Herr Dittrich, vor 30 Jahren haben Sie hier in Blankenese auf dem Marktplatz mit „Susis Schlagersextett“ beim KLÖNSCHNACK-Sommerfest gespielt. Erinnern Sie sich noch daran?
Ich bin sicher, es gibt irgendwo noch Fotos, aber genau erinnern kann ich mich leider nicht mehr. Ich bin so viel getingelt zwischen 1985 und 1993 …
Apropos Lokalbezug: Sie haben mit der Skiffel-Legende Gottfried Böttger in einer WG am Falkensteiner Ufer gelebt.
Das war Mitte der 70er-Jahre. Ich war knapp 18. Es gab viele Clubs, wie das Onkel Pö, die alte Fabrik oder das Logo, wo wir mit meiner Skiffle-Band oft die Sonntags-Frühschoppen gespielt haben. Irgendwann lernte ich Gottfried und seine Band Leinemann kennen – damals Deutschlands populärste Skiffle-Band. Eines Tages war in Gottfrieds WG ein Zimmer frei und ich zog ein. Es war ein Paradies! Das Haus war immer voll mit Musikern, oft gab es Jam-Sessions. Bei Gottfried waren Keyboards und Verstärker spielbereit aufgebaut, ein Schlagzeug stand da und sein kleiner weißer Flügel.
Einmal haben Sie erzählt, dass Sie manche Ihrer Talente – auch die größeren – erst spät entdeckt haben. Erinnern Sie sich an den Moment, in dem Ihnen klar wurde: „Jetzt läuft es“?
Wenn Sie nach Erfolg fragen, kommt es darauf an, wie man es definiert. Meist wird es ja nur mit kommerziellem Erfolg und Popularität gleichgesetzt. Aber es geht gar nicht um Geld – es geht eher um die innere Sicherheit, jetzt das Richtige zu tun und seinen Weg zu gehen, als Original und nicht der zweite Aufguss. 1978, nach meiner Lehre als Theatermaler, brauchte ich einen Job und wurde Aushilfspacker bei einer Plattenfirma in Hamburg. Ich hatte natürlich Kontakte zu Musikern, spielte selbst viel live, textete auch ab und an für andere. Ich dachte damals, jetzt bin ich meiner Idee von einer Musikerkarriere schon mal ein Stück näher. In Wahrheit saß ich auf der falschen Seite des Schreibtischs. 1985 habe ich dann alles hingeworfen und begonnen, meinen Talenten zu folgen und den eigenen Weg als Künstler zu finden.
Dittsches Start als Anrufbeantwortertext
Sie fanden auf die richtige Schreibtischseite …
… Naja … Langsam hatte ich meinen Ideen mehr vertraut, begonnen Songs zu schreiben, Demos zu machen. Und zum Spaß kleine Hörspiele aufzunehmen, die auf meinem Anrufbeantworter verbreitet wurden. Das war Ende der 80er, Lichtjahre vor YouTube oder Socia-Media. Das war auch der Urknall von Dittsche, der den Leuten via Band-Ansage kurze lustige Vorträge auf dem Anrufbeantworter hielt, wenn sie anriefen.
Springen wir in die Gegenwart. Sie gehen mit Ihrer ältesten Figur, Dittsche, wieder auf Tour. Im Oktober treten Sie auch in der Laeiszhalle auf. Die meisten kennen Dittsche sicher aus der gleichnamigen Fernsehsendung. Für die Uneingeweihten, worum ging es bei dieser Sendung?
