Herr Streiber, es ist nun rund einen Monat her (Stand 14.1.), dass in Hamburg ein Terroranschlag vereitelt wurde. Können Sie uns nähere Informationen dazu geben, wie es dem LKA und den Hamburger Sicherheitsbehörden gelungen ist, den Anschlag zu verhindern?
Alles begann damit, dass der damals noch unbekannte Täter im Darknet an einen verdeckten Ermittler der amerikanischen Homeland Security geraten war. Als deutlich wurde, dass der Mann aus Deutschland kam, informierten die amerikanischen Behörden das Bundeskriminalamt (BKA). Da der mutmaßliche Täter aus Hamburg stammt, führte das LKA Hamburg die Ermittlungen in enger Zusammenarbeit mit dem BKA sowie der Generalstaatsanwaltschaft fort. Im Zuge einer fingierten Übergabe konnte der Tatverdächtige festgenommen werden und es erging ein Haftbefehl wegen des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Waffengesetz. Weitere intensive Ermittlungen führten zu einer Wohnung, in der sich der Tatverdächtige zeitweise aufgehalten hatte. Bei der Durchsuchung konnten Chemikalien sichergestellt werden, die für die Herstellung eines Sprengsatzes geeignet sind. Es ist ein gutes Beispiel dafür, dass das mittlerweile etablierte Sicherheitsnetzwerk sehr gut funktioniert.
Terroranschlag verhindert
Gibt es bereits neue Erkenntnisse, die Sie uns zum Fall mitteilen dürfen?
Der Verdächtige sitzt weiterhin in Haft. Im Rahmen der noch laufenden Ermittlungsmaßnahmen wird unter anderem das umfangreich sichergestellte Datenmaterial ausgewertet. Es gilt weiterhin zu klären, welches Motiv ihn antrieb und was er konkret beabsichtigte. Ich bitte aber um Verständnis, dass ich vor dem Hintergrund der noch andauernden Ermittlungen aktuell keine Neuigkeiten präsentieren kann.
Der Verdächtige soll aus dem Umfeld der Harburger Terrorzelle stammen, die am 11. September 2001 beim Anschlag auf das World Trade Center beteiligt war. Ist das korrekt? In der Tat ist es so, dass der Vater des 20-jährigen Verdächtigen ein Mitverantwortlicher der später verbotenen Al-Quds-Moschee in Hamburg-Harburg gewesen ist. In dieser haben sich vor den Anschlägen am 11. September 2001 die Angehörigen der Hamburger Terrorzelle um Mohammed Atta getroffen. Inwieweit heutige Kontakte zu Personen aus dem damaligen Umfeld bestehen, ist Gegenstand der laufenden Ermittlungen.
Den Hamburger Sicherheitsbehörden wurden 2001 große Vorwürfe gemacht. Wäre das jetzt auch angebracht – da aus dieser Richtung erneut Terror drohte?
Das Gegenteil ist der Fall. Es ist für mich ein gelungenes Beispiel dafür, wie Terrorplanungen durch den mittlerweile hervorragenden nationalen und internationalen Informationsaustausch frühzeitig erkannt und Anschläge durch gemeinsames Zusammenwirken verhindert werden können. Dabei müssen wir uns allerdings vor Augen halten, dass nach wie vor eine abstrakt hohe Terrorgefahr auch für die Bundesrepublik Deutschland besteht. Diese Bedrohung ist zuletzt vielleicht etwas aus dem Fokus der Gesellschaft geraten. Den Hamburgerinnen und Hamburgern kann ich versichern: Ihre Polizei ist wachsam!
Zur Person:
Mirko Streiber ist seit dem 19. November 2019 Chef des Landeskriminalamts (LKA) in Hamburg. Zuvor war Streiber bereits Vizechef der Sicherheitsbehörde. Im Jahr 2016 leitete er die „Soko Rocker“, die wegen Schüssen auf dem Kiez ermittelte. Er gilt bundesweit als einer der profiliertesten Experten für Polizeiarbeit.
Wo stehen wir heute, im Vergleich zu damals, auch in Hinblick auf die Ermittlungsmöglichkeiten?
Wir haben uns im Nachgang der Terroranschläge aus 2001 sehr intensiv und selbstkritisch mit den damaligen Ursachen und Zusammenhängen beschäftigt und dabei feststellen müssen, dass dieser Phänomenbereich für die Sicherheitsbehörden bis dato in großen Teilen neu und unbekannt gewesen war. Die Informationslage war mangelhaft und der Informationsaustausch mit anderen Institutionen sehr gering. Die technischen Ermittlungsmöglichkeiten für die Verhinderung derartiger Straftaten standen teilweise nicht zur Verfügung, die personelle Besetzung des Staatsschutzes für diesen Phänomenbereich war nicht ausreichend und die in Hamburg relevante Szene wurde durch die Sicherheitsbehörden kaum beobachtet.
Ermittlungsarbeit beim LKA
Es gab also viel zu tun. Wie ging es weiter?
