Herr Zuckowski, Sie begehen in diesem Monat ihren 75. Geburtstag und zugleich feiern Sie rund 55 Jahre im Musikgeschäft. Was geht Ihnen durch den Sinn, wenn Sie darüber nachdenken?
Beim Schreiben meiner Autobiografie „Ein bisschen Mut, ein bisschen Glück“, die zu meinem Geburtstag erscheint, ist mir klar gewordenen, wie vielfältig all das war, was ich erleben durfte und mitgestalten konnte. Aber ich denke auch daran, wie groß der Wandel im Musikgeschäft ist. Es ist heute ganz anders, als in meinen Anfängen, als es traditionelle Rundfunksender gab und man bei Hitparaden noch Postkarten schrieb. Es gab noch kein Internet, kein Socialmedia. Das alles durch die Jahrzehnte mitzuerleben, war schon ein Abenteuer. Aber ich bin ja ganz gut durchgekommen.
Sie schreiben, dass Sie mit 14 ihre erste Gitarre bekommen haben.
Ich muss damals viel darüber erzählt haben, wie die Pfadfinder in Fleckeby mit uns am Lagerfeuer gesungen haben und wie sehr mich das begeisterte. Das waren nicht nur fröhliche Partylieder. Es ist mir offenbar etwas unter die Haut gekrochen. Ich konnte dann sehr schnell auf dieser Gitarre Sachen ausprobieren. Die neuere Musik damals war relativ einfach, etwa von Chuck Barry. Das waren oft nur drei Akkorde. Darum konnte ich mir vieles selbst beibringen. Mein Bruder sollte auch diese Gitarre haben, aber eine Gitarre teilen ist halt nicht einfach. Er hat dann verzichtet. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Die Gitarre ist ganz schnell etwas sehr Wichtiges für mich geworden. Ich habe damit auch früh angefangen, eigene Lieder zu schreiben.
Ihr Vater hat ihnen diese wichtige Gitarre geschenkt. In ihrem Buch deuten Sie jedoch an, dass es nicht immer einfach mit ihm gewesen ist. Wie war Ihr Verhältnis zu Ihm?
Er war nicht immer zuhause, als Seemann. An Land ist er nie richtig sesshaft und glücklich geworden. Deshalb ist er immer wieder rausgefahren. Dann hat er wieder an Land Arbeit gesucht und mit sich selbst und der Familie ziemlich viele Probleme gehabt, die wir auch nicht lösen konnten. Meine Mutter musste sehen, wie sie mit uns vier Kindern über die Runden kam – und einem Mann, der den Lebensunterhalt nicht sichern konnte. Er war alkoholkrank und wurde auch nach Entziehungskuren nicht stabil. Im Jahr 1981 hat er sich dann leider das Leben genommen. Damit mussten wir irgendwie zurechtkommen. Es ist lange her und man trägt es in sich, denkt aber auch nicht mehr täglich daran.
Sie haben es, scheinbar, gut verarbeitet.
Ja. Aber es bleiben Spuren, die man auch teilweise in meinen Liedern hört. Viele meiner Lieder sind ganz bewusst ermutigend. Ich glaube, dass Kinder auch in schwierigen Zeiten zu sich stehen müssen. So ein Lied wie „Ich schaff das schon“ hilft vielleicht, es zu verinnerlichen. Das ist mir wichtig. Mein Vater, der es auf Dauer nicht geschafft hat, spielt da vielleicht eine gewisse Rolle.
War die Musik für Sie ein wichtiger Weg, Dinge zu verarbeiten?
Ja, schon. Aber das habe ich damals noch nicht so empfunden. Als ich etwa 1974 anfing Lieder für Kinder zu schreiben, um sie zu ermutigen und ihnen Wege aufzuzeigen, die in der Musik möglich sind, da ist es mir wahrscheinlich bewusster geworden. Als ich parallel dazu Schlagermusik machte, spielte mein Vater keine große Rolle.
Was spielte damals eine Rolle?
Wie waren Teil einer großen Bewegung. Unsere Kinder haben uns, als sie erwachsen wurden, immer ein wenig beneidet, dass wir in dieser Aufbruchzeit Musik machen konnten, wo Beat und Rock ’n‘ Roll die Gesellschaft prägten. Ich habe früh angefangen deutsche Texte zu schreiben, obwohl wir ja eher durch die englischen Bands geprägt waren. Die Texte kamen auch ganz gut an, waren allerdings teils etwas… dramatisch. Auf der LP meiner Band, den beAthovens, gab es dann doch nur englischsprachige Lieder.