Zunächst: Sie spielte in einem Eppend„Am Ende ist die Seele gereinigt“orfer Imbiss, wurde von sechs „Überwachungskameras“ visualisiert und live ausgestrahlt. Ein Impro-Kammerspiel ohne Drehbuch, ohne Netz und doppelten Boden. Dittsche ist ein arbeitsloser Schwadroneur im Bademantel, der abends noch mal rausgeht, um ein paar Bierbuddeln im Imbiss um die Ecke zu kaufen. Sein kongeniales Gegenüber im TV-Format war der Imbissbesitzer, Ingo – gespielt von Jon Flemming Olsen. Und dann gab es noch den stummen Zuhörer „Schildkröte“ alias Mr. Piggi. Nach dessen Tod saß „Krötensohn Jens“, gespielt von Jens Lindschau, auf seinem Barhocker. Der thematische Bogen wurde gespannt von kleinen alltäglichen Erlebnissen bis hin zum großen, aktuellen Weltgeschehen.
„Er hat viele Weisheiten und Lösungen auf Fragen parat, auf die niemand eine Antwort weiß …“
Was ist Dittsche für ein Typ?
Er ist ein herzenswarmer, keineswegs dummer, aber etwas unbeholfener Schwadro-neur. Er hat viele Weisheiten und Lösungen auf Fragen parat, auf die niemand eine Antwort weiß. Deshalb kann er ja so herrlich frei assoziieren und Behauptungen aufstellen.
Man schlägt manchmal die Hände über den Kopf und denkt, was erzählt er denn jetzt wieder? Aber gerade bei den ernsteren Themen kommt er oft verblüffend zum Kern der Sache. Der Dreh ist, dass man erleichternd lachen kann, besonders bei Dingen, die einen ernsten oder tragischen Hintergrund haben.
Dittsches fröhlich-trostlose Art scheint ein Pluspunkt des Formats zu sein.
Das ist wohl so, ja. Er ist ja kein Erfolgsmensch, reißt aber trotzdem die Klappe groß auf, um die bösen Geister zu vertreiben. Dieses Gefühl, mit der eigenen Überforderung zurecht kommen zu müssen, mit den eigenen Befürchtungen durchs Leben zu eiern, kennen wir wohl alle – die wenigsten geben es zu. Dittsche lässt uns darüber lachen – das hilft.
Wie schaffte es Dittsche vom Anrufbeantworter auf die Bühne?
Das ergab sich mit dem Start des Quatsch Comedy Clubs in Hamburg, das müsste 1992 gewesen sein – lange bevor Comedy-Shows im Privatfernsehen zu sehen waren. Thomas Hermanns war mit diesem Club der Pionier, der die erste deutsche Stand-Up-Bühne ins Leben rief. Und Dittsche war einer der ersten, der dort auftrat.
Von dort ging es für ihre besondere Figur ins Fernsehen. 30 Staffeln später ist Ihr weiser Schwadroneur wieder zurück auf der Bühne.
Es war schon absehbar, dass es mit Dittsche im Fernsehen nach fast zwanzig Jahren irgendwann mal zu Ende gehen wird. Im April 2021 lief dann die 264ste Sendung, es war die letzte. Ich dachte 2018 schon daran, mal auszuprobieren, wie die Figur und ihre Geschichten jetzt auf der Bühne ankommen. So, wie alles mal anfing. Erst hatte ich die Befürchtung, dass er eher ein norddeutsches Phänomen sein könnte und war unsicher, ob in München, Leipzig oder Stuttgart überhaupt jemand kommt.
Aber die Leute kamen.
Ja, das war eine großartige Erfahrung. Und ich hatte damals das Glück, Karsten Jahnke, den großen Hamburger Konzertveranstalter, von der Idee zu begeistern, „Dittsche Live und Solo“ auf die Bühne zu bringen. Er hatte großes Vertrauen in den bundesweiten Erfolg einer Solo-Show, da war ich echt verblüfft. Tolle Theater, große Hallen, alles ausverkauft – ich war echt baff. Ich stehe zweieinhalb Stunden allein auf der Bühne, manchmal länger. Kein Schnickschnack, keine Einspieler, keine Bildwände. Nur ein Spot, ein Mikro und ein Mann im Bademantel, der Geschichten erzählt.
