Laeiszhalle und die Elbphilharmonie?
Das betrifft uns vor allem in den Vorderhäusern und der Gastronomie. Grundsätzlich begrüße ich diese Entwicklung. Es ist ja vernünftig, dass alle auskömmliche Einkünfte haben. Die Kostensteigerung haben wir seit einiger Zeit im Blick und schauen, wie damit umzugehen ist. Dabei geht es um einen „Mehrklang“ aus Einsparungen, neuen Einnahmemöglichkeiten, Erhöhung der Saalmieten und öffentliche Förderungen.
Haben Sie, wie viele andere Branchen, Probleme, Personal zu finden oder fällt es Ihnen leichter?
Nein, das gilt auch für uns. Nicht nur im Vorderhaus, sondern zum Beispiel auch in der Veranstaltungstechnik. Wir haben zwar ein großes und sehr gutes hauseigenes Technik-Team, aber die Belastungsspitzen wurden immer durch freie Dienstleister aufgefangen. In dieser Branche hat Corona die Leute vertrieben, man tut sich viel schwerer bei der Personalfindung. Das sieht man vor allem im Popbereich. Hier wurden schon ganze Tourneen abgesagt, weil nicht genügend technisches Personal zur Verfügung stand.
Wir haben über die „kurzfristige“ Krise gesprochen. Aber es gibt auch noch die „alte“ Corona-Krise. Haben Sie Angst vor leeren Sitzen?
Nein, ich kann mir gut vorstellen, dass es wieder zur Masken- oder Testpflicht kommt und dass bei einer neuerlichen Pandemiewelle im Winter ein Teil des Publikums wegbleibt. Aber nach der Erfahrung des letzten Frühjahrs kommt das Elbphilharmonie-Publikum gerne wieder zurück.
Im Sommer hieß es, dass ein neues Publikum den Weg in die Elbphilharmonie findet. Ist das eine Chance für die Konzertszene?
Der Ticketvorverkauf ist teilweise kurzfristiger geworden, sodass Konzerte später und manche auch gar nicht mehr ausverkauft sind. So kommen jetzt Menschen an Tickets heran, die früher leer ausgegangen sind, weil sie sich nicht viele Monate im Voraus um den Kauf von Konzertkarten kümmern konnten. Das ist eigentlich eine positive Entwicklung. Und junge Menschen unter 30 haben jetzt vermehrt die Chance, mit dem RedTicket für zehn Euro auf einem guten Platz zu sitzen. Das ist auch toll für die Stimmung im Saal und gut für den Publikumsnachwuchs.
Sehen Sie Wege, diese positive Entwicklung aufrecht zu erhalten?
Durchaus, ein Konzertbesuch muss ein denkwürdiges Ereignis sein, dann kommen die Leute gerne wieder. Nicht jeder Tag kann eine Sternstunde sein, aber mein Team und ich kämpfen täglich dafür. Die Lockdowns haben gezeigt, wie wichtig und bereichernd der Konzertbesuch als soziales Erlebnis ist, gleichzeitig merken wir angesichts der betrüblichen Weltlage, wie wichtig Kunst und Musik als Seelennahrung oder auch nur zur Ablenkung und zum Auftanken sind.
Von der Staatsoper hieß es vor Kurzem, man müsse sich jetzt nicht nur überlegen, was man ändern will, sondern auch, was man bewahren will. Wie sehen Sie das?
Bewahren wollen wir ein reichhaltiges kulturelles Leben. Die große Frage ist, ob diese Vielfalt erhalten bleiben kann. Wichtig ist beides: Dass wir die großen Meisterwerke der Kunst, die zum Teil schon Jahrhunderte alt sind, erhalten und sie weiterhin neuen Generationen in bestmöglicher Qualität präsentieren. Und dass wir neue und aufregende Kunst entstehen lassen können. Man muss sich als Institution konstant weiterentwickeln, am Ball bleiben und sich fragen, wie das Publikum angesprochen werden will.