Als Folge wurden die personellen Ressourcen in Bund und Land erheblich aufgestockt, die Ermittlungsmöglichkeiten weiterentwickelt und dem aktuellen Stand der Technik angepasst. Beispielsweise verlagern sich die Konversation und Treffen vermehrt in den virtuellen Raum beziehungsweise in die sozialen Medien. Die Sicherheitsbehörden haben dies frühzeitig erkannt und sich entsprechend technisch aufgestellt. Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Sicherheitsbehörden wurde deutlich intensiviert, etwa durch die Einrichtung von gemeinsamen Zentren, in denen Informationen ausgetauscht und abgeglichen werden können. Es wurden strafrechtliche Änderungen vorgenommen und neue Gesetze zur Bekämpfung des Terrorismus erlassen. Durch die Einführung eines Gefährdermanagements werden nunmehr Personen mit Gefahrenpotenzial intensiver in den Fokus der Sicherheitsbehörden genommen.
Im Dezember war den Medien noch nicht bekannt, ob der Generalbundesanwalt den aktuellen Fall an sich ziehen würde. Ist dies nun geschehen?
Ja, der Generalbundesanwalt hat das Verfahren am 13. Dezember 2021 an sich gezogen und das LKA Hamburg mit der Durchführung der weiteren Ermittlungen betraut.
Inwiefern verändert das die Ermittlungsarbeit?
Die Ermittlungsarbeit ändert sich inhaltlich nicht, dennoch bringt diese Übernahme gewisse organisatorische Änderungen mit sich. So ist beispielsweise der Bundesgerichtshof (BGH) das zuständige Ermittlungsgericht in diesem Verfahren. Jegliche gerichtliche Beschlüsse in diesem Verfahren müssen folglich nun dort beantragt werden.
Islamismus in Hamburg
Der Fall wurde eindeutig dem islamistischen Spektrum zugeordnet. Wie schätzen Sie die islamistische Gefahr für Hamburg ein?
Gemäß Hamburger Verfassungsschutzbericht aus dem Jahr 2020 ist das Personenpotenzial im Bereich Islamismus nach wie vor auf einem hohen Niveau. Das Gesamtpotenzial betrug in Hamburg Ende 2020 1.660 Personen, davon gelten 1.350 Personen als gewaltorientierte Islamisten.
Und mit Bezug auf tatsächliche Gefährder?
Wir haben in Hamburg derzeit 22 Gefährder, von denen sich eine Vielzahl allerdings im Ausland aufhält oder sich in Haft befindet. Daneben sind vier als relevante Personen eingestuft.
Die AfD gibt an, dass die extremistische Gefahr durch Islamisten die schwerwiegendste in Hamburg sei. Die Statistiken zeigen aber, dass es weit mehr linke und rechte Gewalt in Hamburg gibt. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Die meisten Straf- und auch Gewalttaten sind in Hamburg weiterhin auf die Phänomenbereiche der politisch motivierten Kriminalität-Links und -Rechts zurückzuführen. Das aktuelle Ermittlungsverfahren zeigt die anhaltend hohe Gefahr jihadistisch motivierter Gewalttaten auch in Hamburg. Es kann sich jederzeit auch in Form von Anschlägen konkretisieren. Abseits solch konkreter Gefahrenlagen gelten jedoch auch islamistische Bestrebungen in Hamburg, insbesondere die der Hizb ut-Tahrir (HuT) und ihr ideologisch nahestehender Gruppierungen und Netzwerke, als problematisch, da über die Besetzung gesellschaftlich relevanter Themen versucht wird, Diskurse zu beeinflussen und letztendlich neue Anhänger zu gewinnen.
Politisch motivierte Gewalt
Aber daraus darf man keineswegs ableiten, sich nur auf diese extremistische Bedrohungslage zu fokussieren. Beispielweise hat der Mordanschlag an dem Politiker Walter Lübcke durch einen Rechtsextremisten gezeigt, dass auch aus diesem extremistischen Bereich schwerste Gewalttaten zu befürchten sind. Und zu Zeiten der RAF war die Gefahr aus dem linksextremistischen Raum am größten. Insofern gilt es, auf keinem Auge blind zu sein und die extremistischen Bewegungen genau zu beobachten.
Nun ist jede Darstellung Ihrer Mittel zugleich auch eine mögliche Gebrauchsanweisung, wie man Ihren Ermittlungen entgehen kann. Können Sie uns trotzdem einen Einblick in Ihr Vorgehen geben?
Die Bandbreite der Ermittlungsmethoden, ob offen oder verdeckt, ist sehr komplex. Klar ist: Die Herausforderungen an die Ermittler und die technischen Anforderungen sind durch die Verlagerung der Aktivitäten in den virtuellen Raum enorm gestiegen. In der Tat kann ich aus taktischen Gründen keine Informationen über unser Vorgehen preisgeben. Hier bitte ich um Verständnis. Herr Streiber, wir danken für das Gespräch.