27. Juli 2022
Interviews

Long-Covid und die Folgen für unsere Psyche

Dr. Goetz Broszeit ist Chefarzt im Bereich der psychosomatischen Medizin. Er therapiert Menschen im Zusammenhang mit Long-Covid. Im Interview erklärt er, worauf es bei der Therapie ankommt und welche Dinge noch zu erforschen sind.

Dr. Goetz Brosziet ist Chefarzt einer psychosomatischen Abteilung. Er erklärt im Interview den Zusammenhang von Psyche und Long-Covid.

Dr. Goetz Brosziet ist Chefarzt einer psychosomatischen Abteilung. Er erklärt im Interview den Zusammenhang von Psyche und Long-Covid. // Foto: Asklepios

Herr Dr. Broszeit, welchen Effekt hat Long-Covid auf Ihre Patientinnen und Patienten?

Man teilt es ein bisschen in zwei Bereiche. Der erste ist Long-Covid auf körperlicher Ebene. Da geht es um Lungenschäden, Veränderungen am Herzen, et cetera. Da gibt es ein paar Hinweise, die auch nicht überraschend sind: Je schwerer der Corona-Verlauf, desto häufiger sind Folgeschäden messbar.

Und zweitens kommt es zu typischen psychischen Folgeerscheinungen. Das heißt, ich kann nach einer Influenza oder Corona-Erkrankung sowieso immer erschöpft sein und brauche eine längere Zeit, um wieder auf den Damm zu kommen. Wenn ich weiß, wie gefährlich die Krankheit ist, macht das häufig die Verarbeitung schwerer, weil ich gleichzeitig mit persönlichen Ängsten zu tun habe. Bei einer Coronaerkrankung hatten viele – vor allem vor Auftreten der Omicronvariante mit ihren milden Verläufen – erstmal eine leichte Panik, hatten aber zum Teil noch gar keine Symptome. Es hat etwas Bedrohliches, alle reden ständig darüber.

Warum kommt es zu psychosomatischen Folgen?

Wir haben hier mit Menschen zu tun, die zwar primär vielleicht mit Panikattacken oder Depressionen zu tun haben, die dann in der Folge aber auch körperliche Beschwerden entwickeln – etwa Schwindel und andere Schwierigkeiten. Andersherum kann es auch der Fall sein, dass zunächst körperliche Erkrankungen da sind, die letztlich immer auch einen psychischen Effekt haben. Denken Sie daran: Wenn sie krank sind, verändert sich ihre Stimmung immer ganz automatisch. Aber meistens muss das nicht behandelt werden.

Unser Körper kann mit körperlichen, wie auch psychischen Ungleichgewichten und Tiefpunkten, in der Regel, selbständig umgeben. „Normalerweise“ wissen wir, was wir tun müssen, damit es uns wieder besser geht. Long-Covid ist allerdings ein bisschen komplizierter, weil wir gar nicht wissen, womit wir es zu tun haben. Long-Covid ist ja keine Krankheit. Der Name behauptet ja schon etwas, was wir noch nicht wissen. Bedenken Sie, wir haben noch keine Langzeit-Vergleichsstudie, die zum Beispiel eine gesunde Gruppe, eine Gruppe mit normaler Influenza (Virusgrippe) und mit Corona vergleichen würde. Wir wissen, dass nach der Influenza auch lange Folgeerkrankung immer schon vorgekommen sind. Wir wissen noch nicht, in welchem Ausmaß es Long-Covid gibt. Das macht nicht nur uns Kliniker und Forscher, sondern auch die Menschen „da draußen“ unsicher.

„Der soziale Rückzug hat die größten Folgen.“

Ich hörte von einem Koch, der Angst hatte, dass er seinen Geschmackssinn verliert, für wie lange auch immer. Für ihn war das eine existenzielle Gefahr.

Wir haben es alle als Bedrohung erlebt und es wurde täglich darüber gesprochen. Ich muss ganz nüchtern sagen, der größte Effekt, den wir in der Psychosomatik sehen, sind die Schäden, die der sozialer Rückzug zufolge hat für manche Leute. Viele waren froh, was die anstrengenden Aspekte von Büro und so weiter angeht, aber vielen hat der soziale Rückzug auch nicht gutgetan. Diese kommen dann entweder mit einer depressiveren Krise, Panikstörung oder ähnlichem hierher. Das erste halbe Jahr der Pandemie haben die Meisten ganz gut überstanden. Aber je länger das dauerte, desto mehr haben sie diese Effekte gehabt.