Sie tun das unter anderem mit Konzerten für Babys, die Instrumentenwelt für Schulen und Workshops. Was gehört noch zum Am-Ball-bleiben?
Ein Beispiel ist Diversität: Das Publikum und auch das Geschehen auf der Bühne ist noch immer viel zu sehr von europäischen, weißen, mittelständischen Menschen geprägt. Die Vielfalt der Welt wird noch ungenügend abgedeckt. Doch auch da tut sich viel. Es kommen immer mehr Künstler und Projekte aus der ganzen Welt sowie Menschen unterschiedlichster ethnischer Backgrounds. Das ist eine Entwicklung, für die wir als Kulturinstitution natürlich besonders offen sind.
Kommen wir nochmal zur Laeiszhalle. Diese scheint nicht den Sensationsbonus der Elbphilharmonie zu haben. Wie geht es der Laeiszhalle?
Sie leidet sicher etwas mehr unter der Zurückhaltung des Publikums. Was das Gebäude angeht: Es ist gerade in einem Renovierungsprozess, der ein paar Jahre dauert und den Spielbetrieb möglichst wenig beeinträchtigen soll. Das betrifft vor allem die technische Infrastruktur wie die Erneuerung der Klimaanlage im Großen und Kleinen Saal. In zwei, drei Jahren wird diese Renovierung abgeschlossen sein und dann kann die Laeiszhalle auch technisch wieder mithalten.
Bringt die Strahlkraft der Elphie auch Probleme mit sich?
Es gibt viele Künstlerinnen und Künstler sowie die großen Orchester, die nur in der Elbphilharmonie auftreten wollen. Wir machen viel Werbung für die Laeiszhalle und sagen immer wieder, wie wunderbar sie ist. Zum Teil mit Erfolg: Wir hatten neulich etwa ein Konzert von Teodor Currentzis und seinem neuen Orchesterprojekt in der Laeiszhalle. Das war ganz großes Kino.
Die Krise scheint Sie nicht besonders zu treffen.
Es gibt eine Krise der Kultur, die viele Gründe hat. Das Publikum ist zurückhaltender, Gott sei Dank nicht in der Elbphilharmonie, aber in der Laeiszhalle und auch in anderen Institutionen. Es gibt aber auch den Effekt, dass nach der Pandemie viele Konzerte und Produktionen nachgeholt wurden. Das Angebot war in den letzten Monaten wirklich extrem hoch. Dass der ein oder andere Popstar jetzt vor nicht ausverkauftem Saal spielt, hat auch mit dieser großen Konkurrenz zu tun.
Auch das hört sich herausfordernd an.
Durchaus, und es wird im kommenden Jahr nicht leichter. Eine Rezession ist wohl unvermeidlich, dazu laufen zum Jahresende Veranstalterförderungen aus. Der Kostendruck, insbesondere bei Hotel und Reisen, die auch viel unzuverlässiger geworden sind, Absagen wegen Corona, der Ukrainekrieg … Das Konzertangebot wird vermutlich erstmal etwas kleiner werden. Aber ich mache mir dennoch um die Kultur als solche und die Klassik keine Sorgen, gerade weil man in Zeiten wie diesen auch merkt, was man an der Kultur hat und was für eine Bereicherung, Erholung und ein Erlebnis ein Konzert sein kann.
Herr Lieben-Seutter, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Zur Person:
Christoph Lieben-Seutter
wurde 1964 in Wien geboren. Seit dem 1. September 2007 ist er Generalintendant der Laeiszhalle und der Elbphilharmonie. Nahezu zehn Jahre nach seinem Amtsantritt in Hamburg konnte Lieben-Seutter 2017 die Eröffnung der Elbphilharmonie feiern, die ursprünglich für 2010 vorgesehen war. Der Prestigebau habe Hamburg in eine neue Liga gehoben, sagt Christoph Lieben-Seutter. Die Besucherzahlen klassischer Konzerte habe sich in Hamburg verdreifacht.