Sie haben in ihrer Autobiografie „Ein bisschen Mut, ein bisschen Glück“ einige Lieder erwähnt, die ihnen viel bedeuten. Etwa „The Times They Are a-Changin“ von Bob Dylan.
Ja, das ist praktisch immer aktuell geblieben: Der Wandel, dass man damit zurechtkommen muss und ihm nicht entfliehen kann, auch nicht als Politiker. Das ist von Dylan schon sehr weitsichtig formuliert worden. Wenn man genau hinhört, ist es sehr zeitgemäß.
Auf ihrer Liste stehen aber noch ganz andere Lieder. Zum Beispiel „An de Eck steiht’n Jung mit’m Tüdelband“. Was bedeutet das Lied für Sie?
Es war mir wichtig, auch meine plattdeutschen Wurzeln deutlich zu machen. Das Platt war immer da und in unserer Familie noch selbstverständlich. Nur mit den Kindern wurde nicht viel Platt gesprochen, weil man dachte, die Kinder müssen nach vorne gehen und das Plattdeutsche als Hauptsprache könnte sie dabei behindern. Aber es ist eine leidenschaftliche Sprache geblieben, für mich etwas Bedeutendes und ein Stück Heimat, das ich in vielen Liedern festgehalten habe, vor allem für die Finkwarder Speeldeel.
Kommen wir zurück zu ihren Kinderliedern. Viele sind mit ihren Stücken aufgewachsen und sie lassen einen auch als Erwachsenen nicht los. Ich erinnere mich daran, wie ich mit Anfang zwanzig an einer Straße entlang wanderte und es eng wurde. Da fingen meine Mitwandernden hinter mir an „Wo kein Gehweg ist, da geh ich links“ zu singen. Wie ist es für Sie, wenn sie solche Geschichten hören?
(lacht) Es ist hin und wieder zum Schmunzeln. Wenn man dieses Lied etwa in England oder Australien singt, kann es eher gefährlich werden. Aber manche sagen mir auch, dass es ihnen vielleicht schon mal das Leben gerettet hat. Menschen haben mit meinen Liedern etwas erlebt und vergessen es auch nicht mehr. Ganz stark sehe ich das bei dem Lied „Ich schaff das schon“. Übrigens habe ich neulich gesehen, dass es erstaunlicherweise auf Platz 1 der TikTok-Charts stand, weil es viele jüngere Menschen gibt, die ihre Lebenssituation damit zusammenfassen. Manchmal geht das sehr zu Herzen, manchmal ist es urkomisch.
Wir müssen unbedingt auf ein Lied zu sprechen kommen und das ist „In der Weihnachtsbäckerei“. Geht es ihnen manchmal auf den Keks, dass Sie nach diesem Lied gefragt werden?
Nein, wirklich überhaupt nicht. Wenn man das Glück hat, einen Hit dieser Größenordnung in die Welt zu setzen, muss man dankbar sein. Da es ja viel beim Backen gesungen wird, bin ich an vielen Orten in der Adventszeit irgendwie dabei. Darüber kann ich doch nur glücklich sein.
Das Lied ist, praktisch über Nacht, ein Volkslied geworden. War dieser Erfolg für Sie absehbar?
Dass es ein besonderes Lied ist, weil es bisher außer „backe, backe Kuchen“ kein Back-Lied gab und sozusagen ein „musikalischer Bedarf“ bestand (lacht), das habe ich geahnt. Aber das letztliche Ausmaß des Erfolges konnte ich nicht erahnen und ich merke Jahr für Jahr, dass dieses Lied noch größer wird, etwa durch Socialmedia, Schulaufführungen und das Musical im Schmidts Tivoli.
Ich möchte zwei weitere Lieder herausgreifen. Zunächst „Dein kleines Leben“. Dort gibt es die Zeile „Aus Angst, Du könntest morgen nicht erwachen, hältst Du die Augen offen.“ Was ist die Geschichte dahinter?