Der soziale Rückzug ist einer der größten Risikofaktoren für psychische Corona-Folgen
Der soziale Rückzug ist einer der größten Risikofaktoren für psychische Corona-Folgen. // Foto: Photo by Nik Shuliahin on Unsplash

Und wenn man verlernt, mit Menschen zu tun zu haben, dann ist das erst einmal für viele schwer vorstellen, wieder Kontakt aufzunehmen. Die meisten fühlen sich ganz unruhig bei Sachen, die sie früher selbstverständlich getan habe. Und das ist eine Gewöhnungsfrage. Wenn ich das aber nicht mache, weil alle sagen, na ja, vielleicht lässt Du es lieber, dann denke viele, ich kann es gar nicht mehr. Und damit haben wir letztlich zu tun, mit diesen Effekten des Rückzugs. Inwieweit Long-Covid als eigenständige Erkrankungen aus psychosomatischer Perspektive wirklich ein Problem wird, kann man zu diesem Zeitpunkt noch nicht verlässlich sagen.

Können Sie die körperlichen Symptome, die tatsächlich durch Covid hervorgerufen werden, von psychosomatischen Effekten auseinanderhalten?

Streng wissenschaftlich kann man das natürlich überhaupt nicht. Ich sage auch warum: Es gibt im psychischen Bereich keinen einzigen objektiven Messwert. Wir können Gewicht messen, wir können Blutkörperchen zählen. Aber seelisches kann nicht gemessen werden. Der Einzige, der bei uns entscheidet, ob er Probleme hat, das ist derjenige Patient selbst, der sagt „mir geht es nicht gut“. Es kommen zum Beispiel Patienten hierher, deren Hausärzte auf körperlicher Ebene keine Antwort gefunden haben. Diese Menschen möchten dann darüber sprechen, ob es auf psychischer oder psychosomatischer Ebene eine Antwort gibt.

Häufig finden wir Antworten, wie es möglich sein kann, da rauszukommen, manchmal auch nicht. Dann geht die Suche weiter. Die häufigsten Symptome sind Erschöpfung, Schwindel und manchmal auch Atemnot. Aber das sind körperliche Symptome, die sich nicht von denen nach einem schwierigen Verlauf einer klassischen Influenza unterscheiden.

„Das Virus selbstmacht keine psychische Erkrankung.“

Was sind die häufigsten psychische Symptome?

Es ist schwer, zwischen körperlicher und psychischer Erschöpfung zu unterscheiden. Wenn man sich erschöpft fühlt, hat das damit zu tun, dass ihr Körper rein messbar nicht mehr das Energieniveau hat oder ist es das Gefühl? Letztlich hängt es von unseren Prägungen ab, an welcher Stelle wir unsere Sollbruchstellen haben, wie wir symptomatisch reagieren. So kriegt der eine Rückenschmerzen, der andere Panikattacken.

Das Virus selber macht keine psychische Erkrankung. Dafür gibt es keinen Hinweis. Es gibt solche Viren, die zum Beispiel eine Hirnentzündung verursachen, bei denen es zu dramatischen Symptomen kommt. Auf so etwas haben wir bei Corona keinen Hinweis. Aber die Effekte von Quarantäne und Angst vor der Erkrankung machen etwas mit uns.

Was sagen die bisherigen Daten hierzu?

Es gibt noch keinen wissenschaftlich haltbaren Beweis, dass das Virus direkten Einfluss auf unsere Psyche hat. Aber, die gesellschaftlichen Veränderungen – jeden Kontakt als gefährlich einzustufen, die Angst, die Art wie über die Krankheit gesprochen wird oder ein schlechtes Gewissen wegen jedem Huster – das verändert uns.

Nehmen wir an, ihr Bedürfnis nach körperlicher Nähe ist nicht so groß und sie sind ein autonomer Typ, dann wird sie das nicht zu stören. Die Menschen, die ein sehr starkes Bedürfnis nach Nähe haben, die leiden natürlich anders, wenn alle Menschen immer sagen „bitte auf Abstand“.

„Wieviele Kräfte sind noch da?“

Wenn jemand mit Symptomen zu ihnen kommt und sagt, Long Covid mache ihm oder ihr psychisch oder psychosomatisch zu schaffen, wie gehen Sie da vor?