Was die neue Tour bereithält
Was erwartet die Zuschauer auf dieser Tournee?
Die Show hat zwei Teile, dazwischen gibt es eine Pause. Im ersten Teil beleuchten Dittsches Erzählungen eher sein privates Umfeld, der zweite Teil ist mehr geprägt vom kleinen und großen Weltgeschehen. Im Zugabenteil improvisiere und variiere ich gelegentlich – je nachdem, ob die Tagesaktualität etwas hergibt.
Hatten Sie Dittsche schon mal satt?
Man merkt Ihnen eine unbändige Spielfreude an. Die scheint Sie manchmal selbst zu überraschen. Denkwürdig ist die Folge, in der Dittsche die Brokatnase aus Holzleder erfand und Sie selbst herzlich über die spontane Eingebung lachen mussten.
In der TV-Show gab viele solcher Situationen, in denen wir während der Improvisation aus der Kurve geflogen sind vor Lachen. Aber das ist in einem solchen Format völlig OK, solange es wirklich trägt und auch wirklich spontan ist.
Dittsche gibt es nun schon sehr lange. Hatten Sie ihn schon mal satt?
Vielleicht gab es mal eine Phase, wo wir Mühe hatten, Themen zu finden, weil die Aktualität nichts hergegeben hat. Oder die Motivation und Spielfreude nicht ganz so stark war. Das mag sein, kennt jeder Künstler. Aber wirklich ans Aufgeben gedacht? Nee.
Was hat er, was sonst keiner hat?
Ist das auch ein Unterschied zu Ihren anderen Figuren?
Ich habe sehr viele Charaktere erfunden und mir Biografien für sie ausgedacht, häufig aber nur für einen Film oder eine meiner Mockumentaries. Ebenso authentisch, akribisch vorbereitet und glaubhaft wie Dittsche in seiner behaupteten, wahren Welt. Aber danach waren diese Figuren, vielleicht bis auf ein kurzes Wiedersehen in einem anderen Film, wieder weg. Dittsche aber ist seit 1990 durchgängig da.
Was hat Dittsche, was andere Figuren nicht haben?
Er ist am ehesten mein „Alter Ego“. Er darf alles sagen, denn er schaut immer von unten nach oben. Ist arglos, empathisch, loyal und hundertprozentig ohne fiese Absichten.
Bevor der Vorhang fällt: TV oder auf der Bühne – was macht bei Dittsche mehr Spaß?
Es ist eine andere Art Spaß: Die Sendung entstand spontan, lebte sehr vom Scharmützel zwischen Protagonist und Antagonist und vielen Überraschungen, die dadurch entstanden. Und sie war zeitlich auf 30 Minuten live begrenzt. Solo auf der Bühne vor Publikum, das ist schon anders und auch mit nichts vergleichbar. Ich stehe da ja alleine am Mikro, folge durchaus einer vorbereiteten Dramaturgie, improvisiere aber dazwischen auch. Mehrere Stunden die Spannung hochhalten ist eine andere Disziplin. Mein Publikum hat viel Geld gezahlt, um mich zu sehen und erwartet zu Recht, dass ich vom ersten Moment an 100 Prozent gebe. Und das kann ich garantieren. Ich liebe das. Und wenn ich von der Bühne komme, ist die Seele wieder gereinigt.
Herr Dittrich, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Zur Person

Olli Dittrich zählt zu den vielseitigsten deutschen Künstlern – ob als Schauspieler, Komiker, Musiker oder Parodist, er hat mit zahlreichen TV-Formaten Kultstatus erreicht.
Im Oktober kommt Dittrich mit seiner „Dittsche – Live & Solo“-Tour nach Hamburg. Zu sehen ist er am 3., 4. und 14. Oktober in der Laeiszhalle.
Fans können sich auf einen besonderen Abend voller Witz, Improvisation und Kult-Momente freuen.
Wenige Restkarten gibt es ab 24,50 Euro.