Unsere Tochter Anuschka war das erste unserer drei Kinder mit Einschlafängsten. Da war sie vielleicht vier oder fünf. Sie sprach auch konkret von den Ängsten etwa von Monstern. Deshalb ist dieses Lied als Trostlied entstanden, um ihr dieses Uhrvertrauen zu geben und nicht groß mit Argumenten zu kommen. Es ging mehr darum, es emotional einzufangen und zu sagen, ich spüre Deine Angst und mir geht es manchmal auch so. Aber ich habe Vertrauen, dass der nächste Tag kommt und das Dunkle geht.
Sie haben bereits das Lied „Ich schaff das schon“ erwähnt. Sie beschreiben in ihrem Buch, dass es vielleicht das wichtigste Lied für Sie ist. Woran liegt das?
An der Erfahrung der Rückmeldungen. Entstanden ist es übrigens im Treppenviertel, auf der Sechslingstreppe. Unser Andreas, er war knapp drei, ist dort gestolpert und sagte, ich schaff das schon. Da dachte ich, wie oft er sich das wohl noch sagen muss. In dem Lied kommen aber noch viele andere vor, zum Beispiel Maike, eine alleinerziehende Mutter. Es gibt unendlich viele Situationen, in denen man sich sagen muss, dass es weiter geht. Das Lied scheint eine Kraft zu haben, Menschen aus tiefen Krisen heraus zu ermutigen. In Gesprächen hat man mir schon öfter gesagt, dass dieses Lied geholfen hat und das kann ich von keinem anderen meiner Lieder in dieser Größenordnung sagen.
Es gibt von Ihnen noch eine ganze Reihe weiterer Lieder, die durch andere Interpreten bekannt geworden sind. Wie beispielsweise „guten Morgen Sonnenschein“ von Nana Mouskouri. Wie kam es dazu?
Ich habe in den späten 70er-Jahren die Schweizer Band „Peter Sue und Marc“ produziert. Die waren bei derselben Plattenfirma wie Nana Mouskouri unter Vertrag. Der damalige Chef für die deutschen Produktionen, Jürgen Sauermann, fragte mich, ob ich nicht auch mal für andere Texte schreiben wollte. Er schlug mir dann Nana und Johanna von Koczian vor – für die ich auch einige Lieder schrieb. „Guten morgen Sonnenschein“, eigentlich ein brasilianisches Lied, ist außer „weiße Rosen aus Athen“ vielleicht Nanas größter Hit geworden. Es war übrigens eine B-Seite, die vom Rundfunk „gedreht wurde“ – das Radio hat die B-Seite zum Hit gemacht. Ich kann heute nicht mal mehr sagen, wie die A-Seite hieß.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Peter Maffay an Tabaluga?
Da gab es einen kleinen Umweg. Sein Freund und Manager Dieter Viering, der damals in Norderstedt wohnte, hatte kleine Kinder mit denen er eines meiner Konzerte in einem Kulturhaus sah. Er hat Peter auf mich aufmerksam gemacht, als er mal etwas ganz Neues ausprobieren wollte. Peter fragte an, ob ich mit ihm ein Weihnachtsalbum machen würde. Er besuchte mich hier in Blankenese und wir überlegten. Schließlich sagte ich, Peter lass mich mal eine Woche damit allein. Ich hörte mir viele Lieder von ihm an aber auch Interviews. Und dann kam ich über zwei Lieder für ihn nicht hinaus. Mehr fiel mir nicht ein. Ein Sänger muss sich damit ja auch identifizieren können. Die zwei Lieder habe ich dann übrigens später für mich selber produziert: „Wär uns der Himmel immer so nah“ und „Auf der Suche nach Weihnachten“.
Wie ging es weiter?
Ich rief Peter an und sagte, Du und Weihnachten, das kriege ich nicht zusammen. Peter meinte, er hätte da noch eine andere Idee. Als er dann wieder zu mir kam, sagte er, er wolle Kinderlieder mit mir machen. Er sagte: „Das kannst Du doch nun wirklich“. Das müssten wir eher hinkriegen, sagte ich, aber was genau sollte es sein? Märchenhaft und nicht ganz kleinkindlich war die grobe Richtung. Dann ist mir relativ schnell die Idee von Tabaluga gekommen. Ich hatte schon länger über das Thema Erwachsenwerden nachgedacht. Das ist ja so eine Sache… Man will groß werden, aber auch das Kindliche nicht verlieren. Daraus ist diese Figur für mich geworden: Der Drache, der vom Vater fortgeschickt wird, um vernünftig und erwachsen zu werden. Am Ende kommt Tabaluga zur 200-jährigen Schildkröte Nessaja und die sagt ihm ausgerechnet: „ich wollte nie erwachsen sein“. Da schließt sich der Bogen zu Maffay, denn er war damals gerade vom Schlagersänger zum Rockmusiker „mutiert“, immer in Lederjacke. So entstand das Bild der Schildkröte. Ich dachte: Dieser Typ, mit seinem weichen Kern, trägt einen Panzer um sich, um sein Inneres zu schützen.
Sie sind mit 23 Millionen verkauften Tonträgern einer der erfolgreichsten Musiker Deutschlands. Sie sind dafür allerdings besonders arm an Skandalen. Es gibt nämlich keine. Hat der Erfolg nichts mit Ihnen gemacht? Gab es keine Versuchungen?
Ich wüsste nicht, wie die hätten aussehen sollen. Es hat viel mit meinem Hintergrund zu tun. Eine ganz normale Hamburger Arbeiterfamilie: Mutter Friseurin, Vater Seemann. Meine Frau und ich haben beide drei Geschwister. So waren wir familiär eingebunden. Damit habe ich mich immer wohl gefühlt. Ein Familienmensch zu sein, hat mir sehr geholfen. Und ich habe die Frau gefunden, mit der ich auch heute noch zusammen bin und wir harmonieren unheimlich gut miteinander. Mir war es viel wichtiger, das zu bewahren, was wir haben. Glitzer, Schoweffekte und sich immer noch wichtiger fühlen, passte nicht dazu. Sicher, durch den Erfolg haben sich Möglichkeiten ergeben, Dinge die man sich gönnen konnte, aber Statussymbole wie ein großes Auto oder eine luxuriöse Yacht waren für uns nicht wichtig. Wenn man im Treppenviertel wohnt, ist es auch praktischer, kein großes Auto zu haben.
Sie haben auf ihrem Album „Gemeinsam unterwegs“ das Lied „Vogel ohne Flügel“. Ich habe es als großes Lob an ihre Frau verstanden. Wie fand sie es, als sie es hörte?
Sie kannte es schon auf Schwytzer Dütsch, weil das Lied eigentlich von Peter Reber von Peter, Sue und Marc ist. Meine Frau hat es schon mit Herzklopfen aufgenommen. Aber wir liebten das Lied bereits früher. Ich denke ein Paarpsychologe könnte das Lied auch anders herum deuten und sagen, macht Euch doch nicht so abhängig voneinander – so in der Art, wenn Du mir keine Flügel verleihst, stürze ich ab. Ich habe es aber immer als Liebeserklärung verstanden. Indem sie mir Flügel verleiht, gibt sie mir Freiheit.
Mit dem Album „Gemeinsam unterwegs“ sind wir in der Gegenwart angekommen. Es ist ein nachdenkliches Album mit dem Untertitel „Lieder im Herbst des Lebens“. Ziehen sie eine Art Bilanz für ihr Leben?
Als ich die Biografie schrieb natürlich schon. Es geht aber momentan nicht so sehr um Bilanz, sondern darum, wo es noch hingehen kann.
Und die nahe Zukunft?
Der Mai und der Juni sind sehr voll. Am 16. Juni gebe ich ein Konzert mit meiner Tochter im Planetarium. Am 17. Juni geht es im Goßlerhaus weiter – eine Veranstaltung gemeinsam mit dem Bürgerverein Blankenese, der in diesem Jahr auch 75 wird, und dem Hamburger Konservatorium. Und ich will endlich mein Büro aufräumen. Diese kleine Welt will sehr genau angeschaut werden und dann entscheide ich, was weg kann und was nicht. Im Rahmen der Schreibarbeit an der Biografie habe ich gemerkt, dass ich eigentlich zu viel aufbewahrt habe. Es wird nicht leer werden, nur überschaubarer. Ich habe außerdem vor, noch mehr Familienmensch zu sein. Das sollte die nächste Zeit prägen. Künstlerisch habe ich nichts Bestimmtes vor. Das kann sich nach meiner Erfahrung durch Impulse von außen aber auch ganz schnell ändern.
Wir danken Ihnen für das Gespräch.