Die Betreffenden kommen selten auf Long-Covid zu sprechen. Sie sagen eher, in der Pandemie haben sich Beschwerden entwickelt. Sie seien auch positiv gewesen und nicht mehr richtig auf die Beine gekommen. Noch vor der Aufnahme führen wir ambulant diagnostische Gespräche. Man setzt sich ganz simpel zusammen, macht eine umfangreiche Anamnese und versucht, eine „Geschichte“ zu schreiben, wie etwas zustande gekommen ist, welche Einflüsse eine Rolle spielen, welche körperlichen Untersuchung schon gemacht wurden, welche noch gemacht werden müssen, um eine Idee zu haben, was für Kräfte sozusagen am Wirken sind.

Wie geht es dann weiter?

Die Frage ist, wie jemand funktioniert. Und dann entscheidet erst mal die Heftigkeit der Symptome, ob jemand eine vollstationäre Behandlung erhält, ob man es ambulant versuchen muss oder die Tagesklinik ins Spiel kommt. Als Beispiel: Jemand ist so erschöpft, dass er nicht verlässlich jeden Tag zum Termin kommen kann. Dann muss ich ihn natürlich stationär aufnehmen. Und dann geht es los mit einem Bündel aus Gesprächstherapie im Einzel und in der Gruppe und experimentellen Dingen wie Musiktherapie, Kunsttherapie und Bewegungstherapie. Wir schauen, wieviel Kräfte noch da sind. Die größte Stärke des stationären Aufenthalts ist der Abstand. Es ist unheimlich hilfreich, aus dem Alltag, den klassischen Mustern heraus zu sein. Und die Muster, die man mitnimmt, die fallen hier viel stärker auf. So lernen die Betroffenen eine Menge. Der Behandlungsverlauf zeigt, wovon wird profitiert und wie wir weitermachen. Im Schnitt sind die Leute sechs bis acht Wochen da.

Woher kommen die Probleme und welche Kraftreserven sind noch da? Das sind zentrale Fragen in der Thearpie. // Foto: Photo by Hello I'm Nik on Unsplash
Woher kommen die Probleme und welche Kraftreserven sind noch da? Das sind zentrale Fragen in der Thearpie. // Foto: Photo by Hello I’m Nik on Unsplash

Sechs bis acht Wochen scheint bei einem tief liegenden Problem keine so lange Zeit zu sein…

Überhaupt nicht mit. Das ist ein Anfang. Aber ich habe das Gefühl, die meisten profitieren davon und haben danach eine Idee, wie sie weitermachen wollen.

„Es wird sich zeigen, ob wir nicht genauso von Long-Influenza sprechen müssten.“

Sie sagten, eine Art Epidemie wird es im Bereich der psychischen Erkrankungen durch Long-Covid nicht geben.

Es wird sich zeigen, inwieweit Long-Covid als eigenständiges psychosomatisches Phänomen Geltung haben wird oder wir nicht genauso von Long-Influenza sprechen müssten, als Beispiel. Für mich ist wichtig, dass die verschiedenen Herausforderungen und gesellschaftlichen Prozesse sich nicht trennen lassen. Wir haben auch andere Herausforderungen in dieser Zeit. Wir verlangen zum Beispiel von uns, tägliche im selben Umfang verlässliche Arbeit zu leisten, was überhaupt nicht menschlich ist. Wir sind keine Maschinen.

Interessant ist: Als Corona anfing, sind die Patientenzahlen extrem gesunken. Die Leute haben das Haus nicht mehr verlassen. Die Zahlen sind jetzt eher noch ein bisschen höher. Da haben manche Kollegen gesagt: So schlimm kann es ja nicht sein, wenn die alle zu Hause bleiben können. Und das bestätigt sich eben nicht. Die Patientinnen und Patienten kommen nur verzögert, und manchen geht es auch schlechter.

Kommt es vor, dass manche herkommen und sagen, seit der Coronainfektion geht es mir schlechter doch in Wahrheit ist zum Beispiel der narzisstische Chef das Problem?

Das kann ich so unterschreiben. Im Gutachtenswesen nennen wir das eine Gelegenheitsursache: Jemand ist bereits angeschlagen und dann kommt eine Sache, die sich gut greifen lässt. Aber die ist nicht das, womit man sich beschäftigen muss. Wenn man mit letzter Kraft durch den Alltag geht und dann erwischt einen Corona, Influenza, oder etwas anderes, dann geht es einem danach schlecht, lange schlecht.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Zur Person

Dr. Goetz Broszeit ist Chefarzt an der psychosomatischen Abteilung im Asklepios Westklinikum Hamburg. Als Therapeut in der psychosomatischen Medizin kümmert er sich um Erkrankungen, bei denen körperliche und seelische Prozesse bei der Krankheitsentstehung und dem Verlauf eine Rolle spielen